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Im Rathaus brennt noch Licht. Die künftigen Koalitionäre haben viel Redebedarf.
© Soeren Stache/dpa

Koalitionsverhandlungen in Berlin: Darauf hat sich Rot-Rot-Grün geeinigt

Viele Projekte sind bereits festgemacht – doch welche kann die Koalition in spe bezahlen? Ein Blick auf Beschlüsse, Streitpunkte und offene Fragen.

Eine runde Sache waren die Koalitionsgespräche von SPD, Linkspartei und Grünen nicht. Im großen Verhandlungssaal wurden die Tische in Form eines gleichschenkligen Dreiecks aufgebaut, um die Gleichwertigkeit der künftigen Regierungspartner sichtbar zu machen. Acht Spitzenvertreter schickte jede Partei in die großen Gesprächsrunden, in den Fach-Arbeitsgruppen saßen mehr als hundert Abgesandte.

Am 6. Oktober ging es los, nun ist das Programm fast fertig. Von der Kulturpolitik bis zum Verkehr, von der öffentlichen Sicherheit bis zur Bildung: Was Rot-Rot-Grün für die Stadt erreichen will, ist zu erkennen, im Großen und Ganzen jedenfalls. Bei zwei Themen ist klar, dass es vorerst keine Neuigkeiten gibt: Die Sanierung des Internationalen Congress Centrums wurde auf die lange Bank geschoben, die Landes- und Zentralbibliothek wird in dieser Wahlperiode nicht gebaut.

Geplante Vorhaben überschreiten finanziellen Spielraum massiv

Am heutigen Montag gehen die Gespräche in die entscheidende Phase, dann sind besonders die Führungsleute Michael Müller, Klaus Lederer und Ramona Pop gefragt. Drei Tage sind vorgesehen, um noch offene Sachfragen sowie das Thema BER zu besprechen. Vor allem aber muss geklärt werden, für welche der vielen Wünsche und Ideen überhaupt Geld da ist. Die angemeldeten Vorhaben für das neue Regierungsprogramm überschreiten den finanziellen Spielraum nämlich um ein Mehrfaches. Zuletzt geht es dann um die Frage, wer Senatorin oder Senator wird.

Neben dem Regierenden Bürgermeister wird es zehn Senatsmitglieder geben: Vier für die SPD und je drei für Linke und Grüne. Nach derzeitigem Stand bleiben die Senatsverwaltungen für Inneres und Sport, Finanzen, Justiz und Verbraucherschutz unverändert. Hinzu kommen wahrscheinlich die Ressorts für Verkehr und Umwelt, Bauen und Wohnen, Schule und Jugend, Wissenschaft und Forschung. Ob die Kulturpolitik, noch in der Senatskanzlei angesiedelt, eigenständig wird, ist offen. Die Zuordnung von Wirtschaft, Energie, Arbeit, Integration, Frauen, Gesundheit und Soziales ist ebenfalls noch nicht geklärt. Wer geht, wer bleibt, wer kommt? Bei der Besetzung der Senatorenposten ist erfahrungsgemäß mit Überraschungen zu rechnen.

Parteien werden jeweils die Basis befragen

Sollten die Parteiführungen sich einig werden, muss anschließend die Basis befragt werden. Mit Zustimmung ist bei SPD, Linken und Grünen zu rechnen. Verständnis dafür, dass die Regierungsbildung jetzt noch scheitern könnte, wäre auch beim Bürger nicht zu erwarten. Zumal die Schnittmengen groß genug sind, auch atmosphärisch lief es zwischen den künftigen Partnern bisher zufriedenstellend.

Die ganz große Vision für die Zukunft Berlins hat Rot-Rot-Grün zwar nicht entworfen. Aber vielen Bürgern dürfte es in erster Linie darauf ankommen, dass die drängendsten Probleme der Stadt – Bürgerämter, marode Schulen, Verkehrsinfrastruktur – schnell angegangen werden. Die SPD trifft sich am 5. Dezember zum Landesparteitag, die Linken planen Basiskonferenzen am 15. und 24. November. Es schließt sich ein Mitgliederentscheid an, dessen Ergebnis bindend ist, sowie am 10. und 11. Dezember ein Landesparteitag. Die Grünen entscheiden auf einer Landesdelegiertenkonferenz am 3. Dezember über das Verhandlungsergebnis.

