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Weltraumschrott
© Abb.: Esa

Falling-Walls-Konferenz 2015: Ein Tag voller Durchbrüche

Von der Genchirurgie bis in die Tiefen des Sonnensystems: Auf der Falling-Walls-Konferenz in Berlin präsentieren bekannte Forscher ihre Arbeit. Vier Schlaglichter.

Die Mauer zwischen Politik und Wissenschaft kann wirken, als sei sie aus Beton. Für die einen sind Daten und Beweise etwas, das man mit Ehrfurcht behandelt. Die anderen fürchten sich schlicht davor. „Das können wir nicht ändern, indem wir unsere Ergebnisse immer weiter vereinfachen oder gar Politikern die Arbeit abnehmen“, sagt Rush Holt, der die American Association for the Advancement of Science leitet. „Wir können sie nur an die Grenzen ihres Wissens führen und ihnen Mut machen, über die Mauer zu schauen und dann um sie herumzulaufen.“ Veranstaltungen wie die Konferenz „Falling Walls“, die am Montag zum siebten Mal in Berlin stattfand, könnten das leisten. Die erste Auflage gab es am 9. November 2009, dem 20. Jahrestag des Mauerfalls. Seitdem berichten dort jedes Jahr etwa 20 Wissenschaftler von Umstürzen, die nicht nur ein Fachgebiet, sondern die Gesellschaft voranbringen. Alle 15 Minuten ein neues Thema. Fast 770 Forscher, Künstler, Politiker, Wirtschaftsvertreter und Journalisten aus 80 Ländern waren in diesem Jahr dabei. Wir stellen vier Vorträge vor:

Von der Erde ins All

Weltraumthemen haben es vergleichsweise leicht auf Konferenzen wie der Falling Walls. Es werden ein paar beeindruckende Bilder von Objekten aus den unendlichen Weiten des Universums gezeigt und oft bringt das Publikum ein erstaunliches Vorwissen mit, auf dem Vortragende aufbauen können. Das drohte für Andrea Accomazzo von der europäischen Raumfahrtagentur Esa jedoch zum Problem zu werden: Vor einem Jahr landete der Forschungsroboter „Philae“ auf dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko. Wie er ungeplant beim ersten Aufsetzen davonhüpfte, irgendwie dann doch zum Stehen kam und im Wettlauf gegen die schwindenden Energiereserven der Batterie sein Forschungsprogramm absolvierte, war ein packender Krimi, über den in allen Medien berichtet wurde. Was sollte der Flugleiter der Mission jetzt in Berlin noch erzählen?

Accomazzo gewann die Zuhörer durch seine Persönlichkeit. Begeisterung, Bangen, Triumph – all die Emotionen, die er und sein Team durchlebt haben, konnte das Publikum teilen. Was bedeutet es, einen waschmaschinengroßen Roboter auf einem 500 Millionen Kilometer entfernten Kometen von der Größe des Mont Blanc abzusetzen? Mit ausgestreckten Armen markierte Accomazzo die Entfernung von der Erde zum Mond. „Anderthalb Meter, in diesem Sinne wären es bis zum Kometen zwei Kilometer.“ Ungefähr so weit wie vom Radialsystem, wo die Konferenz stattfand, bis zum Brandenburger Tor. Wäre die Erde ein Tennisball, käme „Tschuri“ auf eine halbe Haaresbreite. „Auf einem halben Haar am Brandenburger Tor zu landen“, hob Accomazzo an. Lachen, Staunen, Beifall.

Und dann nimmt er sich eine gefühlte Ewigkeit Zeit, um gar nichts zu sagen. Stattdessen zeigt er, untermalt von Musik, die erste echte Nahaufnahme des Kometenlanders von Tschuri. Ein Bild, auf das die Forscher seit mehr als zehn Jahren gehofft hatten. Gestochen scharf sind Risse, Klippen und Ebenen zu sehen auf einem Eisklumpen, der so alt ist wie unser Sonnensystem. Das hat schon etwas Anrührendes.  

Themen für die Zukunft: Weltraumschrott, Asteroiden und ein Weltraum für alle

Bis heute dauert die Datenanalyse von Philae an, berichtet Accomazzo. Die Muttersonde „Rosetta“ umkreist Tschuri voraussichtlich bis ins nächste Jahr hinein und wird noch viele weitere Informationen zu dem Kometen liefern, bevor sie im September auf ihm zerschellen wird.

Für die Zukunft sieht Accomazzo drei wichtige Themen, die dringend angegangen werden müssen. Erstens der Weltraumschrott, der immer weiter zunehme und die Raumfahrt bedrohe. Zweitens die Gefahr eines Asteroideneinschlags auf der Erde, mit dem man definitiv rechnen müsse. Und drittens, dass der Weltraum offen für alle bleibe. „Bisher gibt es dort keine Mauern – lasst uns nicht diejenigen sein, die welche errichten.“

Von der Klinik ins Labor

Vor Kurzem meldeten britische Forscher, dass ein todkrankes einjähriges Mädchen zum ersten Mal mithilfe einer genchirurgischen Methode möglicherweise von Blutkrebs geheilt wurde. Die Ärzte des University College London hatten Layla Immunzellen eines Spenders verabreicht, deren Erbgut vorher mit einer Art molekularen Schere an mehreren Stellen verändert wurde. Kein Wunder, dass eine wahre Euphorie um diese Genscheren ausgebrochen ist.

