Nachbarschaftsprobleme in Spandau: Die Clanfamilie von nebenan
In einem Haus in Spandau sollen ein Mann und seine Frau die Nachbarn drangsalieren. Jahrelang passierte nichts dagegen, jetzt schlug die Polizei zu.
Am Ende steht Abdulkadir O. in Lederjacke und mit Sonnenbrille neben Thilo Cablitz. Der ist Sprecher der Berliner Polizei und redet in die Kamera von Spiegel TV. Cablitz berichtet, warum die Wohnung von Abdulkadir O. am Mittwoch durchsucht wurde. Sie stehen vor dem Gebäude, das als „ Horrorhaus von Spandau“ in die Schlagzeilen geraten ist. O. und seine Frau sollen dort Wohnungseigentümer drangsalieren: Eier werden auf den Balkon geworfen, Kot unter den Fußabtreter gelegt, Türschlösser und Spione zerstört und Autoreifen zerstochen.
Es laufen zahlreiche Verfahren gegen Abdulkadir O., 36 Jahr alt, Spitzname „Tyson-Ali“, und seine Frau. Er soll den Hausbewohnern, die es ruhig haben wollten hier in Spandau, das Leben zur Hölle machen.
Publik gemacht hat diesen in jeder Hinsicht krassen Fall „Der Spiegel“. Denn hinter dem aus Justiz und Polizei bestätigten Einzelfall verbirgt sich die Geschichte der berüchtigten und weit verzweigten deutsch-arabischen Großfamilie R. Auch Abdulkadir O., nach dem Bildmaterial und den Schilderungen ein bulliger Typ mit Bart, wird dem R.-Clan zugerechnet.
Clanmitglieder kümmern sich wenig um Werte des Zusammenlebens
Mitglieder des Clans werden für schwere Straftaten verantwortlich gemacht, wie den Einbruch in die Mariendorfer Sparkasse 2014 oder den Diebstahl der Goldmünze Big Maple Leaf aus dem Bode-Museum 2017. Es besteht der Verdacht, dass mit den Erlösen der Kauf zahlreicher Immobilien finanziert wurde. Vor einem Jahr beschlagnahmten die Behörden 77 Immobilien des Clans, vor zwei Wochen die Mieteinnahmen in Höhe von 350.000 Euro.
Der Fall aus Spandau zeigt exemplarisch, dass es im Kampf gegen Clankriminalität nicht nur um die beschlagnahmten 77 Immobilien oder Großkontrollen in Neuköllner Shisha-Bars geht. Erst wurde es verpasst, die aus den Libanon stammenden Familien zu integrieren, und als die sich abschotteten und mithilfe der Clanstrukturen ihren Geschäften nachgingen, der Nachwuchs in Kriminelle Karrieren hineinwuchs, wurde nicht gegengesteuert. Im Fall O. wird offensichtlich, wie wenig sich Mitglieder des Clans um die hiesigen Werte, Normen und Regeln des Zusammenlebens scheren. Sie leben nach ihren eigenen Regeln – ohne Rücksicht auf andere.
Nachbarschaftskriege werden häufig weggestempelt
Die anderen, die darunter leiden – das sind die Nachbarn, die von O. drangsaliert worden sein sollen. Sie haben alle Vorfälle dokumentiert, 265 stehen laut Spiegel auf ihrer Liste, alle erfasst zwischen April 2016 und April 2019. Sie haben Strafanzeigen erstattet, O. und seine Frau stellten Gegenanzeigen.
Ein typischer Nachbarschaftskrieg, der sich hochschaukelt, könnte man meinen: Körperverletzung, Beleidigung, üble Nachrede, falsche Verdächtigung. Wo fängt das an, wo hört es auf? Wer hat angefangen? In der Regel werden solche Fälle, wenn nicht einmal ein Streifenwagen rausgeschickt wird, einfach weggestempelt, wie Beamte sagen. Es gibt klare Vorgaben dafür: Kleinere Delikte, die massenhaft auflaufen, bei denen der Erfahrung nach nichts herumkommt, werden an die Staatsanwaltschaft ohne weitere Ermittlungen abgegeben, die meisten werden einfach eingestellt. Die Polizei hat wichtigeres zu tun – und nicht genug Personal.
