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Bohrkerne aus dem kilometerstarken Eisschild der Antarktis belegen, dass die Kohlendioxidkonzentration in 800.000 Jahren Klimageschichte nie so hoch war wie heute.
© Christoph Nehrbass-Ahles/University of Cambridge

Klimageschichte in Scheiben: Warmzeiten verzeichneten Sprünge in der Atmosphären-Konzentration von Kohlendioxid

Neue Methodik liefert detailreiches Bild: Antarktiseis enthält Spuren sprunghafter Veränderungen in der Erdatmosphäre, die sich wiederholen könnten.

Der Eiszylinder misst nur etwa zehn Zentimeter im Durchmesser, aber er wäre etwa drei Kilometer lang, würde man seine Einzelstücke zusammensetzen. Es handelt sich um einen Bohrkern von der Concordia Station in der Ostantarktis.

Bohrungen in den Eisschild des Kontinents sind auch Vorstöße in die Vergangenheit des Erdklimas. Jahr für Jahr wurde hier Schicht für Schicht Schnee aufgetragen und zu Eis verdichtet. In feinen Bläschen sind Luftproben aus den vergangenen Zeiten eingeschlossen. Das EU-Bohrprojekt „Epica“ hat hier rund 800 000 Jahre Klimageschichte zutage gefördert.

Ein Forschungsteam um Christoph Nehrbass-Ahles von der Universität Bern hat nun Eisproben untersucht, die zwischen 330.000 und 450.000 Jahre alt sind. Wie die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe des Magazins „Science“ berichten, lieferte ihre Analyse Ergebnisse in zuvor unerreichter Genauigkeit: pulsartige Anstiege der Kohlendioxidkonzentration in vergangenen Warmzeiten, die bislang nur aus der letzten Kaltzeit des Eiszeitalters bekannt waren.

Details der Klimageschichte

„Es ist spannend zu sehen, was wir den Eisbohrkernen alles entlocken können“, sagte Nehrbass-Ahles dem Tagesspiegel. Winzige Luftmengen müssen dazu verschmutzungsfrei aus den Proben gewonnen und dann ihre Kohlendioxid-Gehalte gemessen werden. „Es erfordert jahrelange Arbeit, die Messapparaturen zu entwickeln und zu bauen, dafür gibt es keinen Markt“, so der Klimaphysiker.

Gemeinsam mit seinem Doktoranden-Kollegen und Koautoren der Studie Bernhard Bereiter hat er eine Art Eishobel gebaut: einen Rotor der berührungsfrei magnetisch gelagert ist und Eisproben in hauchdünne Scheiben schneidet, ohne sie zu schmelzen. Die Scheiben zerbrechen zu einem feinen Pulver und setzen die eingeschlossene Luft frei. Die Konzentrationen von Kohlendioxid werden dann mit einem Laserspektrometer gemessen.

Die gewonnenen Daten zeichnen ein schärferes und aufschlussreicheres Bild der Klimageschichte als bisherige Studien: Konzentrationsmessungen auf den millionsten Teil der Luft genau (parts per million, ppm) und Veränderungen, die teilweise weniger als 300 Jahre andauerten. Mit der verfeinerten Methodik konnten diese Sprünge in zwei vergangenen Warmzeiten nachgewiesen werden.

Allerdings vollzogen sich die Anstiege viel langsamer und die Ausschläge in den Konzentrationsveränderungen blieben weit hinter dem zurück, was derzeit durch Verbrennung von Kohle, Öl und Gas und die Entwaldung an Kohlendioxid freigesetzt wird.

Training für Modelle

„Das ist ein spannendes und wichtiges Paper“, sagte Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dem Tagesspiegel. „Sprunghaft“ seien die Veränderungen allerdings nur für natürliche Verhältnisse. Es geht um Anstiege um bis zu 15 ppm innerhalb von 250 Jahren. Der Mensch hat in einem vergleichbaren Zeitraum einen Anstieg um 130 ppm verursacht. „Inzwischen ist anderthalbmal so viel Kohlendioxid in der Luft wie vor der Industrialisierung“, sagt Rahmstorf.

