Klaus Lederer im Interview: „Berliner Künstler sind in Brüssel ein Exportschlager“
Linken-Politiker Klaus Lederer über seine Arbeit als Berliner Europasenator und Strategien gegen den Rechtstrend - und welche Interessen Berlin in Brüssel hat.
Herr Lederer, Sie sind Bürgermeister, Kultur- und Europasenator. Was macht ein Europasenator außer ab und zu nach Brüssel zu fliegen?
Die Bündelung der beiden Themen in einem Ressort habe ich angestrebt – und nicht, weil ich mal nach Brüssel wollte. Sondern weil es viele Zusammenhänge und gemeinsame Wurzeln gibt. Der Start meiner Amtszeit fiel mit den Vorbereitungen zum europäischen Kulturerbejahr 2018 zusammen. Da war das Gemeinsame, Grenzüberschreitende auf unseren Veranstaltungen gut zu erkennen. Meine Aufgabe als Europasenator ist es, über die Funktionsweise der EU-Institutionen zu informieren und dafür zu sorgen, dass die EU-Kompetenz der Verwaltung ausgebaut wird. Im Berliner Büro Brüssel können Verwaltungsmitarbeiter in Praktika die EU-Institutionen kennenlernen. Rot-Rot-Grün ist proeuropäisch, das Bekenntnis schließt auch eine Gestaltungsaufgabe ein. So sind wir in Städte-Netzwerken aktiv, die auf die europäische Politik versuchen Einfluss zu nehmen.
Welche Interessen hat Berlin in Brüssel im Entscheidungsprozess?
Wir sind wie andere Kommunen in den unterschiedlichen Gremien aktiv. Dazu gehören die Europaministerkonferenz, der Europaausschuss des Bundesrats oder der Ausschuss der Regionen. Ein Beispiel: Bei den Gesprächen zur Europäischen Säule sozialer Rechte, die ein Paket von 20 Grundsätzen und Rechten beinhaltet, waren wir stark engagiert. Dazu zählen das Recht auf faire Löhne und Gehälter bis zum Recht auf Gesundheitsversorgung, vom lebenslangen Lernen, besserer Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben über die Gleichstellung der Geschlechter bis hin zum Mindestlohn. Das ist unsere Agenda – da sind wir laut.
Und besuchen Sie auch das Berliner Büro in Brüssel, das es seit 1989 gibt?
Ich bin vier bis fünf Mal im Jahr in Brüssel, mein Europa-Staatssekretär Gerry Woop noch häufiger. Ich besuche dann immer unser Büro. Und nicht nur das. Auch Auftritte Berliner Kleinkünstler dort habe ich angeregt, mittlerweile ist das ein Exportschlager.
Das Berliner Büro fungiert als Frühwarnsystem für mögliche Entscheidungen in Brüssel, die Berlin nicht gefallen.
Ganz so ist es nicht. Es laufen Prozesse. Aus heiterem Himmel bricht nicht ein Gesetzespaket oder eine Verordnung über uns herein. Das Büro in Brüssel fungiert als konzeptioneller Vorposten, damit wir in Berlin Stellungnahmen vorbereiten können und unsere Stimme deutlich erheben können. Berlin hat begriffen, dass wir uns nicht selbst genügen dürfen. Die Freiheit, die wir in Berlin haben, hängt auch von europäischen Rahmenbedingungen ab. Da ist es wichtig, frühzeitig eingebunden zu sein.
Warum ist die EU wichtig für Berlin, außer dass das Land in der Förderperiode 2014-2020 850 Millionen Euro Strukturfondsmittel erhält, die mit Landesmitteln kofinanziert werden?
Wir dürfen unseren Blick nicht nur auf den Euro fokussieren. Aber dahinter stehen geförderte Maßnahmen und Projekte – so sind diese Mittel wichtig für den sozialen Zusammenhalt und für Infrastrukturförderung. Erlebbare Projekte sind erlebtes Europa – das hilft auch angesichts des derzeitigen Rechtstrends.
Welche Interessen hat Berlin in Brüssel?
Berlin hat ja als Metropole Erfahrung mit sozialen Verwerfungen. Aber im europäischen Maßstab gibt es diese woanders in noch größerer Dimension. Allerdings hat Berlin immer noch günstige Lebenshaltungskosten. Und Berlin ist für viele ein Zufluchts- und Sehnsuchtsort. Nur können wir nicht alle Probleme mit Landespolitik lösen, sondern sind auf eine gesamteuropäische Sozialpolitik angewiesen. Oder schauen Sie sich Klimaschutz oder Digitalisierung als Wertschöpfungsform an: Beide sind nicht kommunal zu regulieren. Wir brauchen eine bessere Regulierung, eine stärkere soziale Komponente und eine Demokratisierung der Gesetzgebung in Europa. Bei diesen Themen hört man Berlins Stimme in Europa seit zweieinhalb Jahren viel deutlicher.