Der Fall ist auf unterster Stufe angesiedelt
Dass es ein Problem geben könnte, wird nur bemerkt, wenn Beamte Zusammenhänge herstellen und merken, dass doch mehr dahinter stecken könnte. Wie der Tagesspiegel erfuhr, gab es seit Anfang 2018 ganze 92 Verfahren zu den Anzeigen und Gegenanzeigen zwischen Abdulkadir O., seiner Frau und den Nachbarn. Die Hälfte der Verfahren hat die Polizei schon an die Amtsanwaltschaft abgegeben, eine gute Hälfte aller Anzeigen richten sich gegen O. und seine Frau.
Der Fall ist noch auf unterster Stufe angesiedelt, die Staatsanwaltschaft noch nicht zuständig. Einmal aber – da wurde O. laut „Spiegel“ verurteilt, als er bei seinen syrischen Nachbarn Pfefferspray durchs Fenster sprühte: Körperverletzung, sechs Monate auf Bewährung. Ende April gab es ein Verfahren vor dem Amtsgericht zum Nachbarschaftskrieg, Clankriminalität spielte dabei bislang keine Rolle.
Die Polizei und die für Clankriminalität zuständigen LKA-Ermittler haben den Fall zwar auf dem Schirm, wie es heißt. Jahrelang geschah aber kaum etwas oder bisher zu wenig, jedenfalls aus Sicht der Bewohner. Nachbarschaftsstreitigkeiten seien nie einfach, es gebe nie nur eine Wahrheit – das bestätigt jeder Beamte, der solche Fälle schon bearbeitet hat. Der Spiegel ist auch der Frage nachgegangen, wie O., Sozialhilfeempfänger, an die Wohnung kam. Gekauft wurde sie 2014 von einer Deutschen, eine Geringverdienerin, die offenbar als Strohfrau für den Clan auftrat. Seither lebt O. samt Frau und Kindern dort. Das Geld für den Wohnungskauf soll die Strohfrau direkt aus dem Libanon, der Heimat der Großfamilie R., bekommen haben und ist laut dem Bericht dafür wegen Hinterziehung der Schenkungssteuer belangt worden.
Und die Spandauer Wohnung war offenbar kein Einzelfall: Die Ermittler gehen davon aus, dass neben den 77 im Juli 2018 beschlagnahmten Immobilien weitere Objekt mit gewaschenem Geld aus dem Libanon, mutmaßliche Beute aus Straftaten, gekauft worden sind - für Clan-Mitglieder. Der deutschen Strohfrau sollen weitere Wohnungen in Berlin gehören. Dem Bericht zufolge wurden die Spandauer Wohnung und sieben weitere, die ihr gehören, im Sommer 2017 beschlagnahmt. Die Mieten gehen laut Spiegel – im Gegensatz zu den 77 Wohnungen der Familie R. – weiter auf ihr Konto. Nur weiterverkaufen kann sie die Wohnungen nicht.
Das Signal: Ich bin der Chef
Nur was bezweckt O. mit seinem Verhalten? Will er die anderen Bewohner mit seiner Masche dahin treiben, dass sie freiwillig gehen, damit der Clan auch den Rest der Wohnungen kaufen kann? Das wäre viel zu viel Aufwand, zu auffällig, nicht die übliche Masche, sagen Ermittler.
Immerhin zeigte der Staat in der vergangenen Woche dann doch noch Kante. Auf Antrag der Amtsanwaltschaft wurde die Wohnung von Abdulkadir O. durchsucht. Der Vorwurf lautet: Sachbeschädigung am Haus und Verletzung des Postgeheimnisses, konkret gestohlene Post, wie Thilo Cablitz, der Sprecher der Polizei, am Sonntag sagte.
Er kennt solche Fälle, wenn Clan-Mitglieder sich groß fühlen. Angst habe er nicht gehabt, als sich Abdulkadir O. am Mittwoch nach der Durchsuchung neben ihm vor der Kamera aufbaute, schwieg und grimmig dreinschaute. Zum Abschied habe O. ihn sogar gegrüßt und ihm zugewunken. Das Signal von O. ist klar: Egal, was ihr wollt, hier im Haus in der Falkenhagener Straße bin ich der Chef.
Der Bericht von „Spiegel TV“ über den Fall wird am Montag,13.5., um 23:25 Uhr bei RTL gesendet.
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