Plagiatsfall Giffey wird neu aufgerollt: Ein Debakel für Berlin – und die SPD
Alles auf Anfang im Plagiatsfall Giffey: Das ist eine größtmögliche Peinlichkeit und eine schwere Belastung für Politik. Vor allem in Berlin. Ein Kommentar.
Es ist ein Debakel. Ausgelöst von der Freien Universität, als die am Freitagnachmittag ankündigte, dass sie neu über die Plagiatsvorwürfe gegen die Doktorarbeit von Franziska Giffey entscheiden will.
Die Rüge, mit der Giffey im vergangenen Jahr trotz festgestellter „objektiver Täuschung“ davonkam, wurde zurückgezogen, der Fall ist wieder offen. Giffey, die bis heute gerne ihre offiziellen Dokumente mit „Dr. Giffey“ handschriftlich unterzeichnet, muss also wieder um ihren Titel bangen.
Wobei Bangen ein Understatement ist. In ihrer dürren Pressemitteilung lässt die FU bereits durchblicken, dass ihr Präsidium die Plagiate Giffeys für schwerwiegend hält. Das kann eigentlich nur bedeuten, dass sie der Ministerin und Berliner SPD-Vorsitzenden in spe den Titel aberkennen muss. Eine Rüge, wie sie die FU 2019 erteilte, ist nur in minderschweren Fällen möglich, wie gerade ein Gutachter bestätigte. Die Rüge ist à la Fußball die gelbe Karte für nicht so grobe Fouls.
Egal, wie die FU am Ende entscheidet: Die Neubefassung stellt für alle Beteiligten nicht nur die größtmögliche Peinlichkeit dar, sie ist auch eine schwere Belastung für Politik – vor allem in Berlin.
Was wollte die FU mit ihrer Rüge erreichen?
Zuerst zur FU: Für die Uni, die sich so stolz mit ihrem Exzellenztitel schmückt, ist das eine Blamage. Das müsste auch zu personellen Konsequenzen führen. Zumal die Frage jetzt umso dringender im Raum steht, was die FU überhaupt ritt, Giffey die Rüge zu erteilen.
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Wollte sie eine beliebte Politikerin und Parteigenossin des Regierenden Bürgermeisters und Wissenschaftssenators schützen? Das würde auch Michael Müller in starke Bedrängnis bringen, der die Rechtsaufsicht über die Universitäten hat. Oder wollte die FU womöglich die Doktormutter schonen, die eine ihrer profiliertesten Wissenschaftlerinnen ist und Giffey vielleicht falsche Ratschläge gab?
Giffey droht eine ungekrönte Königin auf Abruf zu werden
Für Franziska Giffey kommt die Entscheidung jedenfalls zum denkbar ungeeignetsten Zeitpunkt. Ende November soll sie mit Raed Saleh zur neuen Berliner SPD-Vorsitzenden gekürt werden. Als charismatische Spitzenkandidatin will sie danach die auch in Berlin darbende SPD zu neuen Höhen führen. Nun droht sie eine ungekrönte Königin auf Abruf zu werden. Es sind schon andere Politiker aus den ersten Reihen verschwunden, nachdem sich ihre akademischen Meriten als plagiiert erwiesen haben.
[Seit ihrer Zeit als Neuköllner Bürgermeisterin gilt Giffey als volksnah. Was tut sich in den Berliner Bezirken? Darüber berichten wir in unseren Leute-Newslettern, die Sie hier kostenlos bestellen können: leute.tagesspiegel.de]
Und Giffey hatte schon zu Beginn des ersten Verfahrens klar gemacht: Wird ihr der Titel aberkannt, tritt sie als Bundesministerin zurück. Dahinter kommt sie nicht zurück. Außer um den Preis der politischen Unglaubwürdigkeit. Aber gerade ihr politisches Kapital speist sich daraus, dass sie als ehrlich und unverstellt wahrgenommen wird. Als eine, die nicht als vermeintlich typische Politikerin gilt, die mal dieses sagt und mal jenes.
Die Partei ist an Giffeys Schicksal gebunden
Die Berliner SPD kann einem schon fast leidtun. Ersatz für Giffey als Spitzenkandidatin ist nicht in Sicht, die Partei ist an ihr Schicksal gebunden. Und Berlin? Natürlich braucht es keinen Doktortitel, um die Stadt erfolgreich zu regieren. Womöglich ist es vielen Berlinerinnen und Berlinern auch ganz egal, ob Giffey den Titel behält oder nicht. Aber den Betrugsversuch an sich, den wird man erinnern und nachtragen.
Der Stadt hätte es gut getan, nach der Kür der neuen SPD-Chefin über deren Politik und ihre Pläne zu debattieren – und nicht darauf warten zu müssen, wann die FU abermals über ihren Doktortitel entscheidet.