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Eine Grundschullehrerin schreibt Wörter an eine Tafel, die Kinder folgen dem Unterricht.
© Sebastian Gollnow/dpa
Update

Bertelsmann-Prognose zu Schülerzahlen: Bis 2025 fehlen 11.000 Grundschullehrer mehr als angenommen

Die Bertelsmann-Stiftung sagt einen größeren Mangel an Grundschullehrkräften voraus als zuletzt die KMK. Ein hausgemachtes Problem?

Quer- und Seiteneinsteiger, die ohne pädagogische Praxis in die Grundschulen kommen, und Unis, die versuchen müssen, eine große Zahl von Studierenden möglichst schnell ins Lehramt zu bringen: Der Lehrkräftemangel für die 1. bis 4. beziehungsweise 6. Klassen beschäftigt Schulen, Hochschulen und Bildungsministerien bundesweit. Jetzt hat die Bertelsmann-Stiftung erneut Berechnungen für die Grundschulen veröffentlicht, die über die Vorhersage der Kultusministerkonferenz (KMK) hinausgehen. Bis 2025 fehlen demnach bundesweit 11.000 Grundschullehrkräfte mehr als bislang von der KMK prognostiziert.

Als „Weckruf“ sehen der Bildungsforscher Klaus Klemm und Dirk Zorn, Projektleiter im Programm Integration und Bildung der Bertelsmann-Stiftung, ihre Analyse „Steigenden Schülerzahlen im Primarbereich“. „Die Kinder, die im Jahr 2025 eingeschult werden, sind bereits alle auf der Welt“, heißt es. Die KMK aber gehe in ihren Planungen noch von einer Zahl der Grundschulkinder aus, die um 168.000 zu niedrig sei. Deshalb werde der Lehrkräftebedarf derzeit um 42 Prozent unterschätzt.

Grundlage der Bertelsmann-Prognose ist die im Juni dieses Jahres veröffentlichte Bevölkerungsvorausschätzung des Statistischen Bundesamts. Sie orientiert sich an der tatsächlichen demographischen Entwicklung bis einschließlich 2018. Die Variante, die Klemm und Zorn ihrer Studie zugrunde legen, gehe „von moderaten Annahmen zur künftigen Entwicklung von Geburtenziffer, Wanderungssaldo und Lebenserwartung aus“, heißt es.

Kultusminister reagieren gereizt

Die Zahlen der beiden Bildungsforscher ergeben tatsächlich einen erheblichen Mehrbedarf an Lehrkräften für die Grundschule: Bei zu erwartenden 3,232 Millionen Grundschülern im Jahr 2025 würden mindestens 26.300 Hochschulabsolventen für das Grundschullehramt fehlen. Die KMK ging in ihrer jüngsten, im Mai 2018 präsentierten Prognose, noch von 3,064 Millionen Grundschulkindern und einem Zusatzbedarf an 15.300 Lehrkräften aus.

Für 2030 fällt die Prognose aufgrund der Daten des Statistischen Bundesamts zwar etwas geringer aus, aber auch dann würden bundesweit noch über 10.000 Lehrkräfte fehlen. Damit sei die Annahme der KMK, 2030 könnte es einen Überschuss von 6750 Grundschullehrkräften geben, ebenfalls überholt.

Die Kultusminister reagieren leicht gereizt auf die Bertelsmann-Prognose. „Dass der Bedarf an Grundschullehrern größer ist als zunächst angenommen, zeigen auch unsere Zahlen“, teilt KMK-Präsident Alexander Lorz (CDU), Kultusminister in Hessen, mit. „Dies ist also nichts Neues.“ Die KMK gibt zu, dass Bertelsmann wie schon in den Vorjahren schneller war, kündigt aber an, im November oder Dezember eine eigene Prognose aufgrund der neuen Berechnungen des Statistischen Bundesamts vorzulegen. Die Beratungen darüber würden in der kommenden Woche beginnen.

