Wissenschaft in der Corona-Krise: Forschung im Minimalbetrieb
Keine reguläre Forschung mehr: Die Arbeit in den Laboren ruht, wertvolle Versuche sind abgebrochen, Messzeiten gefährdet. Eine Reportage aus der Halbdistanz.
Vielleicht kann man das, was Oliver Lenz tut, mit der Arbeit eines Kochs vergleichen. Einem, der gerade ein Soufflé zubereitet. Da kommt auch der Moment, in dem man auf gar keinen Fall unterbrechen sollte. Will man nicht riskieren, dass die ganze Chose in sich zusammenfällt, alle Arbeit bis dahin vergeblich war.
Genau das droht Lenz nun zu passieren, nur dass er nicht mit Eischnee arbeitet, sondern mit dem Enzym Hydrogenase. Oliver Lenz ist Molekularbiologe und Biochemiker, der 54-Jährige leitet eine Arbeitsgruppe am Institut für Chemie der Technischen Universität Berlin. Mit ihm erforschen vier Doktoranden, drei Postdocs, eine technische Assistentin und eine ganze Reihe Bachelor- und Masterstudierende Aspekte der Biokatalyse.
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Sie arbeiten mit Enzymen, die Wasserstoff produzieren und spalten können. Grundlagenforschung, am Ende steht womöglich die einfachere Nutzung von Wasserstoff als Energieträger. Ein Energieträger, der nicht kohlenstoffbasiert ist, Öl und Gas ersetzen kann.
Die Gruppe war gerade damit beschäftigt, Proben herzustellen, extrem konzentriert und in besonderer Qualität. Verwendet werden Mikroorganismen, aufgezüchtet in einem Nährmedium und dann isoliert. Das dauert mehrere Monate und verschlingt einige 10.000 Euro. Ziel war es, die gewonnenen Proben in einem japanischen Teilchenbeschleuniger einer hochenergetischen Strahlung auszusetzen, als Voraussetzung für die abschließenden Analysen. Doch daraus wird wohl nichts.
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Am Freitag, dem 20. März um 15 Uhr, musste die Gruppe ihre Experimente komplett runterfahren. Vorausgegangen war bereits eine Woche des reduzierten Betriebs. Es traf freilich nicht nur Lenz und seine Hydrogenase-Forschung, es traf praktisch den gesamten Wissenschaftsbetrieb in Deutschland, mit einigen Tagen Abweichung im Grunde auf der ganzen Welt. Alles, was nicht der Erforschung und Bekämpfung des Coronavirus dient, ist seitdem auf Eis gelegt.
Der Lockdown betrifft die Institute der Universitäten ebenso wie die deutschen Wissenschaftsorganisationen. So befindet sich zum Beispiel keines der 19 Zentren der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren im Normalbetrieb. Abgesehen von der Corona-relevanten Forschung geht es in einigen Fällen nur noch um die Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur.
Für die drei berlin-brandenburgischen Einrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft bedeutet das: Am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin ruht die „reguläre Forschung“, wie es in einer Stellungnahme heißt, aufrechterhalten wird ein Notbetrieb zur Gewährleistung der Betriebssicherheit, dazu gehört die Versorgung der Versuchstiere.
Ausgenommen sind Projekte, die mit Covid-19 zu tun haben, bei denen das Centrum auch mit der Charité kooperiert – etwa solche zur Analyse der Immunantwort auf die Infektion und zur Bildung von Antikörpern.
Im Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie ist der Teilchenbeschleuniger Bessy II in den Stand-by-Betrieb versetzt worden. Und am Geo-Forschungs-Zentrum in Potsdam wird zum Beispiel die weltweite Erdbebenüberwachung fortgesetzt, Labor- und Feldarbeiten aber wurden ausgesetzt.
Wer sich im Rahmen seiner Arbeit im Ausland aufhielt, wurde zurückgerufen. Dies betraf zum Beispiel Forschungsreisende in Chile und Kirgisien.
An der TU ist Oliver Lenz derzeit einer von nur vier Mitarbeitern, die das Gebäude der Biophysikalischen Chemie betreten dürfen. Er wechselt sich mit den drei Kollegen im Tagesrhythmus ab. Ihr Auftrag: prüfen, ob die Kühlung funktioniert und der Stickstoffvorrat ausreicht. Es gibt auch noch einige wenige Bakterienkulturen, die weiterwachsen müssen und dürfen.
Doch jeglicher Experimentierbetrieb ist untersagt, um Kontakt untereinander auszuschließen, einer allein darf aus Sicherheitsgründen keine Labortätigkeit ausüben.
