Umstellung auf E-Learning in der Corona-Krise: Mutige Expeditionen ins Neuland
Mit Smartphone, Laptop und Webcam allein im Hörsaal oder im Homeoffice: So wollen Lehrende an den Berliner Unis den Online-Semesterstart schaffen
Kommt ein Kreativsemester, in dem unter dem Druck der Corona-Krise und des daraus folgenden Shutdown der Hochschulen neue Ideen für die digitale Lehre der Zukunft ausprobiert werden? Oder läuft es auf ein Nichtsemester hinaus?
Am wahrscheinlichsten ist im Moment wohl ein Flexisemester, in dem Studierende, die ein zumutbares digitales Angebot bekommen und es technisch und gesundheitlich wahrnehmen können, ihre Leistungen teilweise erbringen. Und den Rest mit allen anderen nachholen, wenn der Präsenzbetrieb allmählich wieder startet.
Am digitalen Gelingen jedenfalls wird überall gearbeitet - oder noch über das Ob und Wie diskutiert. Wir durften in einige dieser Werkstätten hineinhören. Entstanden sind fünf mutmachende Protokolle - aufgezeichnet von Amory Burchard.
Gabriele Penn-Karras ist Dozentin am Institut für Mathematik der Technischen Universität Berlin.
Vor ein paar Jahren wurde ich schon einmal vom Innovations-Campus gefragt, ob ich einer Aufzeichnung einer meiner Vorlesungen zustimme. Damals habe ich abgelehnt, man gibt ja vor der Kamera auch etwas von sich weg.
Aber jetzt war klar, ich wollte den Kurs, den ich seit 24. Februar gegeben habe, weiterführen. Ich mag die Studierenden und wollte sie nicht nach einem halben Kurs im Regen stehen lassen.
Eine Woche lang hatte ich noch Zeit, Videos im leeren Hörsaal aufzunehmen, dann wurde die Uni geschlossen. Also sagte man mir: Sie können ihre Vorlesung halten, wir lassen die Kamera mitlaufen, aber zum Schneiden ist hinterher keine Zeit. Deshalb hört man auch, wie ich den Schwamm auswasche, und sieht, wie ich die Tafel wische. Das gibt den Studierenden auch mal Zeit zum Verschnaufen.
Hintergrund-Informationen zum Coronavirus:
- Interaktive Karte: Alle bestätigten Coronavirus-Infektionen nach Landkreisen und Bundesländern
- Senat beschließt Kontaktbeschränkungen: Was jetzt noch in Berlin erlaubt ist
- Schließungen, Hotlines, Anlaufstellen: Das müssen Sie wissen, hier bekommen Sie in Berlin Hilfe
- Am Coronavirus erkrankt oder nur Schnupfen? Was man über die Symptome weiß
- Tag für Tag: Auf unserer interaktiven Karte sehen Sie, wie sich das Virus global ausgebreitet hat
Wenn sie es ansonsten nicht schaffen, alles mitzuschreiben, können sie die Stop-Taste drücken. Ich habe alles so gemacht wie immer in Vorlesungen: Tafelbild mit Formeln und Zeichnungen, meine Erklärungen. Manche der üblichen Fragen kann ich auch ohne Studierende vorhersehen und beantworten.
Nach der Woche im Hörsaal habe ich zu Hause weitergemacht, mit Laptop, Webcam, Papier und Stift. Ob ich dafür eine Fortbildung brauche? Dafür ist gerade keine Zeit, das muss ohne gehen. Aber es ist natürlich eine Notlösung, es fehlt die direkte Interaktion. Ich hoffe, dass ich im nächsten Kurs wieder live vor den Studierenden stehen kann.
Norbert Palz ist Professor für digitales und experimentelles Entwerfen an der Universität der Künste Berlin und seit dem 1. April Präsident der UdK.
Meine Ernennungsurkunde zum Amtsantritt als UdK-Präsident hat mir schon am Montag eine Mitarbeiterin der Senatskanzlei Wissenschaft auf den Treppenabsatz vor meiner Wohnung gelegt. Persönlich, aber mit großem Abstand und ohne das übliche Dekorum.
Das hatte etwas von einer Nothochzeit in Krisenzeiten. Und es passt zu den experimentellen Zugängen, die wir jetzt als künstlerische Universität zu unseren Aufgaben finden sollten.