"Nicht überall in Deutschland fehlen tausende Lehrkräfte"

KMK-Präsident Lorz betont auch, dass sich die Lage in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich darstelle. Nicht überall in Deutschland würden voll ausgebildete Lehrkräfte zu tausenden fehlen. Die Bertelsmann-Stiftung hat jetzt lediglich bundesweite Zahlen präsentiert.

Eine bessere Qualifizierung dieser „Personen ohne Lehramtsbefähigung für die Grundschule“ empfiehlt die Bertelsmann-Stiftung bundesweit. Insbesondere Quer- und Seiteneinsteiger ohne Lehramtsabschluss müssten umfassend berufsbegleitend geschult und mit Mentoringprogrammen in die Kollegien integriert werden. Darüber hinaus müssten mehr Grundschullehrkräfte dazu bewegt werden, von Teilzeit auf volle Stellen zu gehen und auch jenseits der Pensionsgrenze weiter zu unterrichten. Die KMK beruft sich darauf, dass genau solche Programme bereits in den Ländern angelaufen sind.

GEW: "Abbruchquoten im Studium zu hoch"

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wirft den Ländern unterdessen vor, potenzielle Grundschullehrkräfte von dem Beruf abzuhalten. Dass es in einigen Ländern noch immer einen strengen Numerus clausus auf Lehramtsstudiengänge gibt, sei „eine Schande“, erklärt die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe.

Außerdem seien die Abbruchquoten im Grundschullehramt an den Universitäten zu hoch. Zu den Maßnahmen, die der Deutsche Philologenverband fordert, gehört ein „jährlicher Einstellungkorridor für die besten Referendarinnen und Referendare in jedem Fach in jeder Schulart“. Die Ministerien sollten „qualitätsorientiert über den aktuellen Bedarf“ einstellen. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) forderte mehr Studienplätze für angehende Pädagogen. Auch müssten „die Anstrengungen verstärkt werden, mehr junge Leute für den Lehrerberuf zu gewinnen.“

Berlin baut aus - und will bei Bedarf aufstocken

In Berlin bauen die Unis ihre Kapazitäten stark aus – auf der Grundlage der Hochschulverträge, die sie mit dem Senat für die Jahre 2018 bis 2022 geschlossen haben. Die Zahl der Studierenden, die ein Grundschulstudium aufnehmen, hatte sich wie berichtet innerhalb von fünf Jahren bereits insgesamt verdreifacht – auf 1000 Studienanfänger im Herbst 2018. Die Aufnahmekapazitäten seien inzwischen sogar verfünffacht worden, hieß es aus der Wissenschaftsverwaltung – auf aktuell 932 Plätze im Bachelor Lehramt Grundschule. Mit den Hochschulverträgen verpflichtet der Senat die Unis zudem auf jährlich 800 Grundschulabsolventen.
„Wenn der Bedarf weiter steigt, werden wir entsprechend nachsteuern“, sagte Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach auf Anfrage. Das gelte für die Aufnahmekapazitäten und auch für die Abschlusszahlen. Hier seien sowohl zusätzliche Professuren finanziert, als auch neue Maßnahmen wie die im vergangenen Herbst gestarteten 40 zusätzlichen Tutorienprogramme.

Dass sich die Kultusminister ungern von der Bertelsmann-Stiftung vorführen lassen, zeigt auch die Reaktion auf eine Forderung von Stiftungsvorstand Jörg Dräger:  Die KMK-Bedarfsprognose für die Lehrkräfte müsse „jährlich aktualisiert werden, um schneller auf die demographische Entwicklung reagieren zu können“. Eine jährliche Berichterstattung sei bereits im vergangenen Jahr auf KMK-Ebene beschlossen worden, erklärt Lorz. Und KMK-Sprecher Torsten Heil fügt hinzu: „Ein Ping-Pong-Spiel zwischen Bertelsmann und der KMK ist nicht zielführend.“ Alle Beteiligten seien mittlerweile für das Problem des Lehrkräftemangels „sensibilisiert“.

Amory Burchard

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