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Kurz nach Mauerfall fotografierten sich Angehörige der Besatzungsmächte am Checkpoint Charlie.
© Imago

20. Jahrestag des Abzugs: Im September 1994 verließen die West-Alliierten Berlin

Im September 1994 verließen die West-Alliierten die Stadt, die sowjetische Armee war schon Tage vorher abgezogen. Viele haben daran ihre ganz persönlichen Erinnerungen. Von Schottenröcken, Skateboards und Sandbergen.

Mein Urteil über Amerika war schon früh sehr ambivalent. Als nämlich Fränky, der Einzige in unserer Straße, der überhaupt schon mal in den USA gewesen war und deshalb von Frank zu Fränky mutierte, von dort ein Skateboard mitbrachte, blieben wir skeptisch. Das war 1969, keiner von uns hatte jemals so ein Ding gesehen, und weil sich unser Wortführer damit ziemlich brutal hinlegte, war klar, dieses amerikanische Ding ist nix: Ein Roller ohne Lenker wird sich in Berlin nie durchsetzen. Allerdings, dass wir das Ding überhaupt ausprobierten, belegt, dass wir alles, was aus Amerika kam, mit großem Interesse betrachteten. Und das lag an unseren Nachbarn.

1988 hatten DDR-Grenzsoldaten Sylvester Stallone die Einreise verweigert; ihm blieb nur die Plauderei mit US-Soldaten.
1988 hatten DDR-Grenzsoldaten Sylvester Stallone die Einreise verweigert; ihm blieb nur die Plauderei mit US-Soldaten.
© imago stock&people

Ich bin in den sechziger Jahren direkt neben einer amerikanischen Kaserne groß geworden, McNair in Lichterfelde, damals West-Berlin. Die Mauer war Realität, ich war zu jung, es anders zu kennen, der Begriff Schutzmacht, den manche Ältere verwendeten, sagte mir gar nichts. Ich betrachtete die Amerikaner eher mit ethnologischem Interesse, sie waren so ganz anders, man kann sagen, sie machten meine Jugend multikulturell. Morgens rannten sie in lässigen „Fruit of the Loom“-T-Shirts um unseren Block, einer hatte ein Fähnchen in der Hand und sang so etwas wie „Ho-Hey-Ho-Ho-Hoo“, die anderen antworteten im Chor und rannten hinterher. Wenn ich dann in die Schule fuhr, tauchten sie manchmal schwer bewaffnet mit Büschen am Helm an der Bushaltestelle auf. Wir wussten, es ist Manöverzeit, und die ziehen in den Grunewald und ballern da rum. Das war schon cool. Als Zwölfjährige hätten wir auch ganz gern mal im Grunewald rumgeballert. Nach der Schule schalteten wir AFN ein, das war noch cooler, denn DJs wie Wolfman Jack hatten wir nicht. Wir hatten nur Lord Knud und die Schlager der Woche. Mein Freund Meiki, der eigentlich Michael hieß, hatte eine Mutter, die bei den Amis putzte. Das war noch viel cooler, weil es vorkam, dass Meiki in einem Straßenkreuzer abgeholt wurde, zu einem Zeitpunkt, als amerikanische Autos noch Flossen hatten. Außerdem hatte Meikis Mutter Zugang zum PX, dem amerikanischen Supermarkt, und von dort brachte sie das erste T-Bone-Steak mit, das ich je zu Gesicht bekam. Okay, wir hatten auch Schnitzel, aber ein T-Bone! Es war gigantisch.

Natürlich fanden wir das mit dem Vietnamkrieg später ziemlich blöd, und dass die Amis alles durften, sogar im Düppeler Landschaftsschutzgebiet Häuser bauen, ohne sich um Berliner Gerichte scheren zu müssen, war eigentlich auch hassenswert. Trotzdem bin ich solange zum Deutsch-Amerikanischen Volksfest gegangen, wie da noch richtige Amis rumliefen. Und wenn ich heute mal an der Ecke Clayallee/Argentinische Allee abbiege, dann sehe ich da keine Neubauten. Dann sehe ich da immer noch die Ami-Tankstelle und den Supermarkt, die längst verschwunden sind. Sah irgendwie cooler aus. Andreas Austilat

Der Toast auf die Queen gehörte dazu

1987 kamen Prinz Charles und Prinzessin Diana nach Berlin.
1987 kamen Prinz Charles und Prinzessin Diana nach Berlin.
© AP

Der Toast auf die Queen gehört in Berlin zum Jahresablauf wie die Grüne Woche. Jedes Jahr im Juni, wenn der britische Botschafter meist in den Garten seiner Residenz zur Queen’s Birthday Party lädt, versammeln sich die Spitzen der Gesellschaft, um auf Elizabeth II. anzustoßen mit den Worten: „The Queen!“ Wie in Wimbledon gibt es Erdbeeren mit Sahne, außerdem Pimm’s, und zur Musik der Dudelsackpfeifer werden immer wieder Erinnerungen ausgetauscht an die Zeit, als die Queen irgendwie auch Königin von Spandau war, denn der Bezirk gehörte zum britischen Sektor. Dort residierte der Stadtkommandant direkt an der Havel in der Villa Lemm. In jenen Jahren wurde dort auch der Geburtstag der Königin gefeiert. Damals gab es aber auch noch Paraden zu diesem Anlass. Die letzte große Geburtstagsparade auf dem Maifeld nahm 1994 Prinz Charles im Kilt für seine Mutter ab. Unvergessen ist ihr erster glanzvoller Staatsbesuch 1965. Damals, wie auch bei ihrem zweiten Besuch 1978, gehörte die Königin zu den Hoffnungsträgern des Kalten Krieges, die für die Freiheit West-Berlins einstanden.

