Klimawandel: Die Pause bei der Erderwärmung ist auf einmal weg
Doch keine "Klimapause": Die globalen Durchschnittstemperaturen steigen ungebremst. Das behaupten Forscher, nachdem sie historische Messwerte erneut korrigiert haben. Offenbar war die Datenbasis nicht so gut, wie gedacht.
Die Erderwärmung macht eine Pause. Diesen Eindruck erwecken Abbildungen, auf denen die Entwicklung der globalen Durchschnittstemperatur dargestellt wird (Grafik unten links, Daten zur Mitteltemperatur vom britischen Met Office). Um das Jahr 1998 herum ändert sich etwas. Nach einem deutlichen Anstieg der Temperatur flacht die Kurve ab, die Erwärmung verläuft anscheinend langsamer. Diese Einschätzung teilen die meisten Autoren des jüngsten Sachstandberichts des Weltklimarats (IPCC). Dort heißt es: Die globale Oberflächentemperatur zeigt von 1998 bis 2012 eine geringere Zunahme als in den 30 bis 60 Jahren zuvor. Über Ursachen für die gebremste Erwärmung wird heftig diskutiert und viel publiziert, auch Klimawandelskeptiker nutzen die Grafiken gern für ihre Argumentation.
"Science" setzt die Studie prominent in Szene
Alle Aufregung umsonst? Das lässt eine Studie von Forschern der US-Wetterbehörde NOAA vermuten. Keine Spur von einer gebremsten Erwärmung, die Temperaturen steigen weiter wie gehabt! So lautet das Fazit ihres Fachartikels, den das Wissenschaftsmagazin „Science“ prominent platziert hat.
Die Autoren um Thomas Karl haben sich einer bislang wenig beachteten Frage gewidmet. Alle Berechnungen zur globalen Temperaturentwicklung basieren auf Datensätzen, die von tausenden Messstellen an Land und auf See stammen. Die einzelnen Messverfahren liefern aber etwas unterschiedliche Daten, die nicht unmittelbar miteinander verglichen werden können. So wurde die Temperatur des Meerwassers, die im Durchschnitt der Lufttemperatur über dem Wasser entspricht, jahrzehntelang mithilfe von Eimern bestimmt, die an Bord von Schiffen gehievt worden waren. Durch Verdunstung ist die Temperatur in den Schöpfeimern jedoch etwas niedriger als im Meerwasser, was eine Korrektur erfordert. Seit den 1940er Jahren wurde die Wassertemperatur verstärkt in den Schiffen gemessen – unmittelbar am Zufluss von Meerwasser, das zur Kühlung der Schiffsmotoren dient. In jüngerer Vergangenheit kamen schließlich immer mehr Daten von Bojen hinzu, die Temperatur, Salzgehalt und andere ozeanografische Daten sammeln. Deren Temperaturdaten sind abermals niedriger als die Daten von Schiffen. Die Folge: Je mehr Bojen messen, desto niedriger fällt die Durchschnittstemperatur für die Ozeane aus, wenn man nicht wieder korrigiert.
Weitreichende Korrekturen
Karl und sein Team sind nicht die ersten, die daran arbeiten. Ihre aktuellen Korrekturen sind aber durchaus weitreichend. Die Forscher haben festgestellt, dass auch nach 1940 noch allerhand Schöpfeimer im Einsatz waren und daher eine Korrektur der Daten erforderlich ist. Zudem gewichteten sie die Bojenmessungen stärker, da diese als zuverlässiger gelten. Darüberhinaus folgten noch einige weitere Korrekturen.
Am Ende berechneten die Wissenschaftler, basierend auf den korrigierten Daten, eine neue Temperaturentwicklung über die vergangenen Jahrzehnte (Grafik rechts, Basis ist der NOAA-Datensatz für Oberflächentemperaturen). Dort flacht die Temperaturkurve um die Jahrtausendwende weitaus weniger ab, als man es von bisherigen Abbildungen kennt. Die Autoren gehen sogar so weit, dass sie eine „abgeschwächte Erwärmung“ in den vergangenen Jahren explizit verneinen. Von 1950 bis 1999 gab es eine Erwärmung um 0,113 Grad Celsius pro Dekade, rechnen sie vor. Diese Rate entspreche nahezu dem Wert von 0,116 Grad pro Dekade, die sie für den Zeitraum von 2000 bis 2014 errechnet haben. Um das zu unterstreichen, zeichnen die Forscher kurzerhand eine durchgehende Trendlinie in ihre Grafik.
