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Alles so schön bunt hier. Berlinale-Chef Dieter Kosslick flaniert gerne über den Ökomarkt am Hansaplatz.
© Kitty Kleist-Heinrich

Eine Runde Berlin: Streifzüge durch die Kieze: Mit Dieter Kosslick dem Geschmack auf der Spur

Ein kulinarischer Spaziergang mit Berlinale-Chef und Gourmet Dieter Kosslick zwischen Hansaviertel und Moabit.

Auf dem Ökomarkt am Hansaplatz ist Dieter Kosslick in seinem Element, ein gern und häufig gesehener Stammkunde. Zu Beginn des Spaziergangs muss er sich erst mal mit einer Brezel vom Stand des Schafhofs „Schafgarbe“ stärken: „Die sind richtig gut.“ Der Berlinale-Chef, Erfinder des Kulinarischen Kinos, ist Gourmet und Vegetarier – und jemand, der sehr bewusst mit Lebensmitteln umgeht. Als Nächstes bittet er den Kaffee-Mann, Espresso zum Stand der Gärtnerei „Apfeltraum“ rüberzuschicken.

„Die kenne ich seit 25 Jahren“, erzählt er und schwärmt vom allerersten Ökomarkt der Stadt, „auf dem Chamissoplatz.“ Den Einwand, er sei doch erst seit 2001 in Berlin, quittiert er mit geheimnisvollem Lächeln. „Damals hatte ich eine Freundin in Berlin.“ Diese jüdische Freundin hat den bekennenden Gourmet ursprünglich auf den Weg zum Fleischentzug gebracht: Bei ihr gab es kein Schweinefleisch.

Zum konsequenten Vegetarier wurde er aber erst später, als er seine Frau, die Fernsehproduzentin Wilma Harzenetter, kennenlernte. Mit ihr und dem gemeinsamen Sohn Fridolin lebt er seit Jahren im Hansaviertel. Dessen Bewohner erleben den liebenswert-lustigen Mr. Berlinale auch schon mal als höchst engagierten, sogar kämpferischen Bürger.

"Das war für mich gefühlt Paris"

Auf dem Weg zur Arminiusmarkthalle geht es über die Hansabrücke, dann über das Kopfsteinpflaster am Bundesratsufer. Er deutet auf die herbstlich verfärbten Bäume, die Trauerweiden am Flussufer. Hier hat er sich in Berlin verliebt. „Das war für mich gefühlt Paris.“ Immer wieder bleibt er vor Häusern stehen und erzählt Geschichten über deren Bewohner. In einem gelben wohnt eine Familie, die er vom Markt kennt, in einem roten die Künstlerin Rebecca Raue. Er ruft sie gleich mal an, um zu sehen, ob sie zu Hause ist. Leider nicht.

„Guten Appetit“, ruft er einer jungen Frau zu, die essend auf einer Bank sitzt und ihn anlächelt. Das wird im Laufe des Spaziergangs noch öfter passieren, dass Frauen ihn anlächeln. Einen australischen Filmemacher, der ebenfalls hier wohnt, ruft er nicht an. Dafür legen wir einen kleinen Zwischenstopp bei Domberger Brot, Ecke Essener und Bochumer Straße, ein. „Das riecht hier so gut“, sagt er, kauft gleich ein Stück Obstkuchen.

„Echte Handarbeit, das schmeckt man“, sagt er zufrieden. Plötzlich fällt ihm ein, dass er in jüngeren Jahren die wohl erste Öko-Seite in der deutschen Zeitschriftenlandschaft durchgeboxt hat. Das war 1982, damals war er Schlussredakteur beim Magazin „Konkret“.

Durch den Kleinen Tiergarten radelt er gern mit seinem Sohn. „Da hole ich meinen Pass“, sagt er und zeigt einem Bekannten aus dem Schwarzwald, der ihn gerade besucht, das Rathaus Tiergarten. „Wenn man es anmalen würde, dann würde es besser aussehen.“ Seinen Pass braucht er auf den Reisen für die Berlinale ziemlich oft.

"Der nächste große Hotspot ist Moabit"

Er ist ein Fan der Arminiusmarkthalle und freut sich, „dass sie an Fahrt aufnimmt“. Augenzwinkernd zeigt er auf Stühle vor dem Kramladen im Eingangsbereich. „In Prenzlauer Berg könnte man das Zigfache dafür nehmen. Hier sieht’s nur so aus wie von hier.“ Die Markthalle ist für Dieter Kosslick auch eine Art ethnologisches Museum.

Da zum Beispiel der Mann, der halbe belegte Schrippen für 80 Cent verkauft, der ist schon ewig da, repräsentiert die Vergangenheit. Der italienische Lebensmittelladen „Alimentari e Vini“ steht für die Gegenwart. Die Zukunft gruppiert sich rings um Berlins längste Tafel herum, an der er mal die besten Fish & Chips gegessen hat. Restaurants wie Rosa Lisbert, Ceviche aus Peru und der neue Mexikaner Lucha Libre , wo es tolle Quesadillas mit Guacamole gibt, stehen für die Zukunft. „Alles hier ist picobello frisch“, schwärmt er.