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Einige wenige Proben hatte die Gruppe fertigstellen können, sie lagern jetzt bei minus 190 Grad. Doch selbst bei dieser tiefen Temperatur ist unsicher, ob sie bis Anfang Juni überleben. Juni war der Zeitpunkt, zu dem die Proben zur weiteren Untersuchung nach Japan geschickt werden müssten. Für Lenz war der Termin ein Glücksfall, Lohn für monatelange Vorbereitung.
14 Tage Strahlzeit hätten sie im dortigen Teilchenbeschleuniger bekommen, auch die ist einige 10.000 Euro wert. Vor allem handelt es sich um außergewöhnlich viel Messzeit. Beworben hatte sich Lenz mit seiner Gruppe im vergangenen Herbst, bewilligt wurde ihr Antrag im Januar, dann kam Corona.
Die Proteinproben hätten in Spezialbehältern reisen sollen – übergroßen Thermosflaschen nicht unähnlich, die an den „Star Wars“-Roboter R2D2 erinnern. Aus Sicherheitsgründen hätten sie zwei baugleiche Chargen verschickt, weil es immer wieder vorkommt, dass der Zoll einen der Behälter öffnet und die Proben damit unbrauchbar macht. Jetzt hat die Gruppe nicht einmal eine Charge, und die Zeit, noch genügend Proben zu produzieren, läuft ab.
Eigentlich müssten sie spätestens zu Ostern wieder ins Labor, sagt Lenz. Doch keiner glaubt mehr daran, dass die Zeit noch reicht. Abgesehen davon ist inzwischen unwahrscheinlich, dass sie überhaupt nach Japan reisen dürften. Stattdessen befindet sich die Gruppe wie die meisten anderen Wissenschaftler derzeit im Homeoffice.
Doktoranden trifft es besonders hart
Für diejenigen, die ihre Messreihen beisammenhaben und sich nun im Stadium der Auswertung befinden, mag das kein großes Problem sein. Wer allerdings noch Daten überprüfen und Kontrollexperimente ausführen muss, der gerät jetzt in Schwierigkeiten.
Sven Hartmann ist Doktorand in der Arbeitsgruppe von Oliver Lenz. Im vergangenen Herbst bekam er eine Verlängerung, weil die bisherigen Ergebnisse sehr vielversprechend waren. Die Gruppe hatte für ihre Hydrogenase einen speziellen Weg eingeschlagen, wie er so noch nie nachgewiesen worden war. Das Prinzip, dass Hydrogenasen Wasserstoff spalten und Energie gewinnen, ist bekannt, kann bisher nur nicht im großen Maßstab angewandt werden.
Die Gruppe konnte Drittmittel einwerben. Neue Erkenntnisse würden Hartmanns Doktorarbeit, die er bis September zu Ende bringen muss, erheblich aufwerten. Vor allem, weil sich der Gruppe die Chance zur Veröffentlichung ihrer Arbeit in einem renommierten Magazin geboten hat. Solche Publikationen in „Nature“ oder „Science“ sind eine ganz besondere Währung in der Branche, erleichtern es, für weitere Forschungen neue Drittmittel zu bekommen.
Hartmann durfte keine neuen Kulturen mehr ansetzen. „Wir haben versucht, noch so viele Daten wie möglich zu gewinnen, aber es bleiben Fragen offen“, sagt er. Fragen, die er bis zum Ende seiner Doktorarbeit nun nicht mehr beantworten kann. Die angestrebte Publikation, es wird sie erst danach geben, seine Expertise wird in der weiteren Arbeit der Gruppe fehlen, wenn der Shutdown noch einige Monate dauern sollte.
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Solche Fälle gibt es derzeit viele, „besonders arg trifft es die, die ganz am Anfang oder kurz vor dem Ende ihrer Doktorarbeit stehen“. In einer wissenschaftlichen Welt, die mit Zwei-Drittel- oder gar nur 50-Prozent-Stellen und mit Drei-Jahres-Verträgen arbeitet, Fristen, innerhalb derer man sich beweisen muss, können zwei fehlende Monate ein Drama sein.
„Forschung ist ein knallhartes Wettrennen“, sagt Sven Hartmann. Wie aber könnten solche Härten nach der Rückkehr zum Normalbetrieb aufgefangen werden? Natürlich sei es schwierig, verlorene Forschungsgelder zu ersetzen, sagt Arbeitsgruppenleiter Oliver Lenz.
Noch wichtiger aber wäre ein Ausgleich für die Zeit. Wenn am Ende die Deutsche Forschungsgemeinschaft, wenn das Wissenschaftsministerium, wenn Organisationen wie die Einstein-Stiftung, wenn all die in der Forschung aktiven Geldgeber sich daran beteiligten, Fristen zu verlängern. „Wenn wir die verlorene Zeit einfach zurückbekämen.“