American-Academy-Präsident im Interview: „Wir wollen mehr junge Leute erreichen“
Gerhard Casper, Präsident der American Academy in Berlin, über die Zukunft des Hauses, die NSA-Affäre und Obama.
Gerhard Casper, 77, leitet seit 1. Juli die American Academy, als erster President-in-Residence, ein Amt, das die bisherigen Funktionen von Präsident und Geschäftsführer vereint. Er bekleidet den Posten zunächst für ein Jahr, bis ein längerfristiger Nachfolger gefunden ist. Casper, 1937 in Hamburg geboren, hat sich vor allem als Verfassungsrechtler einen Namen gemacht. Seit 1964 lehrt der Jurist in den USA, u.a. in Berkeley und Chicago. Von 1992 bis 2000 war er Präsident der Stanford University, wo er danach wieder Jura unterrichtete. Die 1994 gegründete American Academy mit Sitz am Wannsee dient dem wissenschaftlichen und kulturellen Austausch zwischen den USA und Deutschland, beherbergt amerikanische Stipendiaten und lädt prominente Experten zum Meinungsaustausch ein. Bis Ende 2014 wurde sie von Gary Smith geleitet.
Mister Casper, Sie sind in Hamburg geboren, seit mehr als 50 Jahren mit einer Berlinerin verheiratet und haben die meiste Zeit Ihres Lebens in den USA verbracht. Wie empfinden Sie Ihre Identität?
Ich habe viele Identitäten. Ich wuchs in den Nachkriegsjahren hier auf, da gab es kaum Gründe, stolz auf Deutschland zu sein. Ich war Lokalpatriot, und damals wurde diese Einstellung in einem Reim ausgedrückt: „Hamburg, Lübeck und Bremen/die brauchen sich nicht zu schämen/denn sie sind eine freie Stadt/wo Bismarck nichts zu sagen hat“. Und ich war begeisterter Europäer. Mit 26 ging ich nach Amerika, habe lange in Chicago gelebt und insofern auch eine Chicagoer Identität. Dann kamen die Jahre in Kalifornien hinzu, in Stanford, mit seinem Motto „Die Luft der Freiheit weht“. Amerikanischer Staatsbürger wurde ich, als ich Dekan der Juristischen Fakultät in Chicago wurde und mir auffiel, wie oft ich „unser Land“ und „unsere Regierung“ sagte.
Sie haben beide Staatsbürgerschaften?
Anders als die USA erlaubte Deutschland das damals noch nicht. Ich werde unruhig, wenn die Leute mich auf eine nationale Identität festlegen wollen, aber es stimmt schon, ich bin überwiegend Amerikaner. Die Verfassung trage ich immer bei mir (zieht ein zerknittertes Heftchen aus der Innentasche seines Jacketts).
Sie leiten seit dem 1. Juli die American Academy in Berlin – in einer Übergangsphase. Was sind die drängendsten Aufgaben?
Die Academy sollte sich in die Stadt hinein öffnen. Ich bin vom Universitätsleben geprägt, das oft nach innen gerichtet ist. Auch unser Hans Arnhold Center am Wannsee sorgt mit seinen eher kleinen Räumen für eine intime, persönliche Atmosphäre. Vielleicht verlieren wir das ein Stück weit, wenn wir mehr in Berlin präsent sind, aber wir wollen mehr Menschen erreichen. Wobei wir uns weniger politisch einmischen wollen als kulturell. Viele unserer Fellows sind Künstler.
In die Academy kommen schon wegen der Entfernung eher die bereits Überzeugten.
Auch deshalb wollen wir hier und da den Stil unserer Veranstaltungen verändern. Wir werden wohl ein wenig experimentieren. Mir liegt auch daran, mehr junge Leute zu erreichen. Die meisten unserer Gäste haben meine Haarfarbe – weiß. Das müssen wir ändern, andere Kooperationen eingehen, andere Themen setzen. Demnächst laden wir eine Persönlichkeit ein, die an der Schnittstelle von Öffentlichkeit und Geheimdiensten arbeitet, den Namen kann ich Ihnen leider noch nicht sagen. Diese Debatte, auch über die NSA, sollte mitten in Berlin stattfinden.
Wegen der NSA-Affäre und der Skepsis beim Freihandelsabkommen TTIP erleben die USA eine Ansehenskrise in Deutschland. Wie nehmen Sie das wahr?
In beiden Fällen haben sich starke ablehnende Koalitionen in Deutschland gebildet. Ich würde mir wünschen, dass wir bei diesen komplizierten Themen gemeinsame Fragestellungen entwickeln. Das ist eine wichtige Aufgabe der Academy: die Kompliziertheit der Sachverhalte offenlegen, wegkommen von vereinfachenden Konfrontationen. Beide Länder müssen sich vor Terror schützen, beide brauchen Geheimdienste, müssen aber auch die Privatsphäre schützen. Wie machen wir das am besten? Oder TTIP: Was genau ist falsch an den Schiedsgerichten? Bisher haben sie für Deutschland ziemlich gut funktioniert. Auch über die Ängste vor genetisch veränderten Nahrungsmitteln kann man sachlich diskutieren. Und ist es nicht bemerkenswert, dass europäische Firmen in den USA mehr investieren als irgendwo sonst? TTIP sollte unnötige bürokratische Hindernisse beseitigen, so wie der Binnenmarkt das in der EU geleistet hat. Gleichzeitig gilt: Wenn TTIP am Ende nicht kommt, ist es nicht der Weltuntergang.
Kulturelle Ausnahmen wie die Buchpreisbindung liegen Ihnen nicht am Herzen?
