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Nach mehrtägigen Verhandlungen zur Zusammenfassung für die Politik stellten der damalige Arbeitsgruppenleiter Thomas Stocker (rechts) und der damalige Vorsitzende des Weltklimarats Rajendra Pachauri den neuen Bericht in Stockholm vor.
© B. Ericson/dpa

Berichte des Weltklimarates: „Alle zehn Jahre geht ein halbes Grad verloren“

Der vormalige Arbeitsgruppenvorsitzende im IPCC Thomas Stocker über den neuen Bericht, die Klimapolitik und eine Pause, die nie eine war.

Herr Stocker, nehmen Sie gerne an Bildschirmkonferenzen teil?

Ich mache es, aber es sollten nicht zu viele Teilnehmer sein.

Der diese Woche virtuell laufenden Abschlussverhandlung des neuen Sachstandsberichts des IPCC mit Regierungsvertretern aus aller Welt bleiben sie also gerne fern.

Ja. Ich finde es für die Arbeitsgruppenleiter extrem schwierig. Nach meiner Erfahrung ist der persönliche Austausch mit den Delegierten im Meeting, aber auch in Kaffee- oder Mittagspausen extrem wichtig. Aber dieses Mal bin ich nicht dabei.

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Die angebliche Klimapause

Sie haben den letzten IPCC-Bericht zu den wissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels koordiniert. Wie erinnern Sie sich an die Verhandlung der Zusammenfassung für Entscheidungsträger (Download hier), die sie 2013 geleitet haben?

Wir hatten uns akribisch vorbereitet. IPCC-Berichte werden in mehreren Runden von den Regierungen begutachtet und kommentiert. Die Texte im Konsens mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern anzupassen und dann in der viertägigen Verhandlung den Konsens mit den Delegierten zu suchen, war das Highlight meiner 17-jährigen Arbeit im IPCC. Wir hatten auch sehr schwierige Passagen zu verhandeln.

Welche waren das?

Eine befasste sich mit der Klimapause. Dieser Begriff ist heute schon fast vergessen, aber 2013 verlangten einige Regierungen, dass er das Hauptthema des Berichts sein sollte. Die Klimaforschung sollte erklären, warum die Erwärmung seit 1998 nicht messbar fortgeschritten sei, wie behauptet wurde. Das haben auch viele Medien in den zwei Jahren zuvor immer wieder so kolportiert.

1998 war ein außergewöhnlich warmes Jahr. In der Temperaturkurve der Folgejahre war der langfristig ansteigende Trend nicht so deutlich zu erkennen wie er es danach wieder wurde.

Wir haben ganz nüchtern analysiert, wie sich die Temperatur zwischen Anfang 1998 und Ende 2012 verändert hat. Dann haben wir diesen Wert mit denen für jeweils fünfzehn Jahre ab 1997, 1996 und 1995 verglichen. Diese drei Zahlen haben wir in einer Fußnote genannt und damit gezeigt, dass die angebliche Stagnation keine robuste Aussage ist. Sie änderte sich sehr stark, wenn man den Beginn des Zeitraums nur leicht verändert. Damit war diese Debatte abgeschlossen, ohne dass wir die angebliche Klimapause im Bericht weiter diskutieren mussten.

Harte Grenzen für Emissionen

Gab es weitere potentielle Knackpunkte?

Ja, vor allem das Konzept der Emissionsbudgets: dass jede Erwärmung nahezu linear mit einem Gesamtausstoß von Kohlendioxid seit dem Jahr 1750 verknüpft ist. Je mehr fossiler Kohlenstoff in die Atmosphäre gelangt, umso stärker steigt die globale Durchschnittstemperatur. Die enge Verknüpfung von Klimazielen mit einem Budget von Kohlendioxid-Emissionen, die damit noch verträglich sind, war politisch hochbrisant. Zumal wir diese Aussage in einer Abbildung dargestellt haben, die in den Verhandlungen noch kritischer betrachtet werden, als Text. Wir wollten gemäß des Auftrags des IPCC auf physikalisch wissenschaftlicher Basis eine relevante Aussage für die Verhandlungen der Klimarahmenkonvention liefern . Es hat heftigen Widerstand von einigen Ländern gegeben, den wir durch beharrliches Erklären der wissenschaftlichen Evidenz über viele Stunden auflösen konnten.

