Berlin-Schöneberg: Ein Kiezspaziergang mit Gayle Tufts
Stand-up-Comedy in Deutschland? Amerikaner denken, das sei die Pointe. Nach 26 Jahren Berlin lässt Gayle Tufts sich einbürgern. Ein Spaziergang.
Wirklich? Der JFK-Platz? Sollte einer Amerikanerin nach 26 Jahren in Berlin nicht etwas Kreativeres einfallen? Gayle Tufts lacht ihr typisches Gayle-Tufts-Lachen, offen, ein bisschen dreckig, sehr laut und grundsympathisch. Dick eingepackt, roter Rollkragenpullover, dicke graue Winterjacke, Mütze, Schal und Lederhandschuhe steht sie an diesem frostigen Vormittag auf dem kleinen Markt vorm Rathaus Schöneberg und wärmt sich an einem Kaffee von Achim.
Plörre-Achim, stellt der sich grinsend vor, herzliche Umarmung. Man kennt sich, dienstags und freitags steht sein kleiner mintgrüner Kaffee-Flitzer hier, Tufts kommt fast jedes Mal, denn Achim mache schließlich „the best Kaffee in the world“. Denglisch on, ganz die Profi-Entertainerin, die Gayle Tufts nun mal ist, 57 Jahre, Comedian, Amerika-Erklärerin vom Dienst, in Zeiten wie diesen gefragt wie nie.
Doch nein, nicht die ganze deutsch-amerikanische Ick-bin-ein-Berliner-Geschichte bringt sie hierher, sie wohnt nebenan, auf der anderen Seite des Volksparks Schöneberg, in der Nymphenburger Straße, neben dem Haus, in dem Joachim Gauck wohnte, bevor er nach Bellevue zog. Auch Christiane Paul hat hier lange gelebt und Rod González von den Ärzten, Berliner Mischung. Das Rathaus sieht sie aus ihren großen Altbau-Fenstern im vierten Stock ebenso wie das alte Rias-Gebäude, heute Deutschlandradio, am Hans-Rosenthal-Platz, Grüße aus dem Amerikanischen Sektor.
Alles Zufall, sagt sie, wie so vieles in ihrer Karriere, in ihrem Leben. „Wenn ich in Amerika erzähle, dass ich Stand-up-Comedy in Germany mache, denken alle, das ist die Pointe.“ Nach Europa habe sie immer gewollt – wegen Kunst und Musik, of course! – nach dem Schauspielstudium und 13 Jahren in New York. Als glühender Bowie-Fan habe sie exciting Berlin natürlich interessiert, erzählt sie – sein Haus in der Hauptstraße 155 liegt selbstverständlich auch auf der Route ihrer wichtigsten Orte im Kiez.
Anfang der 90er dann ein Angebot von der Tanzfabrik, zwei Jahre zu bleiben, da war sie schon 30 und dachte: Jetzt oder nie. Sie lernte „ihren Bremer“ kennen, 23 Jahre hält das nun schon. Berlin ist die aufregendste Stadt der Welt, sagt sie, ihr Zuhause. Auch wenn die USA ihre Heimat bleibe.
Was bedeutet Heimat?
„Heimat“, was heißt das eigentlich? Sie blickt in den grauen Himmel über dem Rathaus Schöneberg, schönstes Novembergrau, „heute Morgen konnte ich nicht mal den Turm sehen“, sagt sie und lässt eine kurze, weniger druckbare Schimpftirade über den Berliner Winter los. Heimat, das heißt zum Beispiel das Licht in Massachusetts, wo sie aufgewachsen ist, „Brockton, das Spandau von Boston“. Ein bestimmter Geruch, das Essen, der Akzent, ein Lebensgefühl, Temperament. „Ihr deutschen Frauen seid so...“, sie arrangiert nicht vorhandene Objekte auf Achims einfachem Stehtisch. „Ich hab das Gefühl, ihr wart alle auf irgendeiner „How to be a Woman“-Schule.“ Amerikanische Frauen seien robuster, lauter. „Niemand wird irgendwann denken, dass ich Deutsche bin.“
Dabei hat sie gerade hier, in den historisch aufgeladenen Räumen des Rathauses ihre Einbürgerung auf den Weg gebracht. Nach 26 Jahren und Donald Trump hat sie sich entschieden, Deutsche sein zu wollen. „Ich zahle hier meine Steuern, meine Rente, meine Versicherung, aber ich darf nicht wählen.“ Mit dem Tod ihrer Mutter habe sie abgeschlossen mit Amerika. „Es gibt kein Haus, ich habe keine Kinder, die ihre Wurzeln kennenlernen müssen“, sagt sie. Urlaub in der Heimat heißt für sie vor allem: Arbeit. „Ich verliere ein Stück meiner Identität“, sagt sie. „Doch es ändert nicht, wer ich bin.“
Ralf Wieland, Präsident des Abgeordnetenhauses, hat sie eingeladen, am Donnerstag die Festrede zu halten bei der Einbürgerungsfeier für 250 Neubürger im Preußischen Landtag – falls der bürokratische Prozess bis dahin abgeschlossen ist. Berliner Normalität, aber Wieland wird’s schon richten. Den Einbürgerungstest bestanden hat sie jedenfalls.
