Corona bremst Astronomie und Raumfahrt: Missionen gestoppt, Betrieb der ISS geht aber weiter
Große Observatorien stellen den Betrieb ein. Die Esa schickt Forschungsmissionen in Zwangspause – und der Start des neuen Weltraumteleskops ist unsicher.
Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus beeinträchtigen die Wissenschaft enorm, auch Astronomie und Raumfahrt. Große Teleskope stellen den Betrieb ein. Auch wissenschaftliche Raumfahrtmissionen werden in einen Pausenmodus versetzt, der Start künftiger Missionen ist gefährdet.
Neben den staatlichen Raumfahrtagenturen haben auch Unternehmen des „new space“, auf denen große Hoffnungen für eine moderne Raumfahrt lagen, mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Hobbyastronomen hatten in den vergangenen Tagen hervorragende Beobachtungsbedingungen. Dank trockener Luft war kaum eine Wolke am Himmel, selbst die wenigen Flugzeuge hinterließen keine Kondensstreifen. An den Großen Observatorien hingegen wurde die Arbeit aufs Nötigste beschränkt oder komplett beendet.
Die Europäische Südsternwarte (ESO) hat am 20. März mitgeteilt, an ihren Standorten den Wissenschaftsbetrieb einzustellen. Das trifft beispielsweise das Observatorium La Silla in Chile. Auch „ALMA“ (Atacama Large Millimeter/submillimeter Array), wo ESO beteiligt ist, wurde für die Wissenschaft geschlossen. Nur eine geringe Anzahl von Mitarbeitern bleibe bei den Anlagen, um sie zu überwachen, hieß es.
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Das 100-Meter-Radioteleskop Effelsberg bei Bonn wird noch von Operatoren gesteuert, um die Messungen fortzuführen. Doch die Mitarbeiter, die sich um Geräteentwicklung und Wartung kümmern, sind zu Hause, berichtet Norbert Junkes vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie. „Wenn ein Bauteil kaputtgeht, kann es sein, dass wir die Messungen beenden müssen, weil es keiner reparieren kann.“
Die europäische Raumfahrtagentur Esa hat das Personal in ihrem Kontrollzentrum in Darmstadt soweit reduziert, dass vier Missionen in eine Zwangsruhe versetzt wurden: Die wissenschaftlichen Geräte nehmen aktuell keine Daten auf. Die vier Missionen befinden sich auf stabilen Orbits beziehungsweise laufen sie so lange, dass die Pause einen vernachlässigbaren Effekt auf das Endergebnis habe, heißt es zur Begründung.
Betroffen sind „Cluster“, gestartet 2000, zur Erforschung des Erdmagnetfelds; „ExoMars Trace Gas Orbiter“, gestartet 2016 für Messungen der Marsatmosphäre und als Relaisstation für Daten der Marsrover; die Sonde „Mars Express“, die seit 2003 die Oberfläche des Planeten hochauflösend kartiert sowie „Solar Orbiter“, gestartet im Februar und auf dem Weg, um die Sonne zu erforschen.
Auch Esa-Mitarbeiter sind im Homeoffice
Der Großteil der Esa-Mitarbeiter befindet sich den Angaben zufolge seit rund zwei Wochen im Homeoffice. Das verbliebene Personal im Kontrollzentrum Darmstadt soll sich nun auf die wirklich wichtigen Manöver der verbleibenden Sonden kümmern.
Inwiefern die Starts künftiger Missionen gefährdet sind, wird sich zeigen. Arianespace hat sämtliche Startvorbereitungen am europäischen Raumfahrtzentrum Kourou in Französisch Guayana gestoppt. Sie sollen wieder aufgenommen werden, „sobald dies aus gesundheitlichen Gründen zulässig ist“, wie „Space News“ berichtet.
Der Betrieb der Internationalen Raumstation ISS ist bisher nicht beeinträchtigt. „Vonseiten der ISS-Partner wurde alle Maßnahmen ergriffen, um im Erdorbit weiter arbeiten zu können“, sagt Hansjörg Dittus, Vorstand für Raumfahrtforschung und -technologie im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
[Ein aktuelles Interview mit dem deutschen ISS-Astronauten Alexander Gerst lesen Sie hier.]
„Die Crews an den Konsolen der Kontrollzentren in Moskau, Houston und Oberpfaffenhofen sind in ihren Einrichtungen geschützt und die nächste Besatzung, die zur ISS fliegen wird, geht früher in Quarantäne, um eine Infektion auf der ISS auszuschließen.“
Zwei Russen und ein Amerikaner, die am 9. April starten sollen, sind am Dienstag in Baikonur eingetroffen. Die Bilder von der Ankunft wurden sogleich im Internet kommentiert: Weder Raumfahrer noch Offizielle sind da mit Mundschutz zu sehen.
