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Moabiter Erinnerungen. Elif trank Limo in der Bredowdisko und wurde im U-Bahnhof Birkenstraße beim Schwarzfahren erwischt.
© Kitty Kleist-Heinrich

Mit Popsängerin Elif durch ihren alten Kiez: Born in Moabit

Berlin ist für sie emotional besetzt, in jeder Ecke lauern Erinnerungen. In Moabit ist die Popsängerin Elif aufgewachsen und erwachsen geworden. Ein Spaziergang.

Von Laura Hofmann

Gerade noch war Elif im Süden Portugals, hat dort das Video für ihr Lied „High 5“ gedreht, jetzt sitzt sie im Café Tirrée in der Birkenstraße in Moabit. Um die Ecke in der Stephanstraße wurde sie geboren, ist sie aufgewachsen. Damals gab es dieses Café noch nicht, das heute zu den angesagten im Kiez gehört.

Draußen kann sich der Spätsommer nicht entscheiden, ob er es regnen oder die Sonne gewinnen lässt. Elif hat eine Schiebermütze auf dem Kopf und gerade eine Gurke gekauft, eine pelzige Ziergurke, die wollte sie uns eigentlich zeigen, doch jetzt findet sie sie nicht mehr.

„Gegenüber beim Kiosk habe ich früher immer meine Fahrkarten gekauft“, erzählt sie, die eigentlich Elif Demirezer heißt, aber unter ihrem Künstlernamen Elif bekannt ist, und zeigt auf die andere Straßenseite, wo Gerüste vor Altbauhäusern daran erinnern, dass auch Moabit „kommt“, und das schon ähnlich lange wie Wedding.

Damals ist sie an dieser U-Bahnstation mal beim Schwarzfahren erwischt worden. Das war in einem anderen Leben. Mit 19 zog sie von Zuhause aus, heute lebt die bald 25 Jahre junge Popsängerin in Friedrichshain und ist so bekannt, dass ihr nächstes Berlin-Konzert im Lido sofort ausverkauft war. „Wir hätten wohl auch das Astra vollgekriegt, aber das war nicht frei“, sagt sie und freut sich. Sie spricht, wie sie singt, mit einer Weisheit in der Stimme, die manche vielleicht als altklug bezeichnen würden. „Bei mir geht es immer ums Ganze, immer um Leben und Tod“, sagt sie selbst – und lacht.

Als sie ihnen das Lied vorspielte, brachen ihre Eltern in Tränen aus

Um Beziehungsdramen geht es in ihrem Album „Doppelleben“, das im Frühjahr erschienen ist. Der Titel ist auch der des Songs, in dem sie die schwierige Beziehung zu ihren Eltern besingt. „Ich will euch alles sagen können, damit ihr seht und versteht, wer ich bin (...) den ganzen Fake aufgeben, Schluss mit diesem Doppelleben“, heißt es darin.

Es sei notwendig gewesen, dieses Lied zu machen, sagt Elif an diesem Septembernachmittag. „Irgendwann haben wir nicht mehr richtig miteinander geredet, ich konnte mit meinen Eltern nicht in die Tiefe gehen.“ Als sie ihnen das Lied vorgespielt habe, seien sie in Tränen ausgebrochen, doch seitdem sei es zwischen ihnen besser geworden.

Ihre Eltern kamen 1987 aus der Türkei. Sie sind eher konservativ, und sie hätten sich sicher etwas anderes für ihre Tochter gewünscht als eine Karriere als Sängerin. Doch heute seien sie froh, dass Musik sie glücklich mache. Sie würde so oder so singen, sagt sie. Zum Glück könne sie davon leben.

Lange Zeit suchte sie Ersatzfamilien in Freunden und in Beziehungen zu Männern. Irgendwann merkte sie, dass sie die Basis stärken muss, also die Beziehung zu ihren Eltern und den drei Geschwistern. Ausziehen musste sie trotzdem: „Zu Hause hätte ich mich nicht weiterentwickeln können.“

Die Sängerin hat das Café verlassen und läuft durch die Straßen Moabits, vorbei an der Bredowstraße. Dort rechts war früher die Bredowdisko, da war sie als 14-Jährige oft und hat „Capri-Sonne“ getrunken. Zwei Jahre später nahm sie an der Castingshow Popstars teil, belegte mit ihrem Partner Niklas Dennin den zweiten Platz. Der Durchbruch kam mit 16 Jahren. 2012 nahm Tim Bendzko sie auf seine Clubtour mit. Im März 2013 erschien ihre erste Single „Unter meiner Haut“.

