Serie: Gender in der Forschung (8): Gott ist männlich und weiblich
Warum biblische Theologie und ein modernes Geschlechterbild durchaus zusammengehören
Welchen Einfluss haben Geschlecht und Sexualität auf Kirche und Gesellschaft? Wo existieren diskriminierende Traditionen – und wie lassen sie sich verändern? Wie ist es dabei um den interreligiösen Dialog bestellt? – Natürlich ist Gender auch ein Thema für die Theologie. 2000 Jahre überwiegend patriarchal geprägte Geschichte der Kirche bieten einen weiten Arbeitsbereich. Es ist eine Besonderheit theologischer Geschlechterforschung, dass sie sich auf der Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher Theorie und kirchlicher Praxis etabliert hat.
In Deutschland gibt es drei Professuren für feministische Theologie beziehungsweise für Genderforschung. Damit die Ergebnisse der Forschung die Kirche erreichen, hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ein Studienzentrum für Genderfragen geschaffen. Die Gender- und Gleichstellungsreferate in den Landeskirchen sowie Einrichtungen für kirchliche Frauen- und Männerarbeit tragen die Ergebnisse dann weiter in die gemeindliche Praxis.
Fundamentalistische Kreise kämpfen gegen die "Gleichmacherei" von Mann und Frau
Christlich-fundamentalistische Kreise begegnen diesen Entwicklungen mit Abwehr. Sie richten sich vehement gegen den sogenannten „Genderismus“, der aus ihrer Sicht dem christlichen Menschenbild widerspricht, und gegen die rechtliche Gleichstellung homo-, trans- oder intersexueller Menschen in der Kirche. Argumentiert wird mit einer „natürlichen“, biblisch legitimierten Schöpfungsordnung, die im ersten Buch Mose (Genesis) 1,27 niedergelegt sei: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“ (Übersetzung Luther 1984). Hier würden klare biologische Unterschiede, Zweigeschlechtlichkeit und die heterosexuelle Ehe durch die göttliche Schöpfung begründet. „Gender“ wird demgegenüber als Behauptung eines dritten Geschlechts oder als „Gleichmacherei“ von Mann und Frau abgelehnt: Die „Gender-Ideologie“ wolle Ehe und Familie zerstören.
Die Kirchen sind im Wandel
Konservative Christ_innen im evangelischen, katholischen und freikirchlichen Bereich werden zurzeit heftig von rechtspopulistischen Kreisen umworben. Zusammenschlüsse „besorgter Eltern“ mobilisieren mit „Demonstrationen für alle“ für den Schutz der heterosexuellen Familie und gegen Bildungspläne an Schulen, in denen geschlechtliche Vielfalt zum Unterrichtsthema gemacht wird. „Christen in der Alternative für Deutschland“ positionieren sich gegen Abtreibung. Sie versuchen damit, sich als die rechtmäßige christliche Position in Bezug auf Fragen von Familie, Ehe und Sexualität zu profilieren.
Obwohl diese fundamentalistische Haltung nur von einer sehr kleinen Minderheit getragen wird, ist sie durch politische Aktionen und provokant argumentierende Vertreter_innen in den Medien sehr präsent. Dies ist der geschlechterbewussten Theologie bisher kaum gelungen, obwohl sie innerkirchlich wachsende Akzeptanz gewinnt, auch in bisher eher konservativen Kreisen. Wie die Gesellschaft insgesamt befinden sich die Kirchen in einem Transformationsprozess, der von vielfältigen Auseinandersetzungen, auch mit reaktionären Kräften in den eigenen Reihen geprägt ist.
Die Bibel bedarf der Auslegung durch Menschen
Was sagt die Bibel dazu? Sehr viel Unterschiedliches – die biblischen Schriften sind von Menschen verfasst worden. Deshalb sind sie ebenso vielstimmig wie die gesellschaftlichen Kontexte, in denen sie entstanden sind. Eine Besonderheit im antiken Kontext ist, dass die Bibel keine Literatur aus der Oberschicht bietet, sondern literarische Zeugnisse „von unten“. Anders als es fundamentalistische Lesarten proklamieren, finden sich in ihnen keine allgemein gültigen überzeitlichen Wahrheiten oder gar eine festgelegte Schöpfungsordnung. Ein solches Verständnis ist der Bibel fremd. Ihre Autorität liegt nicht in starren dogmatischen Aussagen oder Gesetzen, die für alle Zeiten Gültigkeit beanspruchen. Sie bedarf der Auslegung durch Menschen, die ihr in ihrer Lebenspraxis Gestalt verleihen. Nur so kann sie Weisung zu einem guten Leben für diejenigen werden, die sie lesen und weiterschreiben. Sie ist ein prinzipiell unabgeschlossenes Buch.
