Ein Blick auf das, was kommen wird: „Die Zukunft ist mitten in Berlin“
Das „Futurium“ eröffnet: Forschungsministerin Anja Karliczek hofft im Interview mit dem Tagesspiegel, dass es Besuchern die Zukunftsangst nimmt.
Frau Karliczek, als Bundesbildungs- und Forschungsministerin eröffnen Sie heute das „Futurium“ und gründen mit Zukunftsforschern ein „Foresight“-Gremium am BMBF. Wollen Sie Ihr Amt als Zukunftsministerin neu erfinden?
Wir müssen Visionen entwickeln, wie unsere Welt in der Zukunft aussehen soll. Wir müssen zeigen, welche Entwicklungen möglich sind und zugleich, wie man sie gestalten kann. Das muss eine Diskussion mit den Bürgerinnen und Bürgern sein. Wir müssen viel mehr gemeinsam darüber sprechen, was uns in zehn, 20 oder 30 Jahren erwartet und in welche Richtung wir die Entwicklung lenken wollen. In diesen Zukunftsdebatten sollte es um die Risiken gehen, aber auch die Chancen von Fortschritt.
Die Skepsis gegenüber vielen neuen Technologien resultiert daraus, dass sich viele Menschen nicht vorstellen können, wie die moderne Technik unser Leben verbessern kann. Wissenschaftskommunikation, und das macht ja das Futurium, hat auch die Aufgabe, dieser Zukunftsskepsis zu begegnen. Wir brauchen mehr Lust auf Zukunft. Am Ende müssen die neuen Technologien natürlich zum Wohle der Menschheit eingesetzt werden. Anders als etwa in China, wo die Menschen mit dem System des Social Scorings über das Internet überwacht und sanktioniert werden.
Sie sind nicht nur Hauptgeldgeberin, sondern auch direkte Nachbarin des Futuriums. Was erwarten Sie von dem Haus?
Es soll ein Ort des Austauschs über die Zukunft werden, ein offenes Haus, das wirklich jeden anspricht. Es ist kein Museum, sondern ein Haus, das informiert und zum Nachdenken über die Zukunft anregt. Die Menschen sollen ihre Meinung über die Zukunft sagen. Früher haben viele Science-Fiction-Autoren die Menschen in die Zukunft mitgenommen. Denken wir nur an George Orwells Roman „1984“. Sehr vieles von dem, was in der Entstehungszeit um 1948 undenkbar war, ist an einigen Stellen unserer Welt durchaus eingetreten
Gerade der Autor von „1984“ hat auch die kritischen Seiten von Zukunft gesehen. Doch bei der Finanzierung des Futuriums sind Großkonzerne wie Bayer und Siemens beteiligt. Besteht da nicht die Gefahr, dass die Besucher von bestimmten Zukunftstechnologien überzeugt werden sollen?
Wir müssen technologische Entwicklungen immer kritisch begleiten und diese hinterfragen. Es geht nicht um die Förderung einer naiven Technikgläubigkeit. Wir vergessen aber zu oft, dass der Fortschritt im Laufe der Geschichte unser Leben besser gemacht hat. Im Großen wie im Kleinen: Der medizinische Fortschritt ist ein Segen für die Menschheit. Und ja: Erfindungen wie die Waschmaschine haben natürlich den Menschen den Haushalt viel leichter gemacht. Im Futurium werden deshalb auch die Chancen des Fortschritts gezeigt. Es geht aber nicht darum, die eine Lösung für eine Herausforderung zu präsentieren. Die moderne Mobilität wird zum Beispiel vielfältig sein
Was hat es mit dem „Foresight“-Prozess auf sich, für den Sie 17 Zukunftsforscherinnen und -forscher ans Ministerium berufen?
Wir müssen herausfinden, was die Entwicklungen der nächsten zehn bis 20 Jahre sind. Was passiert technologisch? Wo geht es gesellschaftlich hin? Gleich am Anfang soll sich der Zukunftskreis mit einer Grundsatzfrage beschäftigen: Werden sich die Werte in der Gesellschaft verändern oder bleiben sie stabil? Welche Rolle werden Familie und Partnerschaft in Zukunft spielen, von wem oder was werden Werte in der Zukunft vermittelt werden, welche Bedeutung werden Gemeinschaftswerte wie Solidarität und Generationengerechtigkeit haben?
