Autopilot an und durch: Wie Juri Gagarin vor 60 Jahren in die Geschichtsbücher flog
Am 12. April 1961 fand der erste bemannte Raumflug statt. Ein Rückblick auf dieses historische Ereignis.
Es herrscht Kalter Krieg zwischen der Sowjetunion und den USA in jener Zeit, nicht nur auf der Erde. Die erste Schlacht um die Eroberung des Weltalls hat die Sowjetunion gewonnen, als 1957 Sputnik 1, der erste künstliche Erdsatellit, seine Signale aus einer Erdumlaufbahn sendet. Wenig später scheinen die USA in dem Wettlauf vorn zu liegen.
Sie nominierten 1959 ihre Kandidaten für den ersten Kosmosflug eines Menschen. Es sind die erfahrensten US- Testpiloten auf Kampfjets.
Die Konstrukteure in der Sowjetunion setzt das unter gewaltigen Druck. Aber die vielleicht wichtigste Entscheidung haben sie da bereits getroffen. Ende 1958 hatten sie eine Alternative diskutiert: Soll der erste Mensch sein Raumschiff auf der Umlaufbahn wie einen Düsenjet selbst steuern?
Oder soll eine weitgehend automatische Kapsel, praktisch ein vergrößerter Sputnik, den Menschen um die Erde tragen. Im Notfall könnte dem Kosmonauten immerhin ein Rettungssystem zur Verfügung gestellt werden. In der Sowjetunion entschließt man sich zu dieser Autopilot-Variante – und gewinnt damit wohl die entscheidenden Monate.
Weil somit ein weitgehend automatisierter Flug vorgesehen ist, gelten für die Kosmonauten vor allem physische Kriterien: keiner älter als 30 Jahre, nicht größer als 1,75 Meter, nicht schwerer als 70 Kilo. Noch im Herbst 1960 ist Gagarin nicht die Nummer eins: Georgi Schonin übersteht den Test in der Thermokammer am besten, Adrijan Nikolajew den in der Zentrifuge, Waleri Bykowski den in der Überdruckkammer.
Überschüssige Pfunde, überflüssige Geräte
Nach den Abschlussprüfungen am 17. und 18. Januar 1961 steht aber Juri Gagarin an Platz Eins der Liste. Nach Ansicht des Chefingenieurs Koroljow ist er in der Summe aller Auswahlkriterien der geeignete Mann. Und Koroljow hat die entscheidende Stimme.
Am 17. März schaut sich Gagarin gemeinsam mit den anderen Offizieren der ersten Kosmonautengruppe das Wostok-Raumschiff an, eine Woche später den letzten Testflug eines unbemannten Prototyps. Nicht einmal einen Monat nach dieser Generalprobe startet er selbst.
Am Ende entscheiden aber beinahe ein paar Kilogramm darüber, welcher Name in die Geschichtsbücher kommt. Am 7. April 1961, vier Tage bevor die Wostok-Trägerrakete im kasachischen Tjuratam (Baikonur) abheben soll, wird das Startgewicht inclusive Kosmonaut noch einmal genau berechnet.
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Juri Gagarin überschreitet das Limit. German Titow, sein Ersatzmann, ist leichter. Doch Sergej Koroljow besteht auf seiner Nummer 1. Er lässt ein paar Geräte aus der Kapsel entfernen und der Weg für Gagarin ist frei.
Nicht zum ersten Mal spielt hier Koroljow bei der Entwicklung der sowjetischen Raumfahrttechnik auf Risiko. Technische Probleme müssen mehrfach in Windeseile gelöst werden oder sie werden einfach auf die Seite geschoben.
Dass alles ohnehin hoch geheim ist, ist dabei in an Zynismus grenzender Weise sehr hilfreich. Denn wenn der Versuch fehlschlagen würde, würde das auch so bleiben. Und den Namen Juri Gagarin, so ist es zumindest geplant, würde die Welt dann nie auch nur zu hören bekommen.
Von den sieben Prototypen der Wostok, die 1960 und 1961 geflogen waren, hatten zwei die Umlaufbahn nicht erreicht, zwei Kapsel versagten im Orbit ihren Dienst. Später werden weitere Probleme bekannt. In ihren Erinnerungen stimmen viele Veteranen des sowjetischen Weltraum-Programms darin überein, dass niemals später ein Raumschiff mit einer derartigen Misserfolgsquote für einen bemannten Flug freigegeben worden wäre.