Am 8. Dezember soll Michael Müller im Abgeordnetenhaus wiedergewählt werden und anschließend seine Senatorinnen und Senatoren ernennen. Ab Januar muss Rot-Rot-Grün dann ordentlich regieren.

Die Vorhaben in der Übersicht

Gutes Regieren

Der Koalitionsausschuss soll ein regelmäßig tagendes Planungs- und Beratungsorgan werden und nicht nur Krisenschlichtungsstelle. Senat, Parlament und Koalitionsparteien sollen sich den Bürgern öffnen, und die künftigen Regierungspartner versichern, auf Augenhöhe, kommunikativ und fair miteinander umzugehen.

Berlin und seine Nachbarn

Die Koalition in spe legt ein Bekenntnis zu Berlin als weltoffener und toleranter Metropole ab. Der künftige Senat will sich stärker in die Bundes- und Europapolitik einmischen und die Hauptstadtrolle Berlins betonen. Die zahlreichen Städtepartnerschaften sollen intensiviert und ein Eine-Welt-Zentrum aufgebaut werden. Versprochen wird die Aufarbeitung der deutschen Kolonialzeit. Die Zusammenarbeit mit Brandenburg und der Oder-Region wollen SPD, Linke und Grüne intensivieren.

Verkehr

Geplant ist ein Mobilitätsgesetz zugunsten der Radfahrer und Fußgänger. Dazu gehören der Ausbau des Radverkehrsnetzes und ein Grüner Pfeil für Radler. Der Boulevard Unter den Linden soll ab 2019 autofrei werden. Angekündigt wird der Ausbau des Straßenbahnnetzes und die Erweiterung der Busspuren, das BVG-Sozialticket soll nur noch 25 Euro kosten. Eine Verlängerung der A 100 über den Treptower Park hinaus wird ausgeschlossen, aber die Tangentialverbindung Ost (TVO) wird vierspurig gebaut, parallel dazu eine Schienennahverkehrstangente.

Wohnen und Bauen

Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sollen in den nächsten fünf Jahren 30.000 Wohnungen errichten, mindestens 50 Prozent dafür für Sozialwohnungsberechtigte. Ihre Bestandsmieten sollen sie in den kommenden Jahren weniger stark als bisher erhöhen dürfen. Es soll mehr Milieuschutzgebiete geben, und beim sozialen Wohnungsbau sollen auch Private stärker in die Pflicht genommen werden. Wie genau, ist aber noch unklar.

Energie

Die Rekommunalisierung der Strom-, Gas- und Wärmenetze ist für Rot-Rot-Grün ein zentrales Vorhaben. Das bisher kaum handlungsfähige Stadtwerk soll zu einem kraftvollen Akteuer der Energiepolitik ausgebaut werden.

Flüchtlinge und Integration

Die Massenunterkünfte sollen zügig freigeräumt und Flüchtlinge möglichst in Wohnungen untergebracht werden. Abschiebungen sollen auf ein Minimum reduziert und durch ein Rückkehrprogramm ersetzt werden. Rot-Rot-Grün will offensiv einbürgern und den Familiennachzug für Syrer und Iraker erweitern. Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten bleibt.

Schule

Die Gymnasien bleiben unangetastet, die Gemeinschaftsschule wird gestärkt, alle Schulen sollen sich der Inklusion stärker öffnen. Die IT-Technik soll ausgebaut werden. Weitere Highlights: Ausbau zweisprachiger Schulen. mehr Ganztagsbetrieb, bessere Bezahlung der Grundschullehrer. Es sollen doppelt so viele Lehrer wie bisher ausgebildet werden.

Jugend und Familie

Ein Familienfördergesetz und bezirkliche Beratungsstellen sollen helfen, die Familien- und Kinderarmut zu bekämpfen. SPD, Linke und Grüne wollen die Jugendämter besser ausstatten und die Hilfen zur Erziehung neu ordnen. Das Bauprogramm für Kitas und Spielplätze wird aufgestockt und die Bedarfsprüfung in den Kitas abgeschafft.

Frauen und Gleichberechtigung

Die neue Koalition nimmt sich die Förderung von Frauen in Ausbildung und Arbeit vor und bekennt sich zur Bekämpfung des Sexismus in der Werbung. Ebenfalls geplant: besserer Schutz von Frauen vor Gewalt, gerade auch für Geflüchtete.

Gesundheit

Angekündigt wird eine flächendeckende Verbesserung der Gesundheitsversorgung und eine auskömmliche Krankenhausfinanzierung. Es soll mehr betreutes Wohnen geben und die Ausbildung in der Krankenpflege verbessert werden. Geplant ist die Einführung eines anonymen Krankenscheins.