Klopse in der Rathauskantine
Drüben in der Rathauskantine gibt’s mittags Suppe für drei Euro und Klopse natürlich, „da hat man immer das Gefühl, dass Willy Brandt gleich um die Ecke kommt“, sagt sie und lacht wieder ein bisschen zu laut. „Schöneberg ist so unhip, dass es schon wieder hip ist.“
Jetzt aber kauft sie nur einen Apfel am Gemüsestand gegenüber. Kurze Verhandlung, Teststückchen, Elstar soll es sein. Sechsmal pro Woche wird sie ab Freitag bis zum 26. Dezember auf der Bühne des Theaters am Kurfürstendamm stehen für ihre Weihnachtsshow „Very Christmas“. „Da kann ich keinen Gänsebraten essen, keinen Glühwein trinken.“ Sie holt das alles später nach, auf Rügen, im Zug dahin isst sie stapelweise Zimtsterne. Bis zur Premiere am Sonntag muss sie noch die Bronchitis loswerden, also schnell weiter, die Belziger Straße hinunter, ein bisschen in Gang kommen, warm werden beim Spazieren.
Das Take-out-Fenster des Narkosestübchens ist morgens um 11 Uhr schon geöffnet, hier gibt’s das 0,3-Kindle noch für 2,20 Euro, Alt-Berliner Raucherkneipe, Eckkneipe ohne Ecke. „Gegenüber muss irgendwo ein Start-up sein“, sagt Tufts, „da lungern mittags immer die jungen Hipster rum, great Setting.“ Mit Batida de Côco für 1,50 Euro.
Ein Stück weiter, den Heinrich-Lassen-Park rechts liegen gelassen, bleibt sie stehen, mitten auf der Kreuzung Merseburger Straße. Nichts erinnert mehr ans Lina Rothenberger, einst liebevoll eingerichtetes Lokal mit schwäbischer Hausmannskost, die Betreiberin hat vor ein paar Monaten aufgegeben. Der Vermieter habe die Miete verdreifacht, sagt Tufts, schüttelt den Kopf. „Der Laden lief gut, ich kann es immer noch nicht glauben.“ Hinter den Fenstern ist es dunkel, nichts Neues in Sicht.
„Aber das sieht doch aus, als ob wir in Bielefeld auf Tournee sind.“
Zweimal hat Gayle Tufts schon erlebt, wie ein Viertel sich komplett gewandelt habe, Ende der 70er im East Village in New York, dann Anfang der 90er in der Fidicinstraße, wo ihr Berlin-Abenteuer begann. „Der Bergmannkiez ist so teuer geworden“, sagt sie. Seit zehn Jahren wohnt sie in Schöneberg, manchmal sorgt sie sich auch um ihren Akazienkiez. Gegenüber dem kleinen Platz hat ein neuer Laden eröffnet, wie aus einem Mitte-Bilderbuch. „Ein vegetarischer Frühstücksort wäre der Hammer hier“, sagt sie. „Aber das sieht doch aus, als ob wir in Bielefeld auf Tournee sind.“ Dann doch lieber daneben ins Renger-Patzsch, „große Tische und immer drei Tage geschmortes Irgendwas.“
Es geht weiter in Richtung Akazienstraße, bei Rot natürlich, so deutsch ist sie dann doch noch nicht. Aufwärmen in der Bar Oro Nero, noch ein Americano. Nach der Trump-Wahl habe sie einen Nervenzusammenbruch erlitten, erzählt sie. Morgens um 4.30 Uhr lag sie heulend auf dem Boden ihrer Wohnung, der Bremer hat sie wieder aufgerichtet mit Wärmekissen und Bachblüten. Monatelang hatte sie in einer Kolumne für „ntv“ und in vielen weiteren Interviews erzählt, dass Trump „never ever“ passieren würde. Ihr neues Buch hatte eigentlich ein prickelndes Sommerbuch werden sollen, Prosecco-Stimmung, Hillary und sie: „American Women“.