In den Jahren vor der Veröffentlichung war der IPCC öffentlich stark angegriffen worden. Aus marginalen Fehlern im vorherigen Bericht war in der öffentlichen Wahrnehmung eine Glaubhaftigkeitskrise des Gremiums geworden. Davon ist nach dem fünften Sachstandbericht 2014 nicht viel geblieben.

Wir hatten unsere Hausaufgaben gemacht, die Kontrollmechanismen verstärkt, ein Protokoll für den Umgang mit Fehlern und eine Strategie für die Kommunikation mit Medien entwickelt. In der Arbeitsgruppe I haben wir Headline-Statements entwickelt, die in einfacher Sprache die Hauptaussagen der Zusammenfassung und teils komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge darstellen. Der IPCC hatte gelernt und es gab nach Veröffentlichung des fünften Sachstandsberichts keine vergleichbaren Skandalisierungen.

Die Kritik hat wahrscheinlich zum Scheitern der Klimakonferenz in Kopenhagen im Jahr 2009 beigetragen.

Es war eigentlich das Ziel dieser Konferenz, ein Klimaziel zu vereinbaren. Dies wurde dann erst sechs Jahre später auf der UNFCCC-Konferenz in Paris mit der Verpflichtung erreicht, die globale Erwärmung deutlich unter zwei Grad zu halten.

Was man vom neuen Bericht erwarten darf

Am Montag wird der erste Beitrag zum sechsten Sachstandsbericht des IPCC der Öffentlichkeit vorgestellt. Dabei steht die kurze Zusammenfassung im Rampenlicht, der ausführliche Bericht findet weniger Beachtung. Gehen bei der Verkürzung nicht entscheidende Details verloren?

Das ist eine berechtigte Frage. In der Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger wird aber auf die ausführlichen Darstellungen verwiesen. Ihre Funktion ist auch eine andere, als die des vollen Berichts. Es geht darum, darin die großen, politikrelevanten Zusammenhänge aufzuzeigen und in verständliche Worte zu fassen.

Wie beurteilen Sie die Fortschritte der internationalen Klimapolitik seit 2013?

Das Pariser Abkommen von 2015 ist ein Meilenstein von historischer Dimension. Dass dort das Zwei-Grad-Ziel definiert und vereinbart worden ist und das ehrgeizigere 1,5-Grad-Ziel festgehalten wurde. Dass auch festgehalten ist, wie Finanzströme klimafreundlich werden müssen. Paris war wirklich ein politischer und gesellschaftlicher Durchbruch. Sechs Jahre später sehen wir aber an den Kohlendioxid-Konzentrationen in der Atmosphäre, dass sich leider nicht viel verändert hat. Wir haben aufgrund der Coronakrise eine kleine Delle in der Emissionskurve, aber die Beiträge der Länder, Emissionen zu reduzieren, gibt es bisher nur auf dem Papier. Wir wissen auch, dass die angekündigten Reduktionen nicht ausreichen, um unter zwei Grad Celsius zu bleiben.

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Was kann die Veröffentlichung des sechsten Sachstandsberichts hier bewirken?

Ein neuer historischer Durchbruch ist derzeit nicht abzusehen. Wir sind jetzt im Pariser Prozess und der nächste Schritt wird sein, festzustellen, wo wir stehen: Was sind die Ambitionen der Länder bislang, was haben sie erfüllen können. Der IPCC wird zu dieser Bestandsaufnahme beitragen können und zeigen, dass wir bislang kaum vom „Business as usual“ abgewichen sind. Der zweite wichtige Beitrag des Berichts wird sein, die Dringlichkeit zu belegen, mit der hier gehandelt werden muss. Das wollten wir eigentlich schon 2013 mit den Emissionsbudgets mitteilen: Alle zehn Jahre geht ein halbes Grad verloren. Wir werden mit Weiter-wie-bisher das Klimaziel verfehlen.