Offenkundig kritischer steht es um das James Webb Space Telescope. Der fast neun Milliarden Dollar teure Nachfolger von „Hubble“ ist ein gemeinsames Projekt von Nasa, Esa und Kanada und soll im März 2021 von Kourou aus ins All gebracht werden. Derzeit befindet sich das Webb-Teleskop bei Northrop Grumman Aerospace Systems in Kalifornien für letzte Montagen und Tests.
[Die neuesten Entwicklungen und Hintergründe zum Coronavirus können Sie hier in unserem Newsblog mitverfolgen.]
Die Nasa musste ihre Mitarbeiter in der vergangenen Woche wegen Covid-19 abziehen – immer mehr Zentren verschärfen die Sicherheitsregeln und schicken ihre Leute ins Homeoffice. Lediglich eine reduzierte Crew von Technikern arbeitet weiter am Teleskop. Das teilt die Nasa auf die Anfrage mit, ob ein Start im nächsten März noch realistisch sei.
Eine klare Zusage ist in der sehr ausführlichen Antwort darauf nicht enthalten. Stattdessen heißt es, man werde die Situation während der nächsten Wochen weiter bewerten und gegebenenfalls Entscheidungen anpassen. Man müsse täglich damit rechnen, dass es einen Einfluss auf den Zeitplan gebe, „wenn eine erhöhte Anzahl von Aktivitäten zum Stillstand kommt“.
Der neue Marsrover müsste bis zum 5. August abheben
Auch der für Sommer geplante Start des Marsrovers „Perseverance“ könnte von den Maßnahmen zur Eindämmung der Coronakrise betroffen sein. Hebt er bis zum 5. August nicht ab, muss er zwei Jahre warten – und flöge wieder zeitgleich mit dem europäischen Marsrover, dessen Start kürzlich bereits auf 2022 vertagt wurde. Hier hatten die technischen Schwierigkeiten jedoch den größeren Anteil als die Folgen der Pandemie, wie Esa-Chef Johann-Dietrich Wörner erklärt hatte.
Für die Nasa droht weiteres Ungemach, denn auch bei der künftigen Mondrakete SLS (Space Launch System) sind die Tests wegen Covid-19 gestoppt worden. Dies lässt den ohnehin sehr ambitionierten Plan, 2024 wieder Menschen dort landen zu lassen, zunehmend unrealistisch erscheinen.
Neben den großen Agenturen haben auch Unternehmen zu kämpfen. Bigelow Aerospace hat vor wenigen Tagen alle Mitarbeiter entlassen und dies mit den Folgen der Pandemie begründet. Die Firma wollte aufblasbare Module für Forschung in der Schwerelosigkeit und für Weltraumtourismus bauen, ein solches wurde bereits an der ISS getestet.
Von anderen Vertretern des „new space“ könnten bald ähnliche schlechte Nachrichten kommen. „Wenn Unternehmen am Anfang ihrer Existenz stehen oder ihre Tätigkeiten finanzintensiv und mit einem langen Vorlauf verbunden sind, so werden diese es schwer haben, eine solche Zeit, wie wir sie jetzt erleben, zu überstehen“, sagt DLR-Vorstand Dittus.
„Einige Player des ,new space'-Marktes werden wir nach der aktuellen Krise nicht mehr auf dem Markt sehen. Aber ich gehe davon aus, dass die Krise auch neue Ideen generieren wird, die durch neue Unternehmen, auch im ,new space'-Sektor, auf den Markt gebracht werden.“
Das DLR sei ebenfalls in seinem Betrieb beeinträchtigt. Labore und Werkhallen könnten derzeit gar nicht oder nur sehr eingeschränkt genutzt werden. „Für uns im Bereich Raumfahrtforschung und -entwicklung sind Drittmittelrückgänge zu erwarten, die nicht unerheblich sein dürften“, sagt Dittus.
Er sieht jedoch keine „sehr dramatischen“ Auswirkungen, da sich viele Minderausgaben gegenrechnen ließen. Zudem gebe es etliche Chancen. „Wir erkennen jetzt, wo wir Nachholbedarf haben im Umgang mit einer solchen Situation.“
Konkret bekämen die Forscherinnen und Forscher eine völlig neue Sicht auf das Thema „Remote und Robotik“. Dittus: „Schon jetzt entstehen Ideen, mit welche neuen Anwendungen in der Kranken- und Altenpflege wir uns zukünftig beschäftigen werden.“