Der Fall Giffey und die Folgen: Berlin diskutiert über die Rüge als milde Sanktion in Plagiatsfällen
Im Plagiatsfall der Bundesfamilienministerin zog die FU die Rüge nach kritischen Gutachten zurück. Doch ins neue Berliner Hochschulgesetz könnte sie kommen.
Bürgert sich die Rüge in Plagiatsverfahren ein – für „minderschwere Fälle“? Mit dieser Fragestellung hatte die AfD-Fraktion im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses eine Anhörung beantragt.
Hintergrund ist die seit Monaten überholte Entscheidung der Freien Universität Berlin vom Oktober 2019, Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) trotz „objektiver Täuschung“ an 27 Stellen ihrer Dissertation eine Rüge zu erteilen, statt ihr den 2010 verliehenen Doktorgrad zu entziehen.
Eine Meinungsbildung über die Zulässigkeit von Rügen stehe wegen der jetzt diskutierten Novelle des Hochschulgesetzes (BerlHG) an, begründete Martin Trefzer, hochschulpolitischer AfD-Sprecher und Vorsitzender des Ausschusses, die Anhörung am Montag.
Zwei Gutachten – vom Wissenschaftlichen Parlamentsdienst auf Anfrage der AfD-Fraktion und vom Bonner Jura-Professor Klaus Gärditz im Auftrag der CDU-Fraktion – kamen im Sommer und Herbst 2020 zu dem Schluss, dass es das Instrument der Rüge im Hochschulgesetz nicht gibt und sie deshalb unzulässig sei.
Anhörung mit Ulrich Battis und Gerhard Dannemann
Der von der FU beauftragte Verwaltungsrechter Ulrich Battis dagegen urteilte, eine Rüge sei auch ohne gesetzliche Verankerung in minderschweren Fällen gestattet, äußerte sich aber nicht dazu, wie schwer der Fall Giffey sei. Aufgrund der drei Gutachten zog die FU die Rüge im November zurück und lässt Giffeys Arbeit gegenwärtig durch eine neue Kommission noch einmal prüfen. Nach dem Schlussbericht des ersten Prüfgremiums liege ein "minderschwerer Fall" nicht vor.
Der Einladung zur Anhörung folgten nun Ulrich Battis und Gerhard Dannemann, Juraprofessor an der Humboldt-Universität und als Experte beim Plagiats-Portal VroniPlag Wiki an der Giffey-Dokumentation beteiligt. Diese zeigte sehr viel mehr Plagiatsstellen als das erste Prüfgremium der FU, das sich aber an der VroniPlag Wiki-Vorlage orientiert hatte.
Der von Trefzer ebenfalls eingeladene Klaus Gärditz sagte ab. Für die CDU-Fraktion tadelte der Abgeordnete Adrian Grasse die Anhörung als Eingriff der AfD-Fraktion in den Wahlkampf – Giffey ist bekanntlich SPD-Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl im September – und als „unsensibel in Hinblick auf das laufende Verfahren an der FU“.
Was Dannemann und Battis im Ausschuss zum Instrument der Rüge zu sagen hatten, brachte jedoch Bewegung hinsichtlich der BerlHG-Novellierung. Dannemann erinnerte an die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf im Plagiatsfall der ehemaligen Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU).
Es wies eine von ihrem Anwalt ins Spiel gebrachte Rüge statt des von der Uni Düsseldorf verhängten Entzugs des Doktorgrads zurück, weil Schavan „bedingt vorsätzlich gehandelt“ habe. Daneben führte Dannemann Entscheidungen an, in denen das Verwaltungsgericht Berlin der Charité wiederholt ausgesprochene Rügen in Plagiatsfällen wegen Unzulässigkeit untersagt hatte.
SPD sieht Rüge als "Wahl der milderen Mittel"
Battis dagegen abstrahierte von konkreten Fällen und insbesondere von dem Giffeys. Das Land Berlin sei vielmehr grundsätzlich verpflichtet, für minderschweres Fehlverhalten andere Sanktionen als das strikte Entweder-Oder des Titelentzugs vorzusehen. Gängige wissenschaftliche Praxis sei die Rüge allemal, auch die juristische Fakultät der Universität Münster habe in mehreren Fällen so gehandelt.
Dannemann wandte ein, eine gängige Praxis mache die Rüge noch nicht rechtskonform. In minderschweren Fällen reiche das Instrument des Nicht-Entzugs aus. Die Messlatte sei: Hätte man die Arbeit so annehmen können, wie sie zur Plagiatsprüfung vorliegt? Wenn nicht, müsse der Entzug des Doktorgrads erfolgen.
Ines Czyborra (SPD) griff Battis’ Argumentation auf: Es spreche viel dafür, die Rüge als „Wahl der milderen Mittel“ in die Novelle des Berliner Hochschulgesetzes aufzunehmen. „Nicht jedes Fehlverhalten ist gleichwertig schädlich“, sagte Czyborra.
Dem stimmte Ulrich Battis noch einmal zu. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit lasse schon jetzt die Rüge zu, aber wegen drohender Rechtsstreitigkeiten sollte sie auch gesetzlich geregelt werden. Tobias Schulz (Linke) kündigte schließlich an: „Wir werden diesen Punkt bei der Beratung über die BerlHG-Novelle hineinnehmen.“