Ich bin positiv gestimmt, weil ich in einem Wechsel des Mediums immer auch einen Erkenntnisgewinn vermute. Das gelingt in bestimmten Fächern sicher besser als in anderen – und jedem Mitglied der Universität in eigener Weise. Für viele ist es ungewohnt, dass wir aus analogen Erfahrungen keine passgenaue Übersetzung ins Digitale finden.
Aber jetzt gilt es, pragmatische Lösungen aus dem zur Verfügung stehenden digitalen Werkzeugkasten zu entwickeln. Das wird im Studiengang Kunst und Medien besser gelingen als in einer Fagott-Klasse. Unsere Musiker*innen, ob sie lehren oder lernen, sind so diffizil, dass wir auf Sender- und Empfängerseite Studio-Bedingungen bräuchten, um die Stunden wirklich vollgültig digital geben zu können.
Insofern werden wir an der UdK ab dem 20. April bis zur Normalisierung des Lehrbetriebs etwa 30 bis 40 Prozent des Studien- und Prüfungsprogramms digital abbilden können. Dabei wollen wir – trotz aller gebotenen Flexibilität – darum kämpfen, unsere hohen künstlerischen Standards aufrecht zu erhalten.
Insgesamt sehe durch diese improvisatorische Note der Notsituation die Chance, zu einem neuen Austausch unter den Lehrenden und zwischen den Fakultäten zu kommen.
Martina Mörth leitet das Berliner Zentrum für Hochschullehre, eine Kooperationseinrichtung der 13 Berliner Hochschulen.
In den vergangenen Tagen habe ich täglich selbst jeweils ein Webinar geleitet und unterstütze auch unsere Dozentinnen, die bisher nur Präsenzveranstaltungen kennen, bei ihren Online-Seminaren. Das sind beispielsweise Didaktikworkshops für Neuberufene, die wir kurzfristig digitalisiert haben.
Für viele ist digitales Lehren und Lernen neu - ich habe mittlerweile rund vier Wochen Erfahrung. Zur „normalen“ Hochschuldidaktik, etwa der Frage, wie wir Input, Verarbeitungs- und Diskussionsphasen planen, kommt jetzt noch die Aufgabe, das ad hoc in digitalen Formaten zu tun.
Informationen zur Corona-Lage an den Hochschulen
- Interview mit dem Wissenschaftsstaatssekretär: "Von einem Ausfallen des Semesters wollen wir nicht sprechen"
- Berliner Hochschulen im Notbetrieb: Wie der Senat die Digitalisierung unterstützt und was die Unis sich vornehmen
- Sorgen der freien Dozentinnen und Dozenten: Unsichere Zeiten für Lehrbeauftragte
- Studierende in finanzieller Not: Ein Hilfsfonds, falls Jobs wegfallen und das Bafög nicht mehr reicht
Im Webinar lernen die neuen Profs auf zwei Ebenen: inhaltlich und als Teilnehmende aus Sicht der Studierenden. Sie erfahren aber auch, was alles nicht funktionieren kann. An einem Tag funktionierte Adobe Connect nicht, so mussten wir kurzfristig auf Skype umschwenken. Ein Teilnehmender, der sehr erfahren darin war, hat dann den Switch auf Skype übernommen und alle eingeladen. Es ist ein großes Labor, in dem wir gemeinsam lernen.
Hinzu kommt, dass ich im Homeoffice mit zwei Grundschulkindern arbeite. So betreue ich sie vormittags "in der Schule". Nach dem Mittagessen habe ich eine Skype-Konferenz mit meinem Team (drei fest angestellte und vier studentische Mitarbeiterinnen), und ab 14.30 Uhr bereite ich dann die Webinare inhaltlich sowie das Layout in Adobe Connect vor.
Wenn ein Webinar um 17 Uhr beginnt, treffen die Teilnehmenden schon um 16.30 Uhr für den Technik-Check ein (Mikro, Headset, Kamera etc.). Nach dem Webinar muss ich die Selbstlernaufgaben vorbereiten und den Teilnehmenden noch versprochene Unterlagen schicken – das geht oft bis 23 Uhr.
Zum Glück erledigt mein Partner die Einkäufe, denn ich schaffe es kaum, die Wohnung zu verlassen.