Wie werden wir mit der Gesundheit umgehen? Denken Sie an die neuen Möglichkeiten etwa in der Medizin mit der Gen-Schere Crispr/Cas. Da wird in den nächsten Jahren die Diskussion weltweit noch intensiver werden. Die Kernfrage lautet: Auf welche Weise darf die Medizin die Möglichkeiten, die die Gen-Schere bietet, nutzen? Die Antwort hängt von den jeweiligen Anwendungen ab. Darüber müssen wir diskutieren
Stichwort Crispr: Wie wollen Sie da in die 2030er Jahre vorausblicken mit diesem Gremium? Vor zehn Jahren hätte man über Crispr gar nicht reden können, weil es noch gar nicht existiert hat. Zukunftsforscher hätten sich unnötig Gedanken gemacht.
Natürlich kann man nicht jede Entwicklung vorhersehen. Es geht aber auch darum, systemisch vorzudenken, beispielsweise zur Zukunft der Sozialsysteme. Die ist sehr abhängig davon, welches Familienmodell die Menschen in der Mehrheit bevorzugen. Davon hängt ja auch rechtlich einiges ab. Denken Sie an das Unterhaltsrecht.
Zu diesen Fragen forschen ja schon die Sozialwissenschaften. Wäre es nicht eher die Aufgabe eines Forschungsministeriums, ergebnisoffene Forschungsprogramme für die großen Zukunftsfragen auszuschreiben, als ein Beratergremium damit zu befassen?
Da sind wir bei der Freiheit der Wissenschaft. Forscher haben immer die Freiheit, sich bestimmten Themen zuzuwenden. Durch den Zukunftskreis identifizieren und beschreiben wir ja die großen Zukunftsfragen, um dann gegebenenfalls genau dazu ergebnisoffene Forschungsprogramme auszuschreiben. Der Foresight-Prozess ist für uns als Ministerium wichtig, weil wir die Ergebnisse der Beratungen für unsere Planungen nutzen wollen. Wir wollen wissen: Wo gibt es Bereiche, in denen wir zum Beispiel unsere Forschung verstärken müssen
Welchen „Werten“ soll sich der „Zukunftskreis“ konkret widmen?
Ein Beispiel: Es gibt viele Menschen in der bürgerlichen Mitte, die der Auffassung sind, der gesamte öffentliche Personennahverkehr müsse kostenfrei sein. Vor zehn Jahren hätte man gesagt: Das brauchen doch nur die, die es sich nicht leisten können. Ist das eine Änderung in der Wertvorstellung oder haben wir heute, auf unserem höheren Wohlstandsniveau, auch eine andere Haltung? Und natürlich gehört bei den Wertvorstellungen auch die Frage dazu, wie künftig Familien zusammenleben.
Denken Sie dabei auch an die Auswirkungen gleichgeschlechtlicher Elternschaft, für die sie im vergangenen Jahr eine Langzeitstudie gefordert haben?
Kindern in gleichgeschlechtlichen Familien geht es sicher genauso gut wie Kindern in anderen Familien. Es ging mir um die Frage, ob es gesellschaftliche Auswirkungen hat, wenn Kinder tendenziell weniger von Müttern und Vätern gemeinsam aufgezogen werden, wenn doch gleichzeitig immer bedauert wird, dass es zum Beispiel in den Kindergärten kaum männliche Erzieher gibt und in den Grundschulen in erster Linie nur Lehrerinnen unterrichten.
Ihre Kritiker haben Ihnen vorgehalten, dass in rund 40 einschlägigen Studien zum Aufwachsen in Regenbogenfamilien schon alle Fragen beantwortet sind: Die Kinder entwickeln sich mindestens ebenso gut wie Kinder eines gemischtgeschlechtlichen Elternpaars. Haben Sie sich überzeugen lassen?
Wie gesagt, darum ging es nicht. Regenbogenfamilien sind jetzt Teil der gesellschaftlichen Realität.
Zurück zum Futurium. Das Projekt steht und fällt damit, dass die Angebote von einem großen Publikum angenommen werden. Die beteiligten Wissenschaftsorganisationen sind da eher skeptisch. Wie sicher sind Sie, dass es klappt?
Was man dort zu sehen bekommt, wird die Menschen faszinieren, da bin ich sicher. Der Ort ist genial. Das Futurium liegt gleich neben dem Hauptbahnhof. Das wird schon einmal viele Besucher, die mit dem Zug nach Berlin kommen, anziehen. Der Ort ist überhaupt für jeden Interessierten super zu erreichen. Das wird sicher zum Erfolg beitragen. Die Zukunft ist mitten in der Hauptstadt.
