Dem Goldnest auf der Spur: Das verdächtige Treiben der Berliner Clan-Söhne
Vor dem Diebstahl des goldenen Nests beobachteten Fahnder an der Marzahner Schule junge Clan-Mitglieder. Hätte die Tat verhindert werden können?
Es ist Mittwochmorgen, 15. Mai 2019, wenige Minuten nach Sonnenaufgang. Die Beamten in der Zentrale schicken, wie sie später notieren, eine SMS an die Berliner Polizeiführung, so wie immer bei besonderen Ereignissen. Das Kunstwerk „24kt“, auch „Goldnest“ genannt, ist aus der Fuchsberg-Grundschule in Marzahn-Hellersdorf gestohlen worden. Die 74 Zweige des Nestes bestehen aus 814 Gramm 999er-Feingold.
Die Ermittler vermuten kriminelle Mitglieder deutsch-arabischer Clans hinter der Tat. Denn es gab Hinweise auf die Einbruchspläne, schon Tage zuvor ging polizeiintern eine Warnung heraus, die Clans könnten wieder zuschlagen. Als die SMS am Mittwoch um 5.20 Uhr an die Polizeiführung gesendet wird, ist es zu spät.
Wie konnte das passieren? Ausgerechnet jetzt, da der Senat und die Berliner Polizei den Clans den Kampf angesagt haben. Etwas mehr als zwei Jahre ist es her, dass die Goldmünze „Big Maple Leaf“ aus dem Bodemuseum in Mitte gestohlen wurde. Noch immer läuft der Prozess gegen drei Mitglieder der Großfamilie R.
Der Fall des gestohlenen Goldnestes zeigt, wie schwer der Kampf gegen die Clans sein kann. Es soll besser werden mit dem von Innensenator Andreas Geisel (SPD) im November vorgelegten Fünf-Punkte-Plan: Kleinste Straftaten sollen verfolgt und Vermögen abgeschöpft werden, dazu mehr Kontrollen der Finanzaufsicht geben – und eine neue Koordinierungsstelle Organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt.
Die Polizei überprüft jetzt regelmäßig Spielhallen und Shishabars in Neukölln, die Treffpunkte der Clan-Mitglieder. Der Personalaufwand ist hoch, immer mehr Überstunden fallen an, Ordnungsamt, Steuerfahnder und Gewerbeaufsicht rücken mit aus – oft medienwirksam, zuweilen mit Senator Geisel vor den Kameras.
Doch beim Diebstahl des Goldnestes hat das alles nichts genutzt. Dabei hätte die Tat womöglich verhindert werden können. Wenige Tage zuvor hatten sich die Hinweise auf einen bevorstehenden Einbruch verdichtet. Die Ermittler der Direktion 6 in Marzahn-Hellersdorf waren unmissverständlich. Die Warnung kam zwar an, doch die Schutzmaßnahmen verliefen nach dem üblichen Muster. Aber dazu später. Es sollte nicht die einzige Panne in diesem Fall bleiben.
Am Freitag kurz vor 17.30 Uhr beobachten Kripobeamte der Direktion 6 an der Schule in der Apfelwicklerstraße im Ortsteil Biesdorf zwei junge Männer und ein Kind.
Die beiden Älteren werden bei der Polizei als Intensivtäter geführt. Mussa R., 19, Sohn des mächtigen Clanchefs Issa R., sowie Munyr F., 18, der ebenfalls einer der zwölf Berliner Großfamilien aus dem Libanon entstammt, deren Mitglieder seit Jahren durch Straftaten auffallen. Auch Munyrs zehnjähriger Bruder ist dabei. Alle drei sind staatenlos.
Sabotagealarm: Schultür ließ sich nicht schließen
Die Beamten der „Fahndungs-, Aufklärungs- und Observations-Einheit“ der Direktion 6 beobachten, wie Munyr F. kurz in die Schule geht, wo im Foyer die Vitrine für das Goldnest in eine Wand eingelassen ist. Die Ermittler finden sein Auftreten auffällig, ganz gezielt soll er zu dem Glaskasten schauen. Dann verschwindet das Trio zur U-Bahnstation Elsterwerdaer Platz.
