Onlinelehre in Zeiten der Coronakrise: Im "digitalen Notbetrieb" ins neue Semester
Berlins Hochschulen wollen und sollen das Sommersemester online stemmen. Ob und wie das klappt, ist offen.
Schaffen die Berliner Hochschulen jetzt, was bislang nur in Pilotprojekten gelungen ist – flächendeckend auf Onlineformate in der Lehre und bei den Prüfungen umzustellen?
Wen man auch fragt, die Corona-Pandemie wird bei allen dramatischen Folgen für Forschung und Lehre hinsichtlich der Digitalisierung als „Chance“ gesehen. Fraglich bleibt allerdings, ob sie schnell so ergriffen werden kann, dass das Sommersemester Ende April online starten kann.
„Die aktuelle Situation zeigt uns sehr deutlich die Leerstellen in den Universitäten“, sagt Sabine Kunst, Präsidentin der Humboldt-Universität (HU). „Wir brauchen jetzt die Ideen aus den Hochschulen und das Geld aus der Politik, um diese Defizite abzubauen und das Thema Digitalisierung zu pushen.“
Die HU müsse sich "gehörig rappeln"
Um flächendeckend onlinefähig zu werden, müsse sich auch die HU „gehörig rappeln“, gibt Kunst zu.
Blended learning, die Verbindung von Präsenzlehre und Online-Einheiten zur Vorbereitung oder Vertiefung, gibt es an der HU bislang „nur als ergänzende Maßnahme“. Vorlesungen würden seit Jahren mitgeschnitten, in vielen Hörsälen liefen die Kameras mit.
Es gebe einen „Fundus von aufgearbeiteten Vorlesungen“, sagt Kunst. „Die müssen nun aus der Konserve geholt und so aufbereitet werden, dass man den Inhalten gerne folgt.“
Neue Geräte werden gerade bestellt
Jetzt sei man dabei, die Basis dafür zu schaffen, mehr Lehrveranstaltungen und Übungen live zu streamen, aufzuzeichnen und aufbereiten zu können. „Die Geräte dafür sind bestellt“, sagt Sabine Kunst zuversichtlich.
Ähnliches ist aus der Technischen Universität (TU) zu hören. Das impliziert aber schon, dass unklar ist, ob bei der gegenwärtigen Nachfrage solches Equipment auch rasch geliefert und zum Laufen gebracht werden kann.
Ein Digitalprogramm für Berlin
Immerhin ist seit Montag gesichert, wie die Hochschulen den Innovationsschub in der Startphase finanzieren können. Mit dem Zehn-Millionen-Euro-Sofortprogramm „Virtual Campus Berlin“ will der Regierende Bürgermeister und Wissenschaftssenator Michael Müller (SPD) sie dabei unterstützen, digitale Lehr- und Prüfungsformate auszubauen.
Das Geld soll in zusätzliche IT- und Infrastruktur, neue Server, Videokonferenz-Anlagen und Softwarelizenzen fließen – und helfen, die neuen Formate „bereits im Sommersemester 2020 anzubieten“.
In einem Statement dämpft der Regierende Bürgermeister zu hohe Erwartungen. Zwar werde auch bei dem seit Freitag nach Dienstschluss geltenden Präsenznotbetrieb an den Hochschulen gemeinsam daran gearbeitet, „möglichst viele Seminare und Vorlesungen digital zugänglich zu machen und auch verlässliche neue Formate für Online-Prüfungen zu gestalten“. Das werde aber „nicht für alle Fächer gleichermaßen möglich sein“.
Zu der Frage, ob die digitalen Angebote mit dem ohnehin verspäteten Semesterstart – frühestens am 20. April – eher Versuchscharakter haben werden und es auf ein nicht anrechenbares Minimalsemester hinausläuft, äußert sich Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach ausweichend. Ein „normales Semester“ sei jedenfalls nicht zu erwarten.
Die HWR verspürt einen Schub
Müller und Krach aber sprechen von „nachhaltigen“ Investitionen in den Virtual Campus Berlin, und rechnen mit einem „kräftigen Schub für die Digitalisierung der Lehre“.
Einen solchen „Schub“ verspürt Susanne Meyer, Vizepräsidentin der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR Berlin), schon jetzt. In der vergangenen Woche hat das E-Learning-Zentrum zum wiederholten Male eine Online-Schulung für digitale Lehrformate mit Instrumenten des Deutschen Forschungsnetzwerks angeboten – und der Andrang war groß.
„Auf einmal ist das Interesse der Dozenten riesig, früher meldeten sich maximal vier an, jetzt waren es 20“, sagt Meyer.
Es fehlt an Hardware
Auch an der HWR fehle teilweise die Hardware, um Lehrveranstaltungen professionell im Distance learning aufzusetzen, gibt die Vizepräsidentin für Studium und Studierendenservice zu.
