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Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) (l) applaudiert am 13.06.2015 neben dem Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Michael Vassiliadis, auf einer Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) im Tarifkonflikt der Sozial- und Erziehungsdienste in Hannover (Niedersachsen).
© Susann Prautsch/dpa

Verhandlungen um Energiewende: Zwei für die Kohle

Energieminister Sigmar Gabriel und Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis suchen einen Kompromiss im Streit um die Klimaabgabe.

Natürlich Michael Vassiliadis. Der Vorsitzende der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) handelt in diesen Tagen mit Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) den Kohlekompromiss aus. Ein Gewerkschafter also, und nicht die Politiker aus den Kohleländern Sachsen, NRW und Brandenburg. Und schon gar nicht die Spitzenkräfte der Energiekonzerne Vattenfall und RWE, um deren Kohle es geht. Vassiliadis hat die Aufgabe, den von Gabriels Staatssekretär Rainer Baake (Grüne) avisierten Ausstieg aus der Braunkohle zu verhindern. Jedenfalls mittelfristig. Es geht um Arbeitsplätze, die Zukunft ganzer Regionen und Branchen, um Klimaschutz und um die Strompreise.

Die IG BCE: von einer linken Gewerkschaft zu einer politisch relevanten Lobbyorganisation

Im März hatte Baake ein Konzept vorgelegt, mit dem die Regierung ihr Klimaziel, bis 2020 den CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu verringern, erreichen kann. Im Mittelpunkt steht ein Klimabeitrag zulasten alter Kraftwerke, mit dem das Ende der Braunkohlewirtschaft eingeläutet würde. Gewerkschaften und Bundesländer mit Braunkohletagebauen und -kraftwerken schrien auf, rechneten nach und ließen dann von der IG BCE einen Alternativvorschlag einreichen: Mehr Kraft-Wärme-Kopplung und die Bildung einer Reserve aus Kohlekraftwerken, die nur noch dann laufen, wenn die Erneuerbaren nicht genügend Strom liefern. In den vergangenen Wochen wurde dann nachgerechnet und verhandelt. Immer dabei: Michael Vassiliadis. Der Chef der IG BCE steht in einer Tradition, die 1971 begründet wurde und die aus einer linken Gewerkschaft eine politisch relevante Lobbyorganisation machte.

Damals verlor die ziemlich streikunfähhige IG Chemie-Papier-Keramik einen Arbeitskampf. In der Konsequenz rückte die Gewerkschaft unter dem ehemals linken Flügelmann Hermann Rappe nach rechts: von der Konfrontation über die Kooperation zur Sozialpartnerschaft – so beschreibt der Arbeitgeberverband den Wandel. Die Gewerkschaft verteidigte nun die Chemiekonzerne gegen die Attacken der aufkommenden Ökobewegung. Statt Klassenkampf gab es einen „branchenspezifischen Korporatismus“, wie die Politologen sagen: Gewerkschaft und Arbeitgeber verbündeten sich, um in der Öffentlichkeit und der Politik für ihre speziellen Standortinteressen zu werben.

Schmoldt verteidigte als einziger Arbeiterführer die Agenda 2010

Rappe, seit den 60er Jahren im Vorstand der Gewerkschaft und von 1982 bis 1995 ihr Vorsitzender, war ein Meister der Interessenvertretung. Auch deshalb, weil er als SPD-Abgeordneter mehr als 25 Jahre im Bundestag saß. Sein Nachfolger und Schüler Hubertus Schmoldt setzte das nahtlos fort. Zu keinem anderen Gewerkschafter hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder so einen engen Draht; Schmoldt war der einzige Arbeiterführer, der Schröders Agenda 2010 verteidigte.

2009 löste Vassiliadis Schmoldt ab. Und war zügig bestens vernetzt und verdrahtet in Berlin, sodass ihn Angela Merkel (CDU) nach dem Fukushima-GAU in die sogenannte Ethikkommission zur sicheren Energieversorgung berief.

Kooperation statt Konfrontation, Pragmatismus statt Parolen, Arbeitsplätze statt Klassenkampf – das Selbstverständnis der IG BCE lässt sich in verschiedene Formeln packen. Die Erfolge geben den Strategen der aus der Hannoveraner Zentrale gesteuerten Gewerkschaft recht. Die Tarifverträge sind gut, und der Einfluss auf die Politik ist groß. Um nur einige Beispiele zu nennen: Ohne Rappe hätte das mitteldeutsche Chemiedreieck die Wende nicht so gut überstanden, und ohne die Gewerkschaft, die sich in den 1990er Jahren mit der IG Bergbau-Energie zusammenschloss, wären die Zechen im Ruhrgebiet viel früher geschlossen worden. Die Beihilfen für die Steinkohle laufen erst 2018 aus.

Das Ende der Kohle so lange wie möglich verzögern

Langsam, sozialverträglich und wenn nötig flankiert mit Steuermitteln – so stellt sich Vassiliadis auch das Ende der Braunkohle vor. Die Perspektive des Brennstoffs, der wegen seiner hohen Feuchtigkeit mehr CO2 emittiert als Steinkohle oder Gas, ist begrenzt. Aber mindestens 20 Jahre, so argumentieren die Braunkohleverteidiger, werde man den Brückenbrennstoff brauchen, weil es bis dahin kaum ausreichend Speicher für den regenerativen Strom geben dürfte. Vassiliadis will also einen Zeitrahmen, auf den sich Arbeitnehmer, Konzerne und Landespolitiker einstellen können.

„Extrem der Realität verpflichtet“, beschreibt ein Weggefährte Vassiliadis. Der erste Gewerkschaftschef mit Migrationshintergrund – der Vater stammt aus Griechenland, die Mutter aus dem Ruhrgebiet – lernte Chemielaborant. 1986 ging er zur IG Chemie, wo er 20 Jahre später von Schmoldt zum eigenen Nachfolger ausgebildet wurde. Anders als Schmoldt, der sich in seiner Treue zu Schröder selbst blockierte, ist der 1964 geborenen Vassiliadis politisch und intellektuell flexibel. Er redet mit Linken und Greenpeace, und er verteidigt die Energiewende – wenn die Interessen der Industrie und der Arbeitnehmer berücksichtigt werden. Mit diesem Mann muss Gabriel ins Geschäft kommen.

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