Unter den Linden in Berlin: Stadtplaner befürworten autofreien Boulevard
Berlins Prachtboulevard ohne Autoverkehr: Noch-Senator Geisel gefällt diese Idee für die Straße Unter den Linden, viele Stadtplaner stimmen ihm zu. Doch es gibt auch kritische Stimmen.
Die von Rot-Rot-Grün vorgesehene Sperrung des Boulevards Unter den Linden für den Autoverkehr könnte diesen nach Ansicht von Stadtplanern städtebaulich aufwerten. Ob die umliegenden Straßen den Zusatzverkehr aufnehmen könnten, was Verkehrssenator Andreas Geisel (SPD) für möglich hält, ist aber umstritten.
Eine "Wohlfühlstraße" hat der Mitinitiator des Radvolksentscheids, Heinrich Strößenreuther, vor Augen, von der letztlich auch Autofahrer profitieren würden: Bisher kämpften Radler auf den Linden mit dem Lieferverkehr, Bussen und der "roten Welle". Durch die Sperrung des Boulevards würden Autofahrer auf andere Straßen ausweichen und die Linden wiederum die Radfahrer aus den Seitenstraßen anlocken. Der Verkehr würde gleichsam entmischt – und die Beförderungsarten beschleunigt.
Strößenreuther zieht Vergleich mit Mönckebergstraße in Hamburg
Den Aufschrei von Kritikern kann Strößenreuther nachvollziehen, ähnliches habe er erlebt, als die Mönckebergstraße in Hamburg für den Autoverkehr gesperrt wurde, eine vielbefahrene vierspurige Hauptverkehrsstraße. "Jetzt herrscht da von 10 Uhr morgens bis 22 Uhr Happy Hour", sogar der Lieferverkehr dürfe erst nach 22 Uhr und bis 10 Uhr in der Früh durch die Straße. Ähnlich wie die Linden liegt Hamburgs Mönckebergstraße mitten in der City und verbindet Hauptbahnhof und Rathaus.
Dass einige solche Pläne "provinziell" schimpfen, findet der Stadtplaner Dogan Yurdakul von der Stadtplanungsgesellschaft GfP provinziell: "Überall mit dem Auto langfahren zu wollen, ist typisch für kleinstädtisches Denken." Die Linden seien international von Bedeutung und müssten so auch umgebaut werden: "Die Gehwege sind zu schmal, weil sie voll von Menschen sind, und die Fahrbahnen zu breit, weil dort kaum Autos entlang fahren." Eine Idee für die Umgestaltung sei es, die links und rechts vom Mittelstreifen verlaufenden Fahrbahnen auf einer Seite zu bündeln und die neu geschaffene Fahrbahn mal am nördlichen, mal am südlichen Rand des Boulevards entlang zu führen. So könnten aus den zusammengelegten Flächen aus Mittelstreifen und entwidmeten Fahrbahnen "Plätze entstehen mit Bühnen, Cafés und Bänken".
Auch London hat die autofreie Museumsmeile, sagt Christine Edmaier, Präsidentin der Architektenkammer. Und die Innenstadt von Bologna sei seit 2006 für den Normalverkehr gesperrt. Edmaier findet Gefallen an der Idee der verkehrsreduzierten Linden und ermuntert zu mehr Mut.
Umbau zur Spaziermeile: "einer Großstadt unwürdig"?
Ihre Kollegin Theresa Keilhacker meint, dass Berliner Stadtplaner nach Paris schauen sollten, wo der Individualverkehr an den Ufern der Seine stark reduziert worden sei. Auch dort habe es massive Widerstände gegeben – anfänglich. Inzwischen sind Zehntausende auf öffentliche Verkehrsmittel umgestiegen und vor allem aufs Rad, seitdem Paris ein bestens ausgebautes, flächendeckendes System günstiger Leihräder aufgebaut hat, das die Anschaffung eines eigenen Zweirads überflüssig macht.
Es gibt allerdings auch warnende Stimmen, die des Architekten Peter Eingartner zum Beispiel, der einen solchen Umbau zur Spaziermeile als "einer Großstadt unwürdig" nennt und befürchtet, dass die Linden "mit drittklassigen Stadtmöbeln und Aufstellern zugemüllt werden". Zur Großstadt gehöre es dazu, dass Autos die Boulevards entlang fahren, statt Symbolpolitik müsse die Koalition die wirklich zerstörten Räume der autogerechten Stadt wieder reparieren: den Bundesplatz in Wilmersdorf oder Kreuzbergs Südstern.
Ein ausgetüfteltes Verkehrskonzept bei einer Sperrung der Linden gibt es noch nicht. Die etwa 8000 Autos, die derzeit noch die Linden täglich passieren, könnten umgeleitet werden, ist Verkehrssenator Andreas Geisel (SPD) überzeugt. Die Ausweichrouten könnten im Norden über die Torstraße und die Invalidenstraße, im Süden über die Grunerstraße und die Leipziger Straße führen.
Bei der Nordvariante sieht Geisel nur Probleme an der Einmündung der Invalidenstraße in die Chausseestraße. Hier gebe es den Vorschlag, die enge Straßensituation über eine Art Bypass durch die Hannoversche Straße zu entlasten – mit einem Einbahnstraßenverkehr auf rund 400 Meter Länge in der Invalidenstraße und der Hannoverschen Straße.
So wie wir mit fasziniertem Grusel auf die mittelalterliche Praxis schauen, Müll und Abwässer über die Straße zu entsorgen, werden künftige Generationen darüber den Kopf schütteln, dass sich heutzutage Massen von Fahrmaschinen mit Verbrennungsmotoren durch die Innenstädte bewegen.
schreibt NutzerIn mahnamahna
Senat will den Molkenmarkt umbauen
Aber auch im Süden könnte es einen Engpass geben. Unabhängig von den Linden-Plänen will der Senat den Molkenmarkt so umbauen, dass die Grunerstraße nicht mehr geradlinig auf die Gertraudenstraße führt, sondern es für sie eine neue Einmündung auf die Spandauer Straße gibt. Dort gebe es eine neue Staustelle, befürchten Umbaukritiker wie der ADAC.
Zudem sollen in diesem Straßenzug und weiter auf der Leipziger Straße Gleise für die Straßenbahn gelegt werden, die erst das Kulturforum und dann das Rathaus Steglitz erreichen sollen. Auf der Leipziger Straße werde es dann eng, hatte Geisel bereits Anfang 2015 prognostiziert. Er hatte damals auch nicht ausgeschlossen, für die Straßenbahn eine andere Trasse zu finden – etwa auf der Französischen Straße. Diesen Vorschlag hatte es auch schon früher gegeben, er war dann aber aufgegeben worden.
Nicht geklärt ist bisher auch, auf welchen Straßen es weiter Querverkehr geben würde. Die Friedrichstraße bleibe auf jeden Fall offen, heißt es.
Vereinbart ist bisher, den Bereich vom Brandenburger Tor bis zum Humboldtforum autofrei zu machen. Doch auch auf der anschließenden Karl-Liebknecht-Straße wäre es dann ziemlich ruhig – bis zur Spandauer Straße. Erst dort mündet wieder Hauptverkehr ein.
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