Susanne Zepp ist Romanistik-Professorin an der Freien Universität und Mitinitiatorin des German-Israeli Virtual Campus.
Vor zwei Jahren haben wir für das Modellprojekt des German-Israeli Virtual Campus verschiedene Vorlesungen als Videos aufgenommen. Mit viel Zeit, in unserem Studio in der Unibibliothek, begleitet von einem Team des Centers für digitale Systeme (CeDis) der FU.
Jetzt sitze ich zu Hause mit Smartphone und Notebook und nehme meine Überblicksvorlesung zur spanischen Literaturgeschichte als Podcast auf – und denke, dass das Ergebnis ganz ordentlich wird.
Aus dem German-Israeli Virtual Campus weiß ich: Eine digitale Vorlesung darf nicht 90 Minuten dauern, sondern muss in Einheiten von höchstens 15 Minuten aufgeteilt werden. Ich schreibe also meine Skripts gerade entsprechend um.
Für das reine Audio-Format habe ich mich entschieden, weil wir nicht davon ausgehen können, dass alle Studierenden eine gute Netzanbindung, einen eigenen Computer und ein eigenes Arbeitszimmer haben, also Bedingungen, um Vorlesungen per Video zu streamen. Die asynchronen Formate in überschaubaren Dateigrößen sind da einfach fairer.
Für alle Formen des E-Learnings hat die CeDis eine hilfreiche Webseite aufgesetzt. Damit können wir sehr gut arbeiten.
Insgesamt stelle ich gerade vier Lehrveranstaltungen um. Alle Kursunterlagen sind bereits eingescannt und auf Blackboard eingestellt. Dazu entwerfe ich Selbsttests und Arbeitsblätter, damit die Studierenden strukturiert mit den Texten arbeiten können. Zu den Seminarstunden werde ich dann online sein und für Fragen und Diskussionen bereitstehen.
Die jetzige Krise, in der sich alle kurzfristig und mit viel Engagement auf E-Learning umstellen, macht uns noch deutlicher, wie wichtig eine langfristige und nachhaltige Förderung von sinnvollen digitalen Lehr- und Lernformaten ist – gerade auch für die internationale Kooperation, die ebenfalls stark unter den Folgen von Covid-19 leidet.
Jurik Stiller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Didaktik des Sachunterrichts an der Humboldt-Universität.
In der Lehrkräftebildung für die Grundschulen haben wir ja ein Probierfeld. Relativ neue Studienordnungen, sehr viel mehr Studierende als früher – wir hatten gerade alle Lehrveranstaltungen neu konzipiert. Bei der Digitalisierung blieben wir aber meist ganz klassisch. Außer Powerpoint und der Nutzung für Moodle, um mit den Studierenden zu kommunizieren, haben wir digitale Medien erschreckend wenig eingesetzt.
Die Infrastrukturen dafür waren aber auch nicht vorhanden. Jetzt sagt uns das Rechenzentrum: Ihr habt ja auch nicht nachgefragt. Und nun sollen wir einfach loslegen mit digitalen Formaten, um die Lehre ohne Präsenzbetrieb ab 20. April zu leisten?
Bis jetzt diskutieren wir eher über das Ob und das Wie. Zum Beispiel über das Konferenzsystem Zoom, das wir als Alternative zu den oft überlasteten bestehenden Angeboten des Deutschen Forschungsnetzes nutzen, obwohl es vielen datenschutzmäßig suspekt ist.
Über die Form der digitalen Lehrveranstaltungen: Ob jeder sein Didaktikseminar wie immer alleine durchzieht und sich dabei abfilmt, oder ob wir eine gemeinsame Hülle hingekommen, ein breites Angebot, wo sich Studierende dann besser als vorher auch individuell ein eigenes Studienangebot zusammenstellen können.
Als Arbeitsleistungen sind Stopp-Motion-Filme, Wiki- oder Blog-Einträge denkbar. Ich sehe darin eine große Chance, zu zeitgemäßen kooperativen Lehr- und Lernformen zu kommen. Andere sehen die Unsicherheit, ob sie dazu technisch und zeitlich in der Lage sind. Oder ob wir am Ende nicht „für die Mülltonne digitalisieren“, falls das Semester entweder ganz ausfällt oder schneller als gedacht im Präsenzbetrieb stattfindet.