Berlin: Das Leben als Party
In den neunziger Jahren war Tim Schwarz Stammgast im Club 90 Grad. Jetzt hat er seine Erlebnisse in seinem ersten Roman geschildert
Partys, Drogen, Sex mit schönen Frauen: Das ist die Welt, in der Tom Ritter sich wohlfühlt. Er arbeitet in einer Agentur für Grafikdesign, lebt in einer schicken Wohnung in Prenzlauer Berg und geht abends gerne aus. Vorzugsweise mit Freunden, wenn man seine Begleiter durchs Nachtleben überhaupt als solche bezeichnen kann. Denn sieht man mal von gemeinsamen Feiern in Clubs wie dem 90 Grad oder dem Week-End ab, ist da nicht viel, was die jungen Männer miteinander verbindet. Und als sich Ritter dann in seine verheiratete Nachbarin verliebt, werden auch die gemeinsamen Partys seltener.
Tom Ritter heißt in Wirklichkeit Tim Schwarz, arbeitet in einer Internetfirma und hat nun einen Roman geschrieben. „90 Grad“ heißt er, spielt im Berliner Nachtleben und ist Schwarz’ Debüt als Autor. An einem nicht sehr sonnigen Vormittag lädt er zum Gespräch in einen kleinen Coffeeshop in der Chausseestraße in Mitte. An den großen Fenstern zieht der Alltag vorbei, Tim Schwarz legt den grauen Mantel, den bunt gestreiften Schal ab und bestellt erst mal einen Milchkaffee, um in den Tag zu starten. Mit seinem freundlich-bestimmten Auftreten wirkt der groß gewachsene Mann ziemlich seriös – vielleicht ein bisschen zu seriös für jemanden, der ein Buch über das Ausgehen geschrieben hat. Noch bevor man überlegen kann, wie viel Tim Schwarz in der Romanfigur Ritter steckt, stellt der Autor klar: „Das Buch hat autobiografische Züge, ein Teil ist aber auch Bekannten passiert oder fiktiv.“
Vor 14 Jahren kam Tim Schwarz fürs Studium nach Berlin. Er stammt aus Braunschweig, lebte zwischenzeitlich in Göttingen. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass einer wie er, der aus einer Kleinstadt kommt, schnell vom hauptstädtischen Treiben fasziniert ist. „Wie die meisten Studenten habe ich mich gegen zwölf zur Uni geschleppt und bin abends mit Kommilitonen durch die Kneipen und Clubs in Prenzlauer Berg gezogen.“
Das 90 Grad entdeckte Schwarz Ende der neunziger Jahre für sich, er wohnte genau gegenüber des berühmt-berüchtigten Clubs. Dort, wo sogenannte Partyluder wie Ariane Sommer auf der Theke tanzten und sich Prominente besichtigen ließen wie Tiere im Zoo, verbrachte Schwarz seine Wochenenden. „Das Geschehen dort zu beobachten, fand ich ganz unterhaltsam.“
Er habe sich schon länger mit dem Gedanken getragen, über die Zeit der Jahrtausendwende, den Aufstieg und Fall der New Economy zu schreiben, erzählt Tim Schwarz. Er selbst war damals Teil dieser Szene, hatte eine Beratungsgesellschaft für Start-up-Unternehmen, tanzte auf den glamourösesten Partys der Stadt, weil es der Beruf mit sich brachte. Geld spielte keine Rolle, Hauptsache, das Image stimmte – und das richtige Designerlabel des Anzugs auch. Erst als es keine Unternehmen mehr zu beraten gab, setzte das große Erwachen und Nachdenken ein. Die Ernüchterung nach dem Rausch.
All das lässt Tim Schwarz in seinem Roman Revue passieren. Vier Wochen lang nahm er Urlaub, um die Geschichte aufzuschreiben. Er reiste nach Kapstadt, „um mich meinem Umfeld zu entziehen und aufs Schreiben zu fokussieren“. Anfangs klappte das nicht so gut, die einzelnen Ideen und Handlungsstränge fügten sich nur schwer zusammen, Schwarz brauchte einige Tage, um sich reinzudenken. „Ich hatte eine romantische Vorstellung vom Schreiben“, sagt er, „es ist aber leider nicht so.“ Anders als bei den Kurzgeschichten, die er seit 15 Jahren in seiner Freizeit zu Papier bringt, musste er sich für seinen Roman einen dramaturgischen Bogen überlegen, konnte die Geschichte nicht in einem Stück niederschreiben.
Natürlich geht es in „90 Grad“ auch ums Erwachsenwerden, ums Ankommen im Leben. Und deshalb bezieht sich der Titel nicht nur auf den Club, sondern auch auf die Wandlung, die Protagonist Tom Ritter vollzieht. Er ändert sich, aber nicht komplett. Will sich ein Stück Unbedarftheit erhalten. Ein Umstand, den Autor Tim Schwarz in seinem Bekanntenkreis häufig beobachtet hat. „Viele Männer und Frauen meiner Generation tun sich mit dem Erwachsenwerden so schwer, weil es gerade in Berlin einfach ist, sich dieser Aufgabe nicht zu stellen“, sagt er, „wir leben wie Studenten, bloß mit mehr Geld.“
Auf die Dauer hat das etwas Erschöpfendes. Deshalb geht es im Leben von Tim Schwarz mittlerweile ruhiger zu. Er hat eine Südafrikanerin geheiratet, geht nur noch gelegentlich in Clubs, trifft sich abends lieber mit Freunden zum Essen oder in einer Bar. „Das Ausgehverhalten ändert sich im Zuge des Älterwerdens.“ Schwarz ist jetzt 36. Im 90 Grad ist er schon lange nicht mehr gewesen. Der Club ist zurzeit ohnehin geschlossen und wird saniert.
Tim Schwarz: „90 Grad“. Seeliger Verlag, Wolfenbüttel. Ca. 224 Seiten, 17,90 Euro. Das Buch ist ab 19. März im Buchhandel erhältlich.
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