Vor der Jugendverkehrsschule in der Bremer Straße bleibt Elif stehen. Vor zwei Jahren hat sie bemerkt, dass sie eine Rechts-Links-Schwäche hat. Dass sie dort damals beim Fahrrad-und Führerscheintraining Probleme hatte, ergibt nun Sinn.

Weiter geht es Richtung Arminiusmarkthalle. „Ich mag Moabit, weil es sich so mischt. Ich bin in einem Haus mit Arabern, Russen, Italienern und Türken aufgewachsen“, erzählt Elif, während sie an Marktständen vorbeischlendert. Als Kind wurde sie in der Schule gehänselt, „wahrscheinlich bin ich deshalb Künstlerin“.

„Migrationshintergrund“ - das klingt irgendwie wie eine Krankheit

Ob sie sich selbst als Deutsch-Türkin sieht? Sie fühle sich als Deutsche mit Migrationshintergrund, antwortet Elif. Obwohl sie findet, dass „Migrationshintergrund“ wie eine Krankheit klingt. „Im Urlaub bin ich einfach deutsch. Ich lege jetzt nicht mein Handtuch auf die Liege, aber ich bin sehr herzlich und umarme immer alle.“

Sie wirkt so emotional wie ihre Lieder, alle Texte haben einen autobiografischen Hintergrund. Und sie passen gut in ihre Generation, die oft als „Generation Y“ bezeichnet wird und sich unter anderem durch angebliche Beziehungsunfähigkeit und einen Drang zur Sinnstiftung durch Arbeit auszeichnet. „Wir gehören zu einer Generation, die immer ,next‘ klickt. Das sieht man auf Dating-Apps wie Tinder und bei Läden wie H&M und Co. Du kannst alles jederzeit kaufen, alles ist ersetzbar“, stellt Elif fest. Doch dass sich nur scheinbar alles ersetzen lässt, auch davon handelt ihr Song „Umwege gehen“, in dem sie eine besonders schmerzhafte Trennung verarbeitet hat.

„Ich hab so viel nachgedacht, ich hab so viele graue Haare bekommen“, sagt Elif und läuft die mit Backshops, Döner- und Falafelläden gepflasterte Turmstraße entlang. „Ich sehne mich so sehr nach Leichtigkeit.“ Das will sie auch auf ihrer dritten Platte spüren lassen. „Berlin ist für mich emotional so besetzt. Ich gehe durch die Straße und sehe eine Wiese, wo mir mal das Herz gebrochen wurde.“ Vielleicht pendelt sie mittlerweile deshalb zwischen Hamburg und ihrer Heimatstadt.

Elif hat die Eisdiele Marcon in der Turmstraße erreicht und bestellt eine Kugel Schokolade. Den Laden kennt sie von früher, noch hat die Gentrifizierung ihn nicht dahingerafft. An den Tischen auf dem Bürgersteig sitzen Frauen in Kopftüchern mit ihren Kindern und essen Eis. Und Elif sagt wieder einen ihrer typischen Sätze: „Wenn das Leben einem die Hand reicht, dann muss man zugreifen, deswegen bin ich heute hier.“

In unserer Reihe "Eine Runde Berlin - Streifzüge durch die Kieze" bereits erschienen: Mit Autorin Jana Hensel in Prenzlauer Berg und am Fernsehturm. Mit Sängerin Inga Humpe am Spree-Ufer in Mitte. Mit Weltenbummlerin Heidi Hetzer im Opern-Viertel. Mit DJ Alfred Heinrichs durch Lichtenberg. Mit Lüül durch Eichkamp in Westend. Mit dem Hauptmann-Darsteller Jürgen Hilbrecht durch Köpenick.

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