Aber niemand warte, bis das Equipment kommt, sondern alle seien bereit, notfalls mit ihren Smartphones zu arbeiten. Mehr als bisher ausschöpfen könne man auch die Möglichkeiten von Moodle, dem System für das Studierendenmanagement, – etwa mit Lern-Quizzes und gestuften Lerneinheiten, in denen die Studierenden sich von Level zu Level durch Aufgaben arbeiten.
Gleichzeitig kann die HWR auf zwei bereits auf Blended learning umgestellte Bachelorstudiengänge – Business Administration und Öffentliche Verwaltung – zurückgreifen. „Die stellen wir jetzt auf kompletten Online-Betrieb um und rollen sie für die ganze Hochschule aus“, sagt Meyer.
"Digitaler Notbetrieb"
Sie sei sicher, dass das Sommersemester wie geplant ab dem 20. April als „digitaler Notbetrieb“, aber doch vollgültig starten kann. Dabei müsse sie das Kollegium der Lehrenden sogar bremsen: „Die fragen mich: Warum so spät, wir können am 1. April loslegen.“
Bitter sei bei alledem allerdings, dass zwei große Förderprogramme, mit denen die HWR Berlin digitale Lehrangebote entwickelt – eines vom Land Berlin und eines vom Bund –, Ende 2020 auslaufen. Daran hänge aber allein an der HWR das gesamte Personal für das Blended learning, sagt Meyer.
Insgesamt geht es um fast 30 Stellen. „Da brauchen wir umgehend eine Klärung und Verlässlichkeit“, fordert die HWR-Vizepräsidentin. Beim Nachfolgeprogramm für den Qualitätspakt Lehre im Programm „Innovationen in der Lehre“ sei aber weiterhin vieles unklar – bis hin zu den Kriterien, nach denen man sich um das Fördergeld bewerben kann.
Der HU-Sozialwissenschaftler Wolfgang Deicke gehört zu denjenigen, die es für möglich halten, kurzfristig durchaus einige Onlineformate auf die Beine zu stellen. Deicke spricht aus Erfahrung: Er hat die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik mitorganisiert, die vom 10. bis 13. März stattfand – und zwar digital und nicht wie ursprünglich geplant von Angesicht zu Angesicht.
Einige Formate lassen sich einfach online umsetzen
Es war eine der ersten großen Konferenzen, die in Berlin von einer Corona-bedingten Absage betroffen war – wobei „Absage“ es eben nicht genau trifft, weil Deicke und seine Kolleginnen und Kollegen einen Teil des ursprünglich an der der FU geplanten Programms kurzfristig ins Internet verlegten.
Dass das Thema der Tagung ausgerechnet „Hochschullehre als Gemeinschaftsaufgabe“ lautete, ist angesichts der aktuellen Herausforderungen natürlich besonders passend.
Viel Zeit hatte das Team nicht, das Ganze als Digitalkonferenz aufzusetzen, sagt Deicke: „Erst gut eine Woche vorher haben wir entschieden: Wir müssen das größer online aufziehen.“
Einige Formate ließen sich online einfach umsetzen, sagt Deicke. Vorträge, Keynotes und Vortragspanels wurden nun einfach gestreamt, teilweise aus dem Büro der Vortragenden. Eine Keynote wurde auf Youtube übertragen. Die Teilnehmenden an den Bildschirmen daheim konnten im Chat Fragen stellen.
Schwierig sind vor allem Seminare und Workshops
So mussten von 112 ursprünglich geplanten Sitzungen nur 37 komplett abgesagt werden. Schwieriger gestalteten sich kleine Workshops. Vor allem scheiterte es dabei oft an technischen Fragen, etwa ob alle Teilnehmenden die dafür nötigen Programme und Fertigkeiten besitzen.
Welche Lehren zieht Deicke daraus für das kommende Sommersemester? Zunächst sei es wichtig, sofort mit der Organisation der Online-Formaten zu beginnen: „Bis zum 20. April ist ja nicht mehr viel Zeit.“ Hochschulen müssten sich klar werden, welche Veranstaltungen für Prüfungen essentiell sind und sich auf diese konzentrieren.
"Die Hochschulen müssen sich zusammentun"
Helfen könnte, wenn sich die jeweiligen Fachbereiche der Berliner Unis für die wichtigen Grundveranstaltungen zusammentun, eventuell sogar Hochschulen bundesweit: „Wir brauchen nicht dutzende Online-Vorlesungen zum selben Thema.“
Im Idealfall könnten daraus Prototypen werden, die Unis längerfristig in der Onlinelehre einsetzen, hofft Deicke. Dozierende vor Ort würden sich dann – wenn Präsenzlehre wieder möglich ist – stärker auf dialogische Formate konzentrieren. So könnte die Coronakrise sogar einen Mehrwert für die Hochschulen haben.