Wissenschaft und Forschung

Für die Berliner Universitäten und Hochschulen soll es ab 2018 höhere Landeszuschüsse geben. Die Studienkapazitäten in den Bereichen Verwaltung, Gesundheit, Pädagogik und Soziale Arbeit werden ausgebaut, die Fachhochschulen personell gestärkt. Die Charité soll mehr Ärzte ausbilden. Ein Zukunftsprogramm „Digitalisierung der Wissenschaft“ wird aufgelegt.

Kultur und Medien

Rot-Rot-Grün verspricht mehr Räume, bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung für Künstler. Die freie Szene soll gestärkt und die kulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche verbessert werden. Wichtig ist der künftigen Koalition eine Öffnung der Kultur für breite Bevölkerungsschichten. Ein Gratistag in den Museen wird angestrebt und ein Bekenntnis zu den Kudamm-Theatern abgelegt. Der Medienboard Berlin-Brandenburg soll finanziell besser ausgestattet werden.

Wirtschaft

Der Industriestandort Berlin soll gestärkt und die Digitalisierung der Wirtschaft vorangetrieben werden. SPD, Linke und Grüne setzen auf eine ökologische Modernisierung der Infrastruktur und wollen fairen Wettbewerb, den Abschluss von Tarifverträgen und gute Arbeit fördern. Der Mindestlohn wird 2017 auf neun Euro erhöht. Ein öffentliches WLAN soll stadtweit etabliert und die migrantische Ökonomie gestärkt werden.

Arbeit und Soziales

Die Ausbildung von Pflegekräften soll intensiviert und Kapazitäten für Tages- und Kurzzeitpflege ausgebaut werden. Das Inklusionstaxi soll eingeführt und die Behindertenpolitik vorangebracht werden. Die Wohnungslosenhilfe wird ausgebaut und die AV Wohnen weiterentwickelt. Geringfügige und befristete Beschäftigungen sollen eingeschränkt werden. Ein Programm für Langzeitarbeitslose ist geplant.

Mehr Blauf auf die Straßen? Mal sehen, was Rot-Rot-Grün dazu sagt.
Mehr Blauf auf die Straßen? Mal sehen, was Rot-Rot-Grün dazu sagt.
© Paul Zinken/dpa

Öffentliche Sicherheit und Bürgerrechte

Mehr Polizeipräsenz im öffentlichen Raum, aber keine Videoüberwachung auf dem Alexanderplatz. Eine liberalere Drogenpolitik ohne Null-Toleranz-Zonen, aber Bodycams, mit denen Polizisten Angriffe gegen sich aufzeichnen können. In der Innenpolitik gab es viele Kompromisse zu schließen – und das gelang.

Personal und öffentliche Verwaltung

Bei vier Themen soll es schnelle Erfolge geben: Bürgerdienste, Neubau und Sanierung von Schulen, Ausbau des Radverkehrs, Unterbringung von Flüchtlingen und Obdachlosen. Innerhalb von 14 Tagen soll jeder Bürger sein Anliegen beim Amt erledigen können, für Schulen soll eine landeseigene Gesellschaft bezirksübergreifend zuständig sein. Beim E-Government soll Berlin Fortschritte machen, auch mithilfe eines IT-Staatssekretärs.

Haushalt und Finanzen

Neue Schulden will Rot-Rot-Grün nicht machen, aber trotzdem ein großes Investitionsprogramm für die nächsten zehn Jahre auflegen. Schulen, Radwege, Klimastadtwerk, Messegelände, Krankenhäuser und Kitas stehen auf der Liste oben. Zwei Milliarden Euro statt derzeit 1,7 sollen pro Jahr investiert werden. Einige Landesunternehmen sollen Kredite aufnehmen, die Zweitwohnungssteuer wird erhöht, strittig ist eine höhere Grunderwerbs- oder Gewerbesteuer. In Sachen Haushalt ist in der Schlussrunde ab Montag viel zu besprechen: Dann müssen Prioritäten gesetzt und viele Wünsche unter Finanzvorbehalt gestellt werden.

Am 8. Dezember wird gewählt

Die Wahl des Regierenden Bürgermeisters (Michael Müller, SPD) durch das Abgeordnetenhaus und die anschließende Ernennung der Senatsmitglieder ist für den 8. Dezember vorgesehen.

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