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Eine EU-Fahne weht vor dem Europäischen Parlament in Straßburg.
© Jean-Francois Badias/AP/dpa

EU-Urheberrechtsreform: Europa hat seit Dienstagmittag ein echtes Problem

Nicht Uploadfilter, der Umgang europäischer Politiker mit Reform-Gegnern ist der Skandal. Er dürfte das Vertrauen in die EU nachhaltig schädigen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sebastian Christ

Das neue EU-Urheberrecht wird Folgen für Europa haben. Und was für welche. Selten zuvor in der jüngeren Geschichte haben es die Europäische Union, ihre Organe und die dort vertretenen Politiker geschafft, so viele Menschen in so kurzer Zeit gegen sich aufzubringen. Und diesmal stehen nicht die Wutbürger, die heiser krächzenden Dauer-Empörten oder die Opfer von Populisten auf den Barrikaden.

Nein, dieses Mal ist es ausgerechnet der weltoffene und netzaffine Teil der deutschen Bevölkerung, der sich von der Politik betrogen fühlt. Es sind eben jene Menschen, die in Zukunft dazu beitragen könnten, die demokratischen Institutionen der EU vor den Angriffen der autoritär denkenden Europahasser zu schützen. Die Bereitschaft dazu dürfte mit der heutigen Verabschiedung des EU-Urheberrechts jedoch dramatisch gesunken sein.

Um es klar zu sagen: Nicht die Entscheidung an sich wird der EU Vertrauen kosten. Jeder Demokrat muss mit Niederlagen leben können. Es ist die unfassbare Art und Weise, wie diese Entscheidung zustande gekommen ist.

Versetzen wir uns kurz in den Kopf eines jugendlichen Demonstranten, der am vergangenen Wochenende – wie zehntausende Altersgenossen auch – gegen die Einführung von Uploadfiltern demonstriert hat. Womöglich ist der Protest gegen „Artikel 13“ für ihn das entscheidende Erlebnis seiner politischen Frühsozialisation. Was hat er also bisher bewusst erlebt, wenn es um Brüsseler Politik geht?

Die Wahrheit ist, dass diesen Protestierenden fortwährend die politische Existenz abgesprochen wurde. Sie wurden von führenden Europapolitikern der Union als „Bots“ oder als „Fake“ bezeichnet, später dann noch als Krawallmacher und Quertreiber gebrandmarkt. Daniel Caspary, CDU-Europaabgeordneter aus Baden-Württemberg, schwadronierte in der „Bild“-Zeitung gar von „gekauften Demonstranten“, die „zumindest teilweise“ von amerikanischen Großkonzernen Geld bekämen.

Doch auch die Sozialdemokraten haben sich nicht mit Ruhm bekleckert. Die Noch-Justizministerin Katarina Barley stimmt im EU-Rat erst für die Urheberrechtsreform, nur um dann später – als der Schaden kaum noch zu reparieren war – plötzlich an der Seite der Reformgegner aufzutauchen.

Uploadfilter für "Nord Stream 2"?

Und dann wäre da noch die unglaubliche Episode, über die am Montag die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtet hat: Angeblich soll sich Wirtschaftsminister Peter Altmaier die französische Zustimmung zur höchst umstrittenen Gaspipeline „Nord Stream 2“ mit einem deutschen Ja zu Uploadfiltern erkauft haben. Vielleicht galt der Deal, so es ihn dann gegeben hat, intern sogar als Verhandlungserfolg. Aber was müssen nun jene Menschen denken, die in den vergangenen Wochen bei Wind und Wetter auf die Straße gegangen sind: Wenn ihr wichtigstes politisches Anliegen für die Zustimmung zum wirtschaftlichen Vorzeigeprojekt des berüchtigten Menschenfreunds und Kryptodemokraten Wladimir Putin verhökert wird?

Drei Monate vor der Europawahl ist an diesem Dienstag in Straßburg so ein politischer Flurschaden entstanden, dessen Folgen womöglich Jahre und Jahrzehnte zu spüren sein werden.

Natürlich, man hätte sich von Anfang an sachlich über die Reform unterhalten können. Es gibt sogar ein paar vernünftige Gründe, für das EU-Urheberrecht zu sein. Artikel 18 (bis vor wenigen Tagen: Artikel 14) soll die faire Bezahlung von Urhebern garantieren. Und insgesamt gibt es erstmals einen europäischen Rahmen für einen wirkungsvollen Urheberschutz. Das ist nicht nichts.

Sachlichen Austausch? Gab es schon lange nicht mehr

Über die guten Gründe, dagegen zu sein, wurde schon oft gesprochen. Artikel 16 (vormals: Artikel 12) dürfte deutsche Künstler und Kreative viel Geld kosten, weil sie in Zukunft möglicherweise wieder ihre Tantiemen mit den Verwertern teilen müssen. Und natürlich geht es in Artikel 17 (vormals: Artikel 13) um Uploadfilter. Denn künftig werden Plattformen dazu verpflichtet, den Upload von rechteverletzenden Inhalten zu verhindern, bevor er geschieht. Das geht nur mit Filtern – oder mit hunderten Sweatshops, in denen zehntausende Kontrolleure die täglich Millionen von Ladevorgänge mit eigenen Augen sichten, bewerten und aussortieren.

Aber um den sachlichen Austausch von Argumenten geht es schon seit Wochen nicht mehr. Schuld daran haben vor allem jene Europapolitiker, die politisch Andersdenkende nicht ernst genommen oder sogar diffamiert haben. Das war mehr als einfach nur unsouverän. Es war eine kulturelle Provokation.

Warum konnte der Protest so groß werden? Warum gingen Zehntausende Menschen gegen eine Urheberrechtsreform auf die Straße? Letztlich waren die Beschimpfungen aus Brüssel auch Ausdruck einer Fremdheit mit der Lebenswelt von netzaffinen Menschen. Europapolitiker hatten beim Schutz von Künstlern eher den Stargeiger oder die Opernsängerin im Kopf als den Instagram-Star oder die Youtube-Influencerin. Dass neue kreative Produktionsprozesse auch ein neues Denken im Urheberrecht brauchen, wollte vielen Abgeordneten bis zum Schluss nicht in den Kopf.

Natürlich sind die Uploadfilter noch nicht Gesetz, sie müssen nun von der Bundesregierung in deutsches Recht umgesetzt werden. Doch selbst die CDU möchte das eigentlich nicht mehr. Was aber bei vielen Filter-Gegnern hängen bleiben dürfte, ist vor allem ein Gedanke: Dass die Hoffnung auf die grundsätzliche Gutartigkeit der Politik in der Regel enttäuscht wird. Und das darf uns allen nicht egal sein.

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