Hochschulen in der Corona-Krise: Berlin bekommt ein Flexisemester
Das Sommersemester findet statt, aber mit möglichst viel Flexibilität: Das haben die Wissenschaftsminister entschieden. Auch Berlin will so vorgehen.
Die Wissenschaftsministerien der Länder haben sich jetzt festgelegt: Auch im Sommersemester 2020 soll an den staatlichen Hochschulen ein Lehr- und Forschungsbetrieb stattfinden - und zwar "möglichst reibungslos".
Das teilte die Kultusministerkonferenz (KMK) am Freitagmittag fest und bestätigte damit den Inhalt eines entsprechenden Eckpunktepapiers, über das der Tagesspiegel bereits berichtet hatte. "Das Sommersemester 2020 wird ein ungewöhnliches, es soll jedoch kein verlorenes Semester sein", heißt es in der Mitteilung der KMK.
Das Semester wird in Berlin nicht auf die Fachstudienzeit angerechnet
Es werde "angestrebt, für die Hochschulen die erforderlichen Rahmenbedingungen für einen möglichst reibungslosen Lehr- und Forschungsbetrieb im Sommersemester 2020 zu schaffen", heißt es weiter.
Dabei solle durch klare Leitlinien "möglichst viel Flexibilität für die Semestergestaltung" gewährt werden, aber auch "Verlässlichkeit und Planungssicherheit bei gleichzeitiger Nachteilsvermeidung für Studentinnen und Studenten".
So wird es auch in Berlin sein. "Das Berliner Sommersemester 2020 soll angesichts der Corona-Pandemie von Flexibilität, Rücksicht und Verlässlichkeit geprägt sein", heißt es in einer Erklärung vom späten Freitagnachmittag.
Lehraufträge werden weiter erteilt
Berliner Studierende sollen demnach Prüfungs- und Lehrangebote "nach individueller Möglichkeit annehmen und Leistungspunkte erbringen". Das Sommersemester werde nicht auf die Fachstudienzeit angerechnet. Wenn Studierende also nicht alle geplanten Lehrveranstaltungen leisten konnten, soll sich das nicht auf die Regelstudienzeit auswirken.
Auf ein solches "Flexisemester" hatten sich die Hochschulen in Brandenburg bereits zuvor festgelegt, wie Wissenschaftsministerin Manja Schüle dem Tagesspiegel im Interview sagte.
Berlin will zudem vorgesehene Verträge mit studentischen Hilfskräften grundsätzlich abschließen, Lehraufträge für Lehrbeauftragte weiter ebenfalls grundsätzlich erteilen.
Was passiert bei einem langen Shutdown?
Gleichwohl stehen die Wissenschaftsministerien weiter vor der Frage, ob und wann in den Wochen nach Ostern womöglich - neben den anlaufenden Online-Angeboten - ein Präsenzbetrieb stattfinden kann. Für den Fall jedoch, dass der Shutdown der Hochschulgebäude wegen der Covid-19-Pandemie auch noch im Mai und im Juni aufrecht erhalten werden muss, gibt es nun konkrete Überlegungen.
Die KMK skizziert das Worst-Case-Szenario denkbar umständlich: Man plane auch für den Fall, "dass durch aktuelle Entwicklungen weiterreichende Entscheidungen zur Ausgestaltung des Sommersemesters 2020 und der Terminierung des Bewerbungs- und Zulassungsverfahrens für das Wintersemester 2020/2021 erforderlich werden".
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Die Semesterzeiten sollen im Fall eines längeren Notbetriebs nicht verschoben, wohl aber die Vorlesungszeiten für das Sommersemester "flexibel ausgestaltet werden".
Das heißt, dass Vorlesungen, Seminare und Praktika des Sommersemesters bis in den Spätsommer nachgeholt werden können. Die Termine für Bewerbungen und Zulassungen zum Wintersemester werden "angepasst", also auch nach hinten verschoben. Das passt zu teilweise später angesetzten Abiturterminen.
Die Vorlesungszeit des Wintersemesters soll an Universitäten und Fachhochschulen - wenn die "aktuellen Entwicklungen" es erfordern - einheitlich erst am 1. November 2020 starten. Und die Bewerbungsportale der Stiftung für Hochschulzulassung soll "frühestens" am 1. Juli geöffnet werden.
Beginnen die Vorlesungen im Winter erst Anfang November?
Auch Berlin will über eine mögliche Verlängerung der Vorlesungszeit des Sommersemesters erst später und "bedarfsgerecht" zusammen mit den Hochschulen entschieden, wie es in der Erklärung der Hochschulen und der Senatskanzlei heißt
Ebenso soll später über eine Verschiebung der Vorlesungszeit des Wintersemesters entschieden werden, als Datum für den Beginn wird "beispielsweise" der 2. November genannt.
Nachteile für Studierende verhindern
Was auch immer in den kommenden Wochen bundesweit und in den 16 Ländern verbindlich beschlossen wird: Die Wissenschaftsministerien haben sich auf "Flexibilität für die Semestergestaltung" eingeschworen. Alle Beteiligten bräuchten Planungssicherheit und insbesondere für Studierende wolle man "Nachteile verhindern", heißt es.