Doch, natürlich. Aber das lässt sich regeln, wenn die Beteiligten nur wollen.
Sie sind Verfassungsrechtler. Besorgt Sie die Infragestellung grundlegender Konzepte der Bürgergesellschaft seit 9/11? Die Praktiken der NSA, Guantánamo, die geheimen FISA-Gerichte, die über die Überwachung Verdächtiger entscheiden, ohne dass jemand deren Interessen vertritt?
Sicher bereitet mir das Sorgen (zieht die Verfassung heraus). In Amerika verweise ich da gerne auf den vierten Verfassungszusatz. Er garantiert den Schutz der Bürger in ihren vier Wänden vor „unreasonable“, sprich: unangemessenen Durchsuchungen und Beschlagnahmungen. Was bedeutet „unreasonable“? Ich würde sagen, es heißt, dass niemand ohne richterlichen Beschluss an meine Briefe, Mails oder anderen Unterlagen heran darf – und zwar eines Gerichts, das öffentlich tagt und seine Beschlüsse veröffentlicht, was bei den FISA Courts bis vor kurzem nicht der Fall war. Obama hat das geändert.
Was von Obama bleibt: Iran, Kuba und eine neue Bescheidenheit
Deutschland unterscheidet zwischen Grundrechten, die für alle gelten, und Bürgerrechten, die nur Staatsbürger haben. Amerika macht das anders.
Das US-Recht unterscheidet zwischen Menschen, die in den USA, und solchen, die außerhalb leben. Solange es all die Probleme im Nahen und Mittleren Osten gibt, samt Terrorangriffen und anderen Gefahren, scheint es mir in Amerika schwierig zu sein, für Menschen im Ausland denselben Schutz vor Abhörmaßnahmen durchzusetzen wie für Menschen im Inland.
Wünschen Sie sich trotzdem eine Änderung des Rechts?
Obama hat sich zwecks Konsequenz aus der NSA-Affäre bemüht, den Menschen im Ausland mehr Schutz zu geben. Das wird in Deutschland kaum wahrgenommen. Wichtig wäre es, die Entscheidungen über Abhörmaßnahmen auf eine höhere Ebene zu verlagern. Nehmen wir Frau Merkels Mobiltelefon. Wenn der Justizminister persönlich einer solchen Maßnahme zustimmen müsste, wäre es wohl nicht dazu gekommen. Je höher die Entscheidungsgewalt im Verwaltungsprozess angesiedelt ist, desto größer der Schutz, weil die Regierenden dann persönlich Verantwortung übernehmen müssen.
Können wir aus den deutsch-amerikanischen Krisen lernen? Es gab ja schon viele: Vietnam, Nachrüstung, Irak-Krieg …
Ich fürchte, wir Menschen lernen grundsätzlich wenig aus der Geschichte. Ich glaube allerdings, dass Obama eine Lehre aus dem Irak-Krieg gezogen hat: Bescheidenheit. Er hat der Welt wie den Amerikanern klarzumachen versucht, dass wir nicht die Weltpolizei sind.
Was wird von Obama bleiben?
Außenpolitisch drei Dinge: das Atomabkommen mit dem Iran, das Ende der Eiszeit zwischen den USA und Kuba – und eben diese Bescheidenheit. Er ist der erste Präsident der Nachkriegszeit, der erklärt: Wir können nicht alles. Wobei ich skeptisch bin, ob sich das nicht wieder ändert. Die jetzigen Präsidentschaftskandidaten neigen eher zu dem Glauben, dass Amerika sich alles leisten kann. Die Lösung von Weltproblemen oder allein die Lösung der Probleme im Nahen Osten, es ist eine Frage des Verstehens und der Mittel. Über beides verfügen wir nicht mehr und nicht weniger als andere Staaten auch.
Mehr Weltverantwortung für Europa?
In jedem Fall. Leider findet das Gegenteil statt. Die Engländer, die Franzosen, die Deutschen, alle rüsten ab.
Zu Ihren Pflichten zählt auch, Gelder einzuwerben. Für die Universität Stanford haben Sie in acht Jahren sage und schreibe 2,2 Milliarden Dollar organisiert. Ist Ähnliches in Deutschland überhaupt möglich?
Die American Academy ist vollständig privat finanziert, es gibt keine öffentliche Förderung. Deshalb sind wir immer damit beschäftigt, Mittel aufzutreiben, in Deutschland wie in Amerika. Ich mache gerade die Erfahrung, dass sich in Deutschland da einiges verändert hat. Es gibt mehr Reichtum als in meiner Jugend, mehr philanthropisches Engagement, mehr Aufgeschlossenheit für die private Unterstützung kultureller und sozialer Einrichtungen. Und es gibt ein besseres Steuerrecht für Stiftungen und Spendentätigkeit. Deshalb bin ich recht optimistisch, dass ich beim Werben für die Academy als wichtiger Einrichtung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen auf offene Ohren stoße.
Sie suchen nach einem künftigen Präsidenten für die Academy. Über welche Eigenschaften sollte er oder sie verfügen?
Lebhaftigkeit, umfassende Bildung, Flexibilität. Wir brauchen einen Wissenschaftler an der Spitze, der möglichst Deutschland-Erfahrungen mitbringt, der mit der deutschen Geschichte, der deutschen Gegenwart und der Sprache vertraut ist. Jemand, der Deutschland erst lernen müsste, hätte es schwer. Vor allem muss man in diesem Job ungeheuer aufgeschlossen sein. Ich bleibe ein Jahr, wenn es ein paar Monate mehr sind, kein Problem. Die Findungskommission tagt schon.
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