Die Arktis erwärmt sich doppelt so schnell wie der Rest des Planeten
Tatsächlich dürfte die Temperatursteigerung sogar noch höher sein, schreiben Karl und Kollegen. Denn in der Arktis, die sich etwa doppelt so schnell erwärmt wie der Rest der Erde, habe das Messnetz noch große Lücken. Folglich werde der Einfluss der arktischen Erwärmung in den globalen Berechnungen unterschätzt. Diesem Thema wollen sie sich als Nächstes widmen.
Was die Verbesserung der Datensätze betrifft, so gelten die Autoren als anerkannte Spezialisten. Sicherlich werden andere Teams die Korrekturfaktoren teilweise anders beziffern. Diese wissenschaftliche Debatte beginne gerade erst, betonen mehrere Wissenschaftler, die an der Studie nicht beteiligt sind.
Die Korrektur der Temperaturdaten galt als ausreichend - nun steht sie in Frage
Die Arbeit könnte einigen Aufruhr hervorrufen, sagt Hans von Storch vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht. „Bislang dachte man, die Korrektur der Temperaturdaten habe man im Griff. Nun zeigt sich, dass das vielleicht nicht stimmt.“ Das sei ein Autoritätsverlust für die Klimaforschung, bei der manche Vertreter mit scheinbar letztgültigen Wahrheiten argumentieren. „Am Ende ist es aber immer besser, wieder und wieder nachzufragen und kritisch mit vermeintlichen Gewissheiten zu sein“, sagt er. Allerdings fragt sich der Klimastatistiker, warum ausgerechnet die jüngeren Temperaturdaten, die als besonders gut galten, korrigiert worden sind. „Muss man im nächsten Schritt auch die Daten der Vergangenheit erneut anschauen und nachjustieren?“
Auf Kritik stößt dagegen Karls Einschätzung, dass die „Erwärmungspause“ der letzten Jahre ausschließlich mit fehlerhafter Datenkorrektur erklärt und somit vom Tisch gewischt werden kann. Michael Mann von der Pennsylvania State University zum Beispiel argumentiert in „Science“, dass es eindeutige Belege für eine verlangsamte Erwärmung im tropischen Pazifik gebe. Auch Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg bezeichnet die Abflachung der Temperaturkurve als real. „Sie ist nur weniger ausgeprägt, als wir bisher dachten.“
"Die Oberflächentemperatur ist nicht geeignet, die Erderwärmung zu zeigen"
Er verteidigt die Strategie von ihm und zahlreichen Mitautoren des aktuellen IPCC-Berichts, die „Erwärmungspause“ ernst zu nehmen und zu ergründen, was ihre Ursachen sind – schon deshalb, um Kritikern mit guten Argumenten zu begegnen und nicht den Vorwurf zu hören, das Phänomen werde ignoriert. Im Januar haben Marotzke und Piers Forster von der Universität Leeds in „Nature“ gezeigt, dass die verlangsamte Erwärmung im Wesentlichen durch zufällige Schwankungen des Klimas erklärt werden kann. „Für den langfristigen Wandel ist diese ,Pause‘ irrelevant, die Erwärmung wird weitergehen“, fügt er hinzu.
Das sieht Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung (Geomar) in Kiel genauso. „Die Oberflächentemperatur ist nicht geeignet, um die Erderwärmung darzustellen“, sagt er. „Dafür ist sie viel zu zappelig.“ Bereits ein Klimaphänomen wie El Niño genüge, um die Temperaturkurve zittern zu lassen. 90 Prozent der Wärme, die in den vergangen 40 Jahren durch den Treibhauseffekt zusätzlich auf der Erde blieb, wurde von den Ozeanen aufgenommen, rechnet Latif vor. „Wenn nur ein kleiner Tick mehr Wärme in tiefe Schichten gelangt, geht oben gleich die Temperatur runter. Und umgekehrt“, sagt er. Langfristig nehme die Wärmemenge in den Weltmeeren beständig zu, unterm Strich werde sich auch die Atmosphäre kontinuierlich erwärmen.