„Der Schock geht nicht weg“, sagt sie. „Im Gegenteil: Es wird immer schlimmer, mit jeder Nachricht.“ Viele ihrer Freunde hätten einige Kilo zugenommen, Frustfuttern, Trump-Rump nennt sie das – Trump-Hintern. Sie habe auch verstärkte Lust auf Pizza empfunden. Seit Jahren kämpfe sie gegen die Pfunde, trainiert regelmäßig in einem kleinen Frauen-Fitnessstudio in der Babelsberger Straße. „Wenn ich auf der Bühne stehe, kann ich es mir nicht leisten, nicht fit zu sein“, sagt sie. An diesem Morgen muss der Apfel reichen gleich bei der Probe.
„Oh, du Fröhliche“
Apropos Probe – was, wie spät ist es? Bowie wird gestrichen, auch in die Fotoausstellung ins Haus am Kleistpark schaffen wir es nicht mehr. „Das ist ein tolles Haus“, sagt Tufts, sie hat es kürzlich erst entdeckt und ist seither häufig dort, „da werden vor allem Künstlerinnen gefördert.“ Aber keine Zeit: Um 12.30 Uhr muss sie in der Stagefactory sein, Rheinstraße, Friedenau. Heute mit Engelskostüm und deshalb ohne Fahrrad – auch wenn die Parkplatzsuche auf beiden Seiten länger dauert als die Fahrt.
Very Christmas also, weil sie SEHR viel Weihnachten braucht, sagt Tufts. Die Fröhlichkeit, die bei ihr selbstverständlich mehr „Frosty the Snowman“ als „Oh, du Fröhliche“ ist, braucht sie in diesem Jahr ganz besonders. „Ich bin mir sehr bewusst, wo wir sind“, sagt Gayle Tufts. Das Ku’damm-Theater, „das letzte Max-Reinhard-Theater in Berlin. Und es wird abgerissen, um eine Shopping-Mall zu bauen.“ Und dann ist ja auch gleich um die Ecke die Gedächtniskirche mit dem Weihnachtsmarkt, „dieser Schreck sitzt immer noch tief in uns.“ Die Show soll auch eine Auszeit sein vom Nachrichtenwahnsinn.
Das heißt für sie auch: Zwei Stunden ohne Trump. „Ich bin mir sicher, nach der Show wird er auch noch etwas twittern. Wenn wir nach Hause gehen und die Nachrichten anmachen, ist er immernoch da.“ Vielleicht klingt den Leuten dann aber noch „I’m so excited“ im Ohr. Von ihr gesungen als schwangere Maria. Sehr Weihnachten eben.
„Very Christmas“, ab 24. November, Dienstag bis Samstag, 20 Uhr, Sonntag, 18 Uhr, Karten ab 13 Euro. Das Buch „American Woman“ ist im aufbau taschenbuch Verlag erschienen, 229 Seite, 12,99 Euro. Weiter Infos www.gayle-tufts.de.
In unserer Reihe "Eine Runde Berlin - Streifzüge durch die Kieze" bereits erschienen: Mit Autorin Jana Hensel in Prenzlauer Berg und am Fernsehturm. Mit Sängerin Inga Humpe am Spree-Ufer in Mitte. Mit Weltenbummlerin Heidi Hetzer im Opern-Viertel. Mit DJ Alfred Heinrichs durch Lichtenberg. Mit Lüül durch Eichkamp in Westend. Mit dem Hauptmann-Darsteller Jürgen Hilbrecht durch Köpenick. Mit Sängerin Elif durch Moabit. Mit Autorin Emilia Smechowski durch Kreuzberg. Mit dem Botschafter des Vatikans an der Hasenheide entlang. Mit dem SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck durch das südliche Neukölln. Mit Berlinale-Chef Dieter Kosslick zwischen Hansaviertel und Moabit. Mit Prenzlschwäbin Bärbel Stolz durch, na klar, Prenzlauer Berg. Mit Autor und Kurator Dmitrij Belkin durch das Bayerische Viertel.
Anke Myrrhe