Mit neuen Übersetzungen dem Text einen anderen Klang geben
An diese innerbiblische Schrifthermeneutik knüpfen geschlechterbewusste Theologien an, wenn sie die Texte heute auslegen. Methodisch können sie dabei auf ein historisch-kritisches Instrumentarium zurückgreifen, sowie interdisziplinär auf sozialgeschichtliche, philosophische, religions-, kultur- und literaturwissenschaftliche Forschungen. Oft reicht auch schon eine neue textgerechte Übersetzung aus, um einem vertraut scheinenden Text einen anderen Klang zu geben. In der Bibel in gerechter Sprache haben 52 Fachwissenschaftler_innen auf der Basis aktueller exegetischer Forschungen die Texte aus dem hebräischen oder griechischen Ausgangstext übersetzt und dabei nach einer Sprache gesucht, die die Vielstimmigkeit der Texte für die Gegenwart verständlich macht. Hier lautet Gen 1,27 so: „Da schuf Gott Adam, die Menschen, als göttliches Bild, als Bild Gottes wurden sie geschaffen, männlich und weiblich hat er, hat sie, hat Gott sie geschaffen.“
Gott kann nicht vor allem männlich sein
Der Übersetzer, der Alttestamentler Frank Crüsemann, merkt dazu an, dass Gott nicht vor allem männlich sein könne, wenn das Bild Gottes männlich und weiblich ist. Obwohl das Wort ‚Gott’ grammatisch männlich sei, müsse jenseits der Geschlechterpolarität von ihm/ihr männlich wie weiblich gesprochen werden. Dieser Einsicht folgend wird in der gesamten Bibel der Name Gottes (hebr.: JHWH), der nicht ausgesprochen wurde, durch männliche, weibliche und geschlechterübergreifende Bezeichnungen gekennzeichnet: zum Beispiel die Ewige, der Lebendige oder HaMakom (hebr.: der Ort).
"Denn alle seid ihr einzig-einig im Messias Jesus"
Ein wichtiges Ergebnis einer geschlechterbewussten Exegese ist, dass Geschlechterfragen und damit verbundene Vorstellungen von Macht und Herrschaft nicht erst heute an die Texte herangetragen werden, sondern bereits in biblischer Zeit diskutiert wurden. Der Leitsatz der Gemeinden in Galatien (Kleinasien), an die der Apostel Paulus in der Mitte des ersten Jahrhunderts n.Chr. einen Brief geschrieben hat, kann hier als programmatisch angesehen werden: „Da ist nicht jüdisch noch griechisch, da ist nicht versklavt noch frei, da ist nicht männlich und weiblich: denn alle seid ihr einzig-einig im Messias Jesus.“ (Gal 3,28).
In den Gemeinden sollen die ethnische Herkunft, der soziale Status und das Geschlecht keine Hierarchien begründen. Ein Blick auf die Gesellschaft in den römischen Provinzen und Städten des Imperiums zeigt, dass dieser Grundsatz außergewöhnlich war. Denn Macht und Einfluss hatte, wer römischer Bürger, wer frei und männlich war. Gal 3,28 bietet in Kurzform die Vision eines anderen Miteinanders in der Gruppe von Menschen, die ihre Identität „in Christus“ hat, die sich als Körper des Messias Jesus versteht.
Barbaren wurden feminisiert dargestellt
Der Kulturhistoriker Thomas Laqueur zeigt in seiner Studie „Auf den Leib geschrieben“, dass von der Antike bis ins 17. Jahrhundert hinein von einer biologischen Ein-Geschlechtlichkeit ausgegangen wurde. Mannsein und Frausein wurde anatomisch analog gedacht und musste deshalb gesellschaftlich umso deutlicher bestimmt und abgegrenzt werden. Es habe nur ein einziges, anpassungsfähiges biologisches Geschlecht (engl. sex) gegeben, aber viele soziale Geschlechter (engl. gender), die über die Rolle in der Gesellschaft, den sozialen Status und die ethnische Herkunft definiert wurden.
Männlichkeit musste durch öffentliche Selbstdarstellung in Konkurrenz zu anderen erworben werden. Kontrolle und Herrschaft wurden dabei als zentrale Ausdrucksformen definiert. Sklaven und Barbaren – das heißt Männer eroberter Völker wurden im Gegensatz dazu oft feminisiert dargestellt. Diese Darstellungen bestätigten die Unterlegenheit der unterworfenen Völker und zugleich die Männlichkeit Roms, die auf Statuen, Münzen und Fresken zum Vorbild für Männlichkeit schlechthin wurde.
Gemeinschaften gleichrangiger Menschen
Die neutestamentlichen Schriften bieten eine Vielzahl von Gegenbildern zu dieser römischen Herrschafts- und Geschlechterideologie und zeigen die Beziehungskultur von Gemeinschaften gleichrangiger Menschen. Getragen von der Vorstellung der Gottesebenbildlichkeit, die jedem Menschen die gleiche Würde verleiht, hatte der Leitsatz „nicht männlich und weiblich“ auch Konsequenzen im konkreten Miteinander der Geschlechter.
Die Ergebnisse der theologischen Genderforschung machen deutlich, dass biblische Theologie und ein modernes Geschlechterbild nicht gegeneinander ausgespielt werden können. Anders als es viele traditionelle Übersetzungen nahelegen, hat es Jüngerinnen gegeben, Apostelinnen, Hirtinnen und Fischerinnen. Leitungsaufgaben wurden in den Gemeinden geteilt und dabei wurde – nicht anders als heute – um die Verteilung von Macht im Geschlechterverhältnis gerungen.
Die Autorin ist apl. Professorin für Neues Testament am Fachbereich evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg. - Die bereits erschienenen Teile der Serie "Gender in der Forschung" finden Sie hier:
Teil 1 -"Keine Angst vorm bösen Gender" (von Ilse Lenz), Teil 2 - "Auch das Biologische ist sozial" (von Kerstin Palm), Teil 3 - "Lernen, wie man Grenzen zieht" (von Heinz-Jürgen Voß), Teil 4 - "Riskante Ideale von Männlichkeit" (von Ahmet Toprak), Teil 5 - "Der moderne Mann sucht - sich selbst" (von Michael Meuser), Teil 6 - "Philosophieren über Gender" (von Susanne Lettow). Teil 7 - "Anders zu sein war immer normal" (von Martin Lücke)
Claudia Janssen
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