Der nächste große Hotspot ist Moabit.“ Gleich neben der Markthalle befindet sich mit dem Kaffeehaus Moabit, auch bekannt unter dem Namen „Natürlicher Lebensraum“, eines seiner absoluten Lieblingsziele in dieser Gegend. Besitzerin Antje strahlt auf, als sie ihn sieht. Gerade erweitert sie den Laden, erzählt von ihrer Crowdfunding-Kampagne Antjes Café. „Da mache ich mit“, sagt Dieter Kosslick sofort und studiert die höchst appetitlich sortierte Torten-Theke: „Ist das nicht der Hammer?!“, sagt er fast mit Besitzerstolz.

In seinem Element. Berlinale-Chef Dieter Kosslick während der Filmfestspiele 2017.
In seinem Element. Berlinale-Chef Dieter Kosslick während der Filmfestspiele 2017.
© Odd Andersen/FP

Mitfühlend hört er die Geschichten über den Ärger mit der ewigen Baustelle vor der Tür, die natürlich Kunden vergrault hat. Er kriegt sichtlich Lust, im Bezirksamt auf den Tisch zu hauen. „Das Tiefbauamt versenken wir“, sagt er mit ungewohnt finsterer Miene. „Das ist doch ein Albtraum, dass die kleinen Geschäftsleute, die hier Leben reinbringen, so geschädigt werden.“ Wo er gerade so schön in Fahrt ist, regt er sich auch noch richtig kräftig über die Politiker auf, die gerade die Gefahren herunterspielen, die im Tiergarten lauern. Unfassbar findet er das. „Der Tiergarten muss für uns und unsere Kinder wieder ein sicherer Ort werden.“

Im großen Asia Markt in der Turmstraße kauft er immer seinen grünen Tee. Seinen Honig bezieht er aus dem nahe gelegenen Schulgarten, den er aus leidenschaftlicher Überzeugung fördert.

Er hatte früher noch einige Rückfälle in die Zeit als Fleischesser. Einmal hat ihn der schwäbische Sternekoch Vincent Klink verführt, dann ist er noch mal in Italien schwach geworden. Die Maultaschen mit Brätfüllung seiner verstorbenen Mutter sind in seiner Erinnerung noch lebendig, Ossobuco und rosa gebratene Entenbrust auf Senfschaum ebenfalls. Aber das sei vorbei.

Süßes Leben in der Wilsnacker Straße

Der Name seines Lieblingslebensmittelladens in der Wilsnacker Straße fällt ihm gerade nicht ein, und als wir dort ankommen, weiß er auch sofort warum. „Zu viel Film“, lacht er. Der Laden heißt wie der gleichnamige Fellini-Streifen „La Dolce Vita“. Und natürlich ist er auch hier bekannt, erzählt gleich mal von Antjes Crowdfunding-Kampagne. Zielstrebig geht er die kleine Treppe hoch zum hintersten Regal: „Schupfnudle“, sagt er triumphierend und hält ein Paket hoch. Dann braucht er noch Fridolins Lieblingsbiofassbutter, ein halbes Mehrkornbrot, zwei Äpfel und das gute Black Forest Tofu, das bei ihm als Speckersatz auf dem Zwiebelkuchen landet.

Draußen empfiehlt er en passant den besten Platz bei „Sapore di Casa“, dem kleinen Italiener nebenan. Was die 30 Meter hohe „Herrschaftsarchitektur der Justiz mit kleinen Kohlenklauern macht“, schildert er engagiert auf dem Weg zur Kirchstraße, der am Amtsgericht Tiergarten vorbeiführt. Ah, ein neuer Crêpe-Laden! Da fällt ihm gleich eines seiner von der Bühne im Berlinale-Palast berühmten Wortspiele ein: „Nicht Hummer, sondern Crêpes“ (wie Krebs).

Am Hansaplatz endet der Spaziergang. „Wie das wieder aussieht“, seufzt Kosslick mit Blick auf den Müll auf dem Rasen. Er muss an seine Mutter denken, an einen gemeinsamen Besuch in New York vor vielen Jahren, als es da auch noch schlimm aussah. „Gib mir einen Besen und zwei Tage Zeit,“ hat sie in ihrer Mundart gesagt. „Das Manhatte, das räume mir schon auf.“

In unserer Reihe "Eine Runde Berlin - Streifzüge durch die Kieze" bereits erschienen: Mit Autorin Jana Hensel in Prenzlauer Berg und am Fernsehturm. Mit Sängerin Inga Humpe am Spree-Ufer in Mitte. Mit Weltenbummlerin Heidi Hetzer im Opern-Viertel. Mit DJ Alfred Heinrichs durch Lichtenberg. Mit Lüül durch Eichkamp in Westend. Mit dem Hauptmann-Darsteller Jürgen Hilbrecht durch Köpenick. Mit Sängerin Elif durch Moabit. Mit Autorin Emilia Smechowski durch Kreuzberg. Mit dem Botschafter des Vatikans an der Hasenheide entlang. Mit dem SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck durch das südliche Neukölln.

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