Die Fahnder ermitteln noch, dass tags zuvor schon ein „Sabotagealarm“ ausgelöst wurde. Eine Reinigungskraft konnte am Donnerstagabend um 22.15 Uhr die mit Sicherheitscode versehene Schultür nicht mehr verriegeln. Jemand könnte versucht haben, die Alarmanlage zu manipulieren. Der Wachschutz musste die Nacht über ran, die Anlage wurde repariert. Später wird den Ermittlern noch von einem weiteren „Erschütterungsalarm“ berichtet.
Spätestens seit dem späten Freitagabend ist mit dem Bericht der Fahnder auch die Warnung bis hoch zur Zentrale der Polizei herausgegangen, es könne ein Einbruch von Mitgliedern der Clans geplant sein – oder zumindest nicht ausgeschlossen werden. Wegen der Vita der Intensivtäter, wegen der Großfamilien. Und es gab schon zuvor Einbruchsversuche.
Nachdem die Fuchsberg-Grundschule ihren Neubau bezogen hatte, war das Werk im November 2018 enthüllt worden. Geschaffen hat es der Steglitzer Künstler Thorsten Goldberg. Seine Idee – die Schüler und Ehemalige können nach 14 Jahren entscheiden, was mit dem Gold geschieht – setzte sich beim Wettbewerb für die obligatorische Kunst am Bau durch. 80 000 Euro sah die Ausschreibung vor: Für das Kunstwerk, für Honorar, Einbau und Sicherheitstechnik, Alarmanlage, ein gläserner Wandsafe – alles auf Rat der Polizei.
„Das Kunstwerk war besser gesichert als die Goldmünze im Bodemuseum“, sagt Goldberg. Schon wenige Tage nach der Einweihung wollten Unbekannte ins Gebäude gelangen, scheiterten aber an der Eingangstür. Die wurde verstärkt. Ein weiterer Einbruch scheiterte Ende Februar.
Nach dem Besuch des Clan-Nachwuchses ordnet die Direktion 6 für das Wochenende an, dass die Streifenwagen häufiger an der Schule vorbeifahren sollen. Die Zentrale schickt Zivilstreifen der Landeseinsatzreserve. Ob die Anti-Clan-Ermittler vom LKA informiert werden, bleibt unklar.
Ab Montagmorgen ist auch die Berliner Polizeiführung im Bilde: Ihr wird wie an jedem Wochentag ein Lagebericht zu kriminellen Mitgliedern arabischer Großfamilien vorgelegt. Dann geschieht offenbar nichts. Die Anordnung für verstärkte Streifen an der Schule läuft am Montagvormittag aus.
Die Täter brauchten nicht einmal 14 Minuten
Am Mittwoch geht kurz nach Mitternacht bei der Wachschutzfirma ein stiller Alarm ein. Ausgelöst um 0.08 Uhr an einem Fenster gleich neben dem Haupteingang. Die Täter schneiden ein 20 mal 25 Zentimeter großes Loch in das Sicherheitsglas, betätigten den Fenstergriff, steigen ein und gehen ins Foyer zur Vitrine.
Der Chef der Wachschutzfirma informiert um 0.10 Uhr einen Mitarbeiter, nicht aber die Polizei. Während der Fahrt des Mitarbeiters geht ein weiterer Alarm ein – ausgelöst an der Vitrine. Der Mitarbeiter sagt seinem Chef am Telefon, jetzt sollte die Polizei verständigt werden.
Der Chef lehnt ab, weil ein Polizeieinsatz zu hohe Kosten verursachen würde. Es ist 0.22 Uhr, als der Wachmann in der Schule ist, die Vitrine leer sieht und die Polizei alarmiert. Der erste Streifenwagen ist um 0.32 Uhr da.