Viele Briten blieben Berlin verbunden

Viele Abgesandte der Queen waren später tief verwurzelt im gesellschaftlichen Leben der Stadt. Die Diplomatin Rosemary Spencer besucht noch regelmäßig Freunde hier. Und der frühere, inzwischen verstorbene Stadtkommandant Patrick Brooking, der im Philharmonischen Chor mitsang, wurde Ehrenpräsident des Internationalen Clubs nahe dem Theodor-Heuss-Platz, in dessen Räumen früher der British Officer’s Club residierte.

Im Juni 1994 versammelten sich die West-Alliierten zur großen Abschiedsparade auf der Straße des 17. Juni. Mit dabei war Johannes Hellmer, der in seiner Freizeit Zinnsoldaten mit englischen Uniformen bemalte und seit der ersten Parade 1964 nur zweimal wegen Krankheit gefehlt hatte. Der britische Brigadegeneral David de Gonville Bromhead, Soldat in siebter Generation, drückte die Hoffnung aus, „dass die starken freundschaftlichen Bande, die sich im Laufe der Jahre herausgebildet haben, weiterbestehen“.

2004 war die Queen das letzte Mal in der Stadt

Vor dem endgültigen Abzug der Alliierten spazierte die Queen 1992 durchs Brandenburger Tor und setzte zum ersten Mal Fuß auf ostdeutschen Boden. Damals besuchte sie auch die militärische Musikshow Tattoo. Umjubelt von fähnchenschwenkenden, begeisterten Schulkindern verließ sie die Stadt vom Flughafen Gatow aus – aber nicht für immer. Normalerweise besucht sie dasselbe Land allerhöchstens drei Mal. Für Berlin machte sie gleich zwei Ausnahmen. Im Jahr 2000 kam sie zurück und eröffnete die Botschaft an der Wilhelmstraße. Vor zehn Jahren kam sie noch einmal und lud Deutsche und Briten in die Philharmonie zum Benefizkonzert zugunsten der Dresdner Frauenkirche. In ihrem tiefroyalblauen Kleid stand sie dort wie ein Symbol für die unglaubliche Geschichte, wie aus Kriegsgegnern Freunde wurden. Elisabeth Binder

Die Franzosen waren am wenigsten sichtbar im Stadtbild

Bei der Truppenparade im Sommer 1987 färbten Hubschrauber den Himmel über der Siegessäule blau-weiß-rot.
Bei der Truppenparade im Sommer 1987 färbten Hubschrauber den Himmel über der Siegessäule blau-weiß-rot.
© imago stock&people

Die Franzosen waren, rein gefühlsmäßig, die am wenigsten dominanten West-Berliner Besatzer. Was zum Teil sicher daran lag, dass man in der Frontstadt durchaus ein wohlgefälliges Leben führen konnte, ohne Reinickendorf oder Wedding jemals zu betreten. Auf jeden Fall aber wirkten sie ein wenig nahbarer, hatten nicht so große Teile ihres Sektors faktisch zum Sperrgebiet erklärt. Die Franzosen, die ja militärisch keinen Anteil an der Befreiung der Stadt hatten, waren dennoch Militärs, das wurde spätestens deutlich, wenn es beim Üben in den Heiligenseer Sandbergen laut knallte; noch Jahre nach dem Abzug war ein Teil dieses Naturschutzgebietes gesperrt, weil dort Munitionsreste vermutet wurden. Doch die Franzosen engagierten sich vor allem kulturell – so entstand das Frohnauer „Centre Bagatelle“ als Sitz des französischen Kulturzentrums, das später nach Wedding ins „Centre Francais“ umzog; ab 1950 durften auch Deutsche die Bibliothek benutzen und an Veranstaltungen teilnehmen. Heute wird das Centre Bagatelle von einem privaten Verein betrieben. Eine wichtige Rolle spielte auch das Maison de France am Kurfürstendamm – das aber nicht im französischen Sektor lag.

Am Tegeler See gab es den "Pavillon du lac"

Vieles, was damals so gemutmaßt wurde über französische Lebensart hinter verschlossenen Türen, mag übertrieben gewesen sein. Da gab es am Tegeler See den „Pavillon du lac“, ursprünglich wohl eine Art Offizierskasino, später aber jedem Angehörigen der Schutzmacht und deren Gästen zugänglich, also auch Berlinern. Jene, die da waren, fanden das Essen, ja, ganz ordentlich.

Wie man ja auch umgekehrt darauf hinweisen muss, dass es Opfer des Abzugs speziell der Franzosen gab: Siegfried Rockendorf, zu seiner Zeit einziger Berliner Zwei-Sterne-Koch, hatte sein Restaurant so angeordnet, dass es von der Villa des französischen Stadtkommandanten in der Dianastraße sogar zu Fuß zu erreichen war. Er klagte später, der Abzug dieser Stammkundschaft habe ihm das Geschäft massiv verhagelt. Er rauschte in den folgenden Jahren finanziell ins Verderben, aber auch die feudale Villa bröckelt noch heute vor sich hin. Bernd Matthies

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