Inmitten dieses Trubels steht die aus Frankreich stammende Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier, die zurzeit ans Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie (MPIIB) umzieht. Sie hat eine Genschere mitentwickelt, gegen die die Technik der Londoner (namens „Talen“) wie ein Faustkeil anmutet. Denn während Talen-Genscheren für jede Genveränderung aufwendig neu gebastelt werden müssen, bleiben Charpentiers Genscheren mit Namen „Crispr“ (sprich: Krisper) immer gleich. Damit sie die gewünschten Gene schneiden und Krankheiten wie Laylas heilen, muss ihnen nur eine Art Notizzettel, ein Wegweiser-RNS-Molekül, zugesteckt werden, auf dem steht, welche Gene zurechtgeschnippelt werden sollen. Das sei „einfach, effizient, preisgünstig und vielseitig einsetzbar“, sagte Charpentier.

Aber so sehr sich Mediziner von dieser nobelpreisverdächtigen Genomchirurgie Therapien gegen Aids, Krebs oder Erbkrankheiten versprechen, so sehr betonte Charpentier das Potenzial für die Forschung. Denn bevor Therapien möglich sind, müssten viele menschliche Erkrankungen erst einmal verstanden werden. Mit Crispr sei es möglich, die „Klinik ins Labor“ zu holen, sagte Charpentier. Es lasse sich in einer Zellkultur oder einem Tier jene Genmutation einstellen, die beim Patienten eine Krankheit auslöst. Früher kostete so etwas Jahre und Tausende von Euro, heute Tage und weniger als 100 Euro. So können wir die Ursache und Entstehung von Krankheiten und die Funktionen der Gene besser verstehen und die richtigen Ansatzpunkte für Therapien identifizieren, sagte Charpentier.

Vom Land in den Slum

Sonderlich ermutigende Botschaften hatte die New Yorker Stadtsoziologin Saskia Sassen an diesem Morgen nicht zur Falling-Walls-Konferenz mitgebracht. Aus ihrer Sicht fallen die sozialen Mauern nicht, sondern wachsen und schaffen „Ausgrenzungen“, so der Titel des neuen Buches von Sassen. Mit dieser Mauer schützt sich der globale Kapitalismus, genauer: die internationale Finanzwirtschaft, vor den Deklassierten. Die Opfer werden sozial, ökonomisch und ökologisch aussortiert.

Sassen, die an der New Yorker Columbia-Universität und der London School of Economics lehrt, verdeutlichte ihre These am Beispiel des Landkaufs durch Investoren in südlichen Regionen. Das Ergebnis können Plantagen sein, die ökologischen Schaden anrichten und Kleinbauern in städtische Slums vertreiben. In der globalen Stadt sind die Entwurzelten ausgeschlossen, aber zugleich nicht zu ignorieren.

Vor einem Vierteljahrhundert hat Sassen den Begriff der „Global City“ geprägt. Von diesen städtischen Kommandozentralen aus entfalten internationale Konzerne ihre Macht. Zugleich sind die Städte zwischen den Mächtigen und den Marginalisierten umkämpft. Sassen wirft in ihrem Vortrag ein Schlaglicht auf das Bestreben von Investoren, sich in den globalen Städten einzukaufen, allen voran in London und New York.

In ihrem Szenario steht den wachsenden Gewinnen der Finanzindustrie – die Sassen für die „Dampfmaschine“ unserer Epoche hält – die Verarmung breiter Kreise der Bevölkerung (auch der Mittelschicht) gegenüber, was Sassen mit der steigenden Zahl von Zwangsvollstreckungen in den USA dokumentiert. Dass Sassens pessimistisches Bild der Gegenwart am Ende nicht so ganz überzeugt, mag auch daran liegen, dass sie es in der Kürze nur oberflächlich skizzieren kann. Schwarz-weiß und ohne Grautöne.

Menschlichkeit im Krieg

Nur eine wollte keine Mauern einreißen, sondern sie errichten. Mauern, die jeder Erschütterung standhalten und Respekt einflößen. „Das Krankenhaus in Kundus war für eine Million Menschen im Nordwesten Afghanistans da“, sagte Joanne Liu, die Präsidentin von Ärzte ohne Grenzen (MSF), und zeigte Fotos. „In diesem Trauma-Zentrum arbeiteten 13 Chirurgen. Sie versorgten allein im letzten Jahr 20 000 Verletzte.“ Nun ist alles weg. Die Operationssäle, die Intensivstation, die Radiologie. Mindestens 30 Angestellte und Patienten verloren bei der Bombardierung des MSF-Krankenhauses am 3. Oktober ihr Leben. Darunter waren drei Kinder. „Das waren fünf präzise Angriffe“, sagte Liu. „Die Bäume ringsherum stehen noch.“

Seit 44 Jahren arbeite MSF an der Front. Es gebe einfache Regeln: Krankenwagen, Kliniken, Ärzte und Patienten werden nicht angegriffen. Aber dieses Tabu werde immer öfter verletzt. In Afghanistan. Im Jemen. Im Sudan. „Ich kann mich nicht an den Tod gewöhnen“, sagte Liu. „Und ich glaube, dass Kliniken sichere Orte sein sollten. Eine Insel, ein letzter Rest Menschlichkeit in Kriegsgebieten. Wenn wir uns daran nicht halten, bleibt nur Anarchie. Wiederholen Sie deshalb mit uns: Krankenhäuser dürfen nicht bombardiert werden.“ Dem emotionalen Aufruf folgte ein langer Applaus. Jeder, der ihr zugehört hatte, erhob sich.

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