Dennoch, die Studie liefert wichtige Vergleichsdaten. Die jüngere der beiden untersuchten Warmzeiten, die etwa 335.000 Jahre in der Vergangenheit liegt, kommt den heutigen Bedingungen zumindest nahe. Die höchste Konzentration von Kohlendioxid lag knapp über 300 ppm, dem höchsten natürlichen Wert der letzten 800.000 Jahre. Heute sind es rund 415 ppm.

Aus der letzten Kaltzeit bis vor etwa 12.000 Jahren gibt es zwar gute Klimadatensätze, sie ist als Blaupause für das heutige Klima aber nicht geeignet, so Nehrbass-Ahles: „Warmzeiten wie die derzeitige sind deutlich interessanter um etwas über das mögliche Klima der Zukunft zu lernen.“

Daten aus der Klimavergangenheit werden verwendet, um Computermodelle zu trainieren, die mögliche Zukünfte abbilden sollen. Nagelprobe ist dabei zunächst die Klimavergangenheit anhand der Daten korrekt wiederzugeben.

Unbestimmte Aussichten

Was hält die Zukunft für die Menschheit bereit? Eine entscheidende Schlussfolgerung der Studienautoren lautet, dass sich die Klimageschichte wiederholen kann. Abrupte Anstiege des Kohlendioxidgehalts der Atmosphäre sind auch in der derzeitigen Warmzeit möglich. Sie könnten noch zu dem vom Menschen verursachten Anstieg hinzukommen – mit entsprechender, zusätzlich erwärmender Wirkung auf das Erdklima.

15 ppm Kohlendioxid erscheinen als geringe Erhöhung, sie entsprechen etwa den anthropogenen Emissionen von sechs Jahren. „In der Diskussion um das ehrgeizige 1,5-Grad-Klimaziel des Abkommens von Paris werden solche Anstiege jedoch jedes Jahr relevanter, da sie das Rest-Budget der Kohlendioxid-Emissionen verringern könnten“, sagt Thomas Stocker, Präsident des Oeschger Centre der Universität Bern und Koautor.

Die Wissenschaftler bringen die Anstiege in Verbindung mit Veränderungen der Atlantischen Umwälzzirkulation, dem Golfstromsystem, das durch den Süßwassereintrag abschmelzender Landeismassen gestört werden kann. „Diese Situation erinnert an die derzeitige“, kommentiert Rahmstorf. Durch die Erderhitzung verliere das Grönlandeis zunehmend an Masse, im Jahr 2019 so viel wie nie zuvor.

Sicherheitsbereich der Klimapolitik

Es gibt bereits Hinweise auf eine neue Abschwächung des Golfstromsystems. Zuletzt berichteten Forschende in „Nature Communications“, dass der Florida-Strom schwächer wird. Er ist ein bedeutender Warmwasserzustrom der Umwälzzirkulation.

Die Autoren der Science-Studie resümieren, dass die vom Menschen verursachte Erderwärmung wieder Veränderungen der Ozeanströme auslösen könnte, die zu einer Freisetzung von Kohlendioxid aus dem Ozean führen dürften. Als Rückkopplungsmechanismus würde das die Erderwärmung noch verstärken.

„Die neuen Resultate mahnen uns, dass die Bemühungen zur Emissionsreduktion auch Unvorhergesehenes einschließen sollten“, sagt Stocker. Die Klimapolitik sollte einen entsprechenden Sicherheitsbereich berücksichtigen.

Korrektur: Die Zeitangabe zur jüngeren in der Studie untersuchten Warmzeit wurde geändert zu: "die etwa 335.000 Jahre in der Vergangenheit liegt." Zuvor war fälschlicherweise die Dauer der letzten bekannten Warmzeit genannt worden: "eine Periode von vor etwa 130.000 bis vor etwa 120.000 Jahren" Diese wurde in der Studie nicht betrachtet.

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