Rechnen mit Unbekannten

In den meisten Projektionen von Klimamodellen, in denen 1,5 oder zwei Grad Erwärmung nicht überschritten werden, ist fest eingeplant der Atmosphäre in großem Umfang Kohlendioxid zu entnehmen. 2013 beurteilten Sie den Wissensstand als ungenügend dafür, abzuschätzen, wie viele Emissionen auf diese Weise ausgeglichen werden könnten. Wie beurteilen Sie den Wissensstand heute?

In den letzten Jahren wurden Technologien dafür entwickelt, das atmosphärische Kohlendioxid wieder einzufangen. Bisher wurde aber nur gezeigt, dass es möglich ist. Die Herausforderung besteht darin, diese Technologien global zu verbreiten und zur Anwendung zu bringen. Das sehe ich gegenwärtig als Wunschdenken an. Wir können nicht sicher sein, dass Kohlendioxid-Entnahme aus der Atmosphäre je einen substantiellen Beitrag leisten wird. Das heißt aber nicht, dass man diese Technologien nicht vorantreiben sollte. Ich denke, dass entscheidend sein wird, fossile Brennstoffe in allen Sektoren durch erneuerbare Energien zu ersetzen.

Die Veröffentlichung des neuen Berichts fällt in eine Zeit, in der Extremereignisse in vielen Regionen der Welt große Schäden verursachen.

Wir sehen, dass auch Regionen in Industrieländern sehr betroffen sind, bei denen man bislang davon ausging, dass sie Folgen des Klimawandels locker wegstecken könnten. So ist es eben nicht. Wir sehen das mit den Hitzewellen in Amerika und in der Mittelmeerregion und mit den Überflutungen in Westeuropa. Wir sind verletzlich, wir sind sehr verletzlich.

Es wird in Frage gestellt , inwieweit solche Ereignisse auf den Klimawandel zurückzuführen sind.

Die heutigen Extremereignisse werden verstärkt und sie treten auch häufiger auf, weil der Klimawandel fortgeschritten ist, deutlich im Vergleich zur Zeit vor zwanzig Jahren. Die „event attribution“, die Frage ob das Ereignis vor der eigenen Haustür mit dem Klimawandel zusammenhängt, ist eines der neuen Forschungsgebiete, deren Resultate im neuen Sachstandsbericht beurteilt werden können, weil es jetzt wissenschaftliche Studien dazu gibt. Der Klimarat macht ja selbst keine Forschung, sondern beurteilt, was veröffentlicht wurde. Ich erwarte, dass die Beurteilung der event attribution eine der wichtigen Botschaften des neuen Berichts wird. Wie sie aussehen wird, weiß ich aber noch nicht.

Das wird vielleicht diskutiert, während wir sprechen.

Das ist möglich und es könnte auch einer der aktuellen Streitpunkte sein, da es hier auch um die Haft- und Vorsorgepflicht geht.

Lehren aus der Coronakrise

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Der erste IPCC-Bericht erschien 1990. Die Erfolge von Klimapolitik der vergangenen drei Jahrzehnte sind überschaubar. Ist die globale Gemeinschaft ein zu komplexes Gebilde um angemessen reagieren zu können?

Nein. Wir durchleben das Gegenbeispiel. In der Coronakrise wird global mit einer kohärenten Strategie auf einen Notfall reagiert, vor allem der Entwicklung von Impfstoffen, aber auch dem Testen und den Lockdowns. Es geht also. Bei der Klimaproblematik greifen wir aber viel tiefer in unsere bestehenden industriellen und technologischen Infrastrukturen ein. Fossile Brennstoffe sind seit über 150 Jahren sehr erfolgreich und wir sind praktisch in jedem Bereich von ihnen abhängig. Es ist eine riesige Herausforderung sie zu ersetzen. Auch wenn die Technologien dazu vorhanden sind, ist die Infrastruktur noch nicht eingerichtet und es gibt den massiven Widerstand derer, die am Geschäftsmodell „fossile Energie“ verdienen und somit festhalten. Das zu verändern, sich davon zu verabschieden ist zwar auf dem Papier vereinbart, aber es bleibt eine Herkulesaufgabe.

Die Fragen stellte Patrick Eickemeier.

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