Die Beamten finden ein 13 mal 15 Zentimeter großes Loch in der siebenfach verglasten Scheibe der Vitrine. Zivilstreifen werden zu den Wohnorten von Munyr F. im Lichtenberger Ortsteil Friedrichsfelde und Mussa R. in Alt-Buckow im Süden Neuköllns geschickt.
Warum wurde nur die Streifen verstärkt?
Am Mittwoch erwirkt die Staatsanwaltschaft Durchsuchungsbeschlüsse, es muss schnell gehen. Wenn das Gold erst eingeschmolzen ist, wird es schwierig mit der Beweisführung. So war es wohl auch bei der Goldmünze aus dem Bodemuseum.
Am Nachmittag rücken Spezialeinheiten und Ermittler in zwei Wohnungen und bei einem Juwelier in Buckow, Neukölln und Friedrichsfelde an, auch ein Auto in Britz wird überprüft. Sie finden nichts, festgenommen wird niemand. Nicht wenige Beamte wundern sich, warum trotz der Warnung der Fahnder zuvor nicht mehr getan wurde, als zusätzliche Streifen an der Schule vorbeizuschicken.
Die Täter waren äußerst professionell ausgestattet, sie brauchten nicht einmal 14 Minuten, um in die Schule einzusteigen und das Goldnest zu stehlen. Wie eilig sie es hatten, zeigt auch die Spurenlage. Nach Tagesspiegel-Informationen ließen sie mehrere der 74 Goldzweige zwischen den Glassplittern zurück.
Um das Glas zu zerschneiden, ist Profiwerkzeug nötig. Ein Muster ist dabei auffällig: Beim Überfall auf einen Geldtransporter am 19. Oktober 2018 am Alexanderplatz verwendeten die Täter, ebenfalls aus dem Clan-Milieu, Hydraulikwerkzeug, das aus einer Feuerwehrwache gestohlen worden war.
Vor einigen Tagen, in der Nacht vom 1. zum 2. Mai, gab es einen ähnlichen Einbruch, diesmal in eine Feuerwehrwache in Treptow. Die Beute: unter anderem Motor- und Trennschleifer und Motor-Kettensägen.
Die Täter haben in der Schule auch die Überwachungskamera entdeckt. Die zeichnet alles auf, sobald die Alarmanlage ausgelöst wird. Die Linse sollen sie nur teilweise mit Farbe besprüht haben, es musste schnell gehen. Das Bildmaterial ist gespeichert bei einer Firma im brandenburgischen Eberswalde.
Aber wozu der Aufwand für das Goldnest? Bei der Goldmünze im Bodemuseum ging es um einen Wert von 3,75 Millionen Euro. Das Nest hat nach aktuellem Goldpreis einen Wert von 30 000 Euro. Noch ist es nur ein Verdacht, doch vieles spricht dafür, dass die jungen Clanmitglieder am Freitag die Lage ausgekundschaftet haben.
Oder dass sie ihr Gesellenstück abgeliefert haben. Möglicherweise war es eine Machtdemonstration der Clans, sagen Ermittler, ein Zeichen, dass sie machen können, was sie wollen – und dass der Staat ihnen nichts anhaben kann.
Zum Nachlesen:
+ + + Ein Arabischer Clan aus Neukölln: Die Berlin Blutsbande um das Familienoberhaupt Issa R.
+ + + Treffpunkte, Razzien, Tatorte: Wie der Staat gegen Berliner Clans vorgeht - und wie gefährlich sind sie wirklich?
+ + + Nachbarschaftsprobleme in Spandau: Wie die Clanfamilie von nebenan die Nachbarn drangsaliert.
+ + + Nachrichten aus Marzahn-Hellersdorf: Jeden Dienstag berichtet Ingo Salmen im Leute-Newsletter aus dem Bezirk. Hier geht's zur unkomplizierten Bestellung.