Berlin hat sich zur Solidarity City unter Rot-Rot-Grün erklärt und will Menschen mit eingeschränktem Rechtsstatus Zugang zu städtischen Dienstleistungen gewähren. Was heißt das konkret für Flüchtlinge?
Berlin unterliegt den bundesgesetzlichen Asylrechtsbestimmungen. Wir versuchen landesspezifische Spielräume zu nutzen, die wir haben, wie zum Beispiel Krankenscheine für Geflüchtete anzubieten. Bei den Solidarity Cities geht es von Neapel über Barcelona bis Berlin um ein Netzwerk gegen die europäische Abschottungspolitik, die das Mittelmeer zum Massengrab macht. Diese europäischen Metropolen wollen im Gegensatz zu vielen Regierungen von EU-Mitgliedsstaaten einen menschlichen Umgang mit Geflüchteten. Wenn Schiffe mit Flüchtlingen keine Einlaufgenehmigungen in europäische Häfen erhalten, müssen wir deutlich machen, dass wir helfen wollen und können.
Berlin will im Juni eine Konferenz der Seebrücke im Roten Rathaus organisieren. Was erhoffen Sie sich von der Konferenz?
Die Konferenz dient dem Erfahrungsaustausch und will natürlich ein Zeichen setzen für eine progressive Integrationspolitik in Europa. Berlin und viele andere Städte stehen bereit, wenn eine humanitäre Katastrophe droht. Wir sind bereit, Geflüchteten auf Seenotrettungsschiffen eine Perspektive zu bieten und sie hier aufzunehmen, sofern der Bundesheimatminister Horst Seehofer bereit ist, die notwendigen Freigaben zu erteilen.
Sie kritisieren die „Politik der Entsolidarisierung“ in vielen Ländern. Wo steht Ihrer Meinung Deutschland?
Nicht das EU-Parlament oder die Kommission bestimmen die Richtlinien der Regierungspolitik, sondern der Europäische Rat mit den nationalen Regierungschefs. Es ist daher verlogen, bei Entscheidungen immer auf Brüssel zu zeigen. Egal wie europäisch sich Deutschland in den letzten Jahren gezeigt hat: Deutsche Hegemonialpolitik wurde in Brüssel letztlich immer durchgesetzt, etwa in der Wirtschaftskrise gegen Griechenland. Solange die EU keinen wirklichen Gestaltungsraum hat, wird jedes Mitgliedsland versuchen, seine Interessen gegen andere und gegen europäische Solidarität durchzusetzen. Das EU-Parlament braucht endlich ein Initiativrecht, dieses Demokratiedefizit müssen wir ausbügeln.
In der EU vollzieht sich ein deutlicher Rechtsruck. Wollen Sie Berlin als Metropole als Gegengewicht zur Abschottungspolitik von Mittelmeerstaaten aufbauen?
Wenn wir gemeinsame politische und kulturelle Wurzeln sehen, gibt es ein gemeinsames, ein europäisches Erbe. Wir fördern aktiv Kulturaustausch, wir treffen uns mit Politikern der Nachbarstaaten. Das sehen Sie zum Beispiel am Kulturzug, der zwischen Berlin und Wroclaw, früher Breslau, verkehrt. Diese Zusammenarbeit in den Netzwerken und bei Kooperationsprojekten stärkt die progressiven Kräfte in den jeweiligen Staaten. Da geht es zum Beispiel um die Bewahrung der Kunstfreiheit, die mir als Kultursenator natürlich sehr wichtig ist.
Der Linken-Fraktionschef im Bundestag, Dietmar Bartsch, sieht die Gefahr, dass sich die Rechten Europa aneignen, um es zu zerstören. Sie auch?
Das sehe ich auch so. Nachdem jahrelang die Rechtsaußen die Auflösung der EU gefordert haben, zeigt sich am Beispiel des Brexit, dass es kein leicht zu realisierendes Vorhaben ist. Jetzt fordern die Rechten ein Europa der Vaterländer. Damit soll die europäische, demokratische Ebene außer Kraft gesetzt und nationale Egoismen gestärkt werden.
Vor fünf Jahren hatte Oskar Lafontaine den Linken noch eine Diskussion über den Euro übergestülpt. Im Februar hat sich Ihre Partei auf dem Europa-Parteitag für Europa ausgesprochen. Aber nur 73 Prozent der Linken-Anhänger wollen eine Vertiefung der EU-Politik.
Lafontaine hatte damals diese Debatte verloren. Dieses Mal hat er es nicht einmal mehr probiert. Eine proeuropäische Positionierung schließt nicht aus, Missstände zu kritisieren. Die Ergebnisse des Parteitags waren sehr klar, sehr europäisch. Das hat mich als überzeugten Europäer sehr gefreut. Wir müssen aber noch stärker europäisch denken und mit linken Kräften mehr kooperieren, um die Rechte zurückzudrängen und eine Rolle rückwärts zu verhindern.
Das Gespräch führte Sabine Beikler im Zuge des am Sonnabend beginnenden Parteitag der Berliner Linken.
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