Den Studierenden, die aufgrund der Folgen der Covvid-19-Pandemie keine oder nicht alle vorgesehenen Studienleistungen erbringen können, dürften "grundsätzlich keine Nachteile" entstehen, etwa hinsichtlich der Regelstudienzeit. Die Länder wollen sich beim Bund für flexible Regelungen ebenso beim Bafög und beim Kindergeld einsetzen.
Die meisten Berliner Hochschulen wollen am 20. April starten
In Berlin gehört die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) unterdessen zu den Ersten, die mit dem Sommersemester schon am 1. April losgelegt haben – mit digitalen Angeboten und Selbstlernaufgaben.
„Ab 1. oder 2. April werden Sie mit Material und Möglichkeiten versorgt, sich dem Studium zu widmen“, sagt Katrin Hinz, Dekanin des Fachbereichs Gestaltung, in einer Videobotschaft zur Begrüßung der Erstsemester. „Seien Sie offen, neue Wege zu gehen“, ruft sie Lernende und Lehrende auf.
Die anderen Berliner Fachhochschulen wollen, wie auch die Universitäten, generell erst am 20. April digital starten – bereits bestehende Online-Studiengänge auch schon früher, heißt es aus dem Umfeld der Covid-19-Taskforce der Senatskanzlei Wissenschaft und der Hochschulen.
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Auf ein solches "Flexisemester" haben sich die Hochschulen in Brandenburg bereits festgelegt, wie Wissenschaftsministerin Manja Schüle dem Tagesspiegel im Interview sagte.
Ob und ab welchem Zeitpunkt im Sommersemester ein Präsenzbetrieb in Lehre und Forschung wieder möglich sein wird, könne man derzeit noch nicht sagen, heißt es auch in Berlin. Klar sein aber dürfte, dass die Lehre in Hörsälen und Seminarräumen auch dann nur allmählich hochgefahren wird. Die bis dahin entwickelten Angebote im „Distance Learning“ könnten dabei helfen, volle Lernräume auf dem Campus zu verhindern.
Lehramtsprüfungen mit Ersatzleistungen möglich
Geeinigt hat sich die KMK bereits am Donnerstag darauf, "dass Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter im Vorbereitungsdienst, die im Jahr 2020 ihre Staatsprüfung ablegen, keine Nachteile aufgrund von Maßnahmen des Infektionsschutzes im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Coronavirus haben sollen".
Wenn im weiteren Verlauf des Schuljahres unterrichtspraktische Prüfungen nicht möglich sein sollten, seien andere Prüfungsformate denkbar. Die Länder könnten nach Prüfungsersatzleistungen die Abschlüsse gegenseitig anerkennen. Und sie könnten Vorleistungen aus dem Vorbereitungsdienst für das Ergebnis der Staatsprüfung stärker als bisher berücksichtigen.
Aktionsplan für Menschen in Ausbildung und Studium
Konkrete Maßnahmen, um von der Corona-Krise betroffene Studierende und auch Auszubildende besser vor ökonomischen Folgen zu schützen, forderte die Arbeitsgruppe Bildung und Forschung der SPD-Bundestagsfraktion am Freitag. Bund und Länder müssten ihnen ermöglichen, ihre Ausbildung erfolgreich fortzusetzen und zu beenden und dabei ihre laufenden Kosten für Wohnung und Lebensunterhalt weiter tragen zu können, heißt es in einem "Aktionsplan für Menschen in Ausbildung und Studium".
Vorgeschlagen wird im wesentlichen, starre Bezugskriterien und Fristen unbürokratisch zu flexibilisieren. So sollte das Sommersemester 2020 angesichts der absehbaren Schwierigkeiten nicht auf die Förderhöchstdauer im Bafög angerechnet werden.
Zudem müsse das Bafög "mit einem vereinfachten und beschleunigten" Verfahren genutzt werden, um Studierende in der Krise abzusichern. Dafür solle das Bundesbildungsministerium umgehend sorgen, fordert die Arbeitsgruppe. Verantwortlich zeichnet Oliver Kaczmarek, Sprecher für Bildung und Forschung der SPD-Bundestagsfraktion.
"Keiner soll sich um das Bafög Sorgen machen"
Wenn Studierende Jobs im medizinischen Bereich, im Lebensmitteleinzelhandel oder der Landwirtschaft annehmen, solle ihr Einkommen nicht auf die Bafög-Förderung und auf die Grenzen für die studentischen Krankenversicherung angerechnet werden, heißt es.
Dazu hatte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek aber wie berichtet schon angeordnet, dass Studierende ihren Hinzuverdienst aus solchen Tätigkeiten nur für die Zeit ihrer Tätigkeit angerechnet bekommen. Danach sollen sie wieder ihren regulären Bafög-Satz erhalten. „Keiner soll sich wegen Corona um sein Bafög Sorgen machen“, teilte Karliczek mit.
Für Auszubildende fordert die SPD unter anderem, Ausbildungsabbrüche und der Verlust von Ausbildungsplätzen müssten mit allen Mitteln verhindert werden. Helfen könnten überbetriebliche Fonds zur Sicherung von Ausbildungsplätzen bei Kurzarbeit.