Auch im Futurium betonen Sie wieder die Anwendung von Forschung. Verstehen Sie Kritiker, die dem BMBF vorwerfen, Grundlagenforschung zu vernachlässigen?
Das ist kein Gegensatz. Natürlich brauchen wir Grundlagenforschung. Wir müssen aber auch klar sehen: Wir sind in Deutschland nicht so gut, Forschung in Produkte umzusetzen. Der Mp3-Player wurde bei uns entwickelt. Vor allem US-Firmen haben dann aber erfolgreiche Produkte daraus gemacht. Das können wir uns nicht mehr leisten. Wir müssen sehen, dass die Entwicklungen auch bei uns umgesetzt werden.
Aber wie soll die Zukunfts-Show dabei helfen? Wäre es nicht besser, das Geld zu nutzen, um die Rahmenbedingungen für neue Entwicklungen zu verbessern, etwa Gesetze für Genome-Editing anzupassen, wie es über 120 europäische Forschungsorganisationen fordern?
Wir müssen darüber diskutieren, wie wir die mannigfaltigen Chancen der Genom-Editierung verantwortungsvoll nutzen können. Hierzu kann das Futurium einen wichtigen Beitrag leisten. Vielfältige Perspektiven zeigen sich im Bereich der Therapien beim Menschen, also die genetische Korrektur in Körperzellen, die nur den behandelten Menschen betrifft. Hingegen bleiben Eingriffe in die menschliche Keimbahn in Deutschland verboten. Das ist auch richtig. Im Bereich der Pflanzenzüchtung sollte man hingegen darüber diskutieren, inwieweit das bestehende EU-Recht risikoorientiert anzupassen ist. Der Bioökonomierat hat sich bereits ebenso wie die vielen Stimmen aus der europäischen Wissenschaft dafür ausgesprochen. Der Klimawandel und die Sicherung der Welternährung sind gute Gründe dafür.
Das Futurium soll Spaß machen. Doch die Zukunft macht derzeit vielen Angst. Stichwort Fridays for Future. Was bietet das Futurium jenen, die keine Shows mehr wollen, sondern „Tut endlich was“ fordern?
Wir müssen ihnen zeigen, was sich in den vergangenen Jahren schon alles getan hat. Der Klimawandel ist schon seit Langem ein Kernthema meines Hauses. Wenn wir nicht seit vielen Jahren diese Forschung vorangetrieben hätten, dann gäbe es das heutige Wissen über den Klimawandel nicht in dieser Form.
Viel geändert hat all das Wissen im politischen Handeln aber nicht.
Wir fördern nicht nur die Erforschung über die Ursachen und den Verlauf des Klimawandels. Wir treiben auch die Erforschung neuer Technologien zur Verhinderung oder Umwandlung von Treibhausgas-Emissionen voran. In einem Projekt wie „Carbon2Chem“ wird Hüttengas in chemische Grundstoffe umgewandelt. Carbon2Chem kann den CO2-Ausstoß eines Stahlstandorts um bis zu 70 Prozent verringern! Ein Wahnsinnswert! Es gibt viele gute Beispiele, wie wir mit Forschung und Innovation konkret und kosteneffizient das Klima schützen können. Das müssen wir in die Breite tragen – zu Bürgerinnen und Bürgern, zu Schülerinnen und Schülern, aber auch in die Fachpolitik.
Müssen solche Technologien nicht vielmehr politisch gefördert werden, damit sie auf dem Markt überhaupt eine Chance haben?
Das läuft in der E-Mobilität bereits. Das Zweite ist die systemische Frage, wie man mehr Menschen zum Busfahren bekommt und ob man eine Infrastruktur für Hybrid-Antriebe aufbauen kann. Wir testen jetzt in Reallaboren, wie sich etwa autonomes Fahren in die Praxis umsetzen lässt. Und wie Digitalisierungstechniken dabei helfen können, Mobilität neu zu organisieren: per App einen autonomen Bus rufen, in die Bahn umsteigen und in der Stadt mit dem E-Bike weiterfahren. Wenn wir solche Projekte anstoßen, haben wir dafür auch dank „Fridays for Future“ jetzt ganz anderen Rückenwind in der Bevölkerung.
Werden sie die Schüler oder gar Greta Thunberg ins Futurium einladen?
Wir wollen gerade auch die jungen Leute ansprechen. Das Futurium wird sie begeistern.
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