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In Berlin demonstrierten Gewerkschafter gegen die geplante Klimaabgabe für alte Kohlekraftwerke. Sie fürchten um ihre Jobs in der Braunkohleförderung und -verstromung.
© Rainer Jensen/dpa

Streit um Zukunft der Kohle: Tausende demonstrieren gegen und für die Braunkohle

Die Gewerkschaften haben in Berlin gegen die Pläne von Wirtschaftsminister Gabriel für eine Klimaabgabe mobil gemacht. In Garzweiler demonstrierten zeitgleich Umweltschützer dafür. Der Streit über die Zukunft der Kohle ist auf der politischen Tagesordnung ganz nach oben gerückt.

Den Krieg der Zahlen haben am Samstag die Gewerkschaften gewonnen. Beim Krieg der Bilder hatten die Umweltschützer die Nase vorn. Die Gewerkschaften brachten nach eigenen Angaben rund 15 000 Demonstranten nach Berlin. Zeitgleich bildeten Umweltschützer entlang der Bruchkante des Braunkohletagebaus Garzweiler im Rheinland eine 7,5 Kilometer lange Anti-Kohle-Kette, zu der sich nach eigenen Angaben etwa 6000 Demonstranten zusammenfanden. „Die Kette steht“, sagte Jörg Haas, Sprecher der Kampagnenorganisation Campact.

Der Demonstrationszug der Gewerkschaften setzte sich gegen 14:30 Uhr vor dem Wirtschaftsministerium in Gang. Die Abschlusskundgebung fand in der Nähe des Kanzleramts statt. Dort forderte der Chef der IG BCE, Michael Vassiliadis: „Wir erwarten, dass alles vom Tisch geräumt wird, was das Aus der Braunkohleförderung und Braunkohleverstromung in Deutschland bedeuten würde.“ Vassiliadis verlangte für die Energiewende einen „Neustart in der Realität“.

Um vier Uhr morgens im Bus für die Kohle

Morgens um vier Uhr hatten sich Bergleute und Kraftwerksarbeiter im rheinischen Revier auf den Weg nach Berlin gemacht. Mit Trillerpfeifen und Signalhörnern machten sie ihrem Unmut Luft. Sie können sich eine sichere Energieversorgung ohne Kohle nicht vorstellen. Vor allem die Demonstranten aus der Lausitz sind verzweifelt. Eine Frau, die bei Vattenfall arbeitet, sagte: „Um das Klima zu schützen, müsste man auf der ganzen Welt aus der Braunkohle aussteigen.“ Ihr Kollege fügte hinzu: „Wir haben seit der Wende am meisten zum Sinken des Kohlendioxidausstoßes beigetragen. Und jetzt sollen wir schon wieder dran sein?“

Umweltschützer bildeten entlang der Bruchkante des Braunkohletagebaus in Garzweiler einer 7,5-Kilometer lange Menschenkette. Es war nach Veranstalterangaben die größte Demonstration, die im Rheinland jemals gegen die Braunkohle stattgefunden hatte.
Umweltschützer bildeten entlang der Bruchkante des Braunkohletagebaus in Garzweiler einer 7,5-Kilometer lange Menschenkette. Es war nach Veranstalterangaben die größte Demonstration, die im Rheinland jemals gegen die Braunkohle stattgefunden hatte.
© Henning Kaiser/dpa

Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) schrieb am Sonntagmorgen auf seiner Facebook-Seite: „Allein die Zahlen zeigen ja, dass die Behauptung, ich wolle einen Braunkohleausstieg, Unsinn ist.“ In Deutschland stießen konventionelle Kraftwerke derzeit 300 Millionen Tonnen CO2 aus. „Und wir wollen jetzt 22 Millionen Tonnen einsparen. Da kann man wohl weder von einem Braunkohleausstieg reden noch vom ,Plattmachen’“, schrieb Gabriel.

Derweil hat sein Haus die geplante Kohleabgabe noch einmal leicht variiert. Der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sagte Gabriel: „Konkret planen wir jetzt, dass die Höhe des geplanten Klimabeitrags der Kohlekraftwerke sich nach dem Preis an der Strombörse richten wird.“ Je niedriger der Preis, desto geringer wäre die Belastung der Kraftwerksbetreiber. Damit entkräftet Gabriel die Behauptung der Gewerkschaften, er rechne mit einem unrealistisch hohen Strompreis im Jahr 2020.

Die Gewerkschaften warnen vor dem „sozialen Blackout ganzer Regionen“ und vor dem möglichen Verlust von 100 000 Arbeitsplätzen. Diese Zahl scheint dem Umweltbundesamt allerdings nicht plausibel, das auf knapp 5000 gefährdete Jobs durch die Klimaabgabe kommt. Der Braunkohlewirtschaftsverband selbst hat in seiner Statistik rund 43 000 Jobs in den Tagebauen, den Kraftwerken sowie der vor- und nachgelagerten Industrie ermittelt.

"Ein Verbrechen an unserer Landschaft"

Bei der Anti-Kohle-Demonstration bei Garzweiler stimmte Christoph Bautz, Campact-Geschäftsführer, ganz andere Töne an. In seiner Rede vor den Kohlegegnern sagte er: „Mich macht die Szenerie hier einfach fassungslos.“ Im fast komplett verlassenen Dorf Borschemich und vielerorts auch in Immerath sehe es aus, „wie im Bürgerkrieg“. Das sei „ein Verbrechen an unserer Landschaft, am Klima auf unserem Planeten und an künftigen Generationen“.

Annalena Baerbock, grüne Bundestagsabgeordnete aus Brandenburg, beschrieb die Szenerie als „skurril“ und forderte Gabriel auf, „nicht einzuknicken“.

Ein "Kohlekonsens" muss gefunden werden

Klaus Töpfer fordert schon lange einen „Kohlekonsens“. Der ehemalige Umweltminister und Gründungsdirektor des Potsdamer Nachhaltigkeitsinstituts IASS hat diese Forderung vor mehr als einem Jahr gemeinsam mit dem Chef des Energiewende-Thinktanks Agora, Patrick Graichen, erhoben. Obwohl der Bundestag zu diesem Zeitpunkt schon mehrfach beschlossen hatte, dass der deutsche Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) bis 2050 um mindestens 80 Prozent unterhalb des Niveaus von 1990 liegen sollte, wurde der Vorschlag, einen Dialog über den Kohleausstieg anzustoßen, bisher ignoriert. Nun fordert die Chefin des EnergieLobbyverbands BDEW, Hildegard Müller, genau das gleiche. Sie sagte der „Rheinischen Post“, die Bundesregierung solle „einen Dialog starten, wie Deutschland sein Klimaziel am besten erreichen kann“. Sie kritisierte, die Konsequenzen der geplanten Abgabe für alte Kohlekraftwerke kämen „nicht offen auf den Tisch“. Die Braunkohle habe „kaum noch eine Chance“.

Der BDEW befürchtet, dass die Klimaabgabe später weiter verschärft werden könnte, wenn sich herausstellen sollte, dass die CO2-Einsparungen bei der Gebäudesanierung oder im Verkehr bis 2020 doch nicht erreicht werden.

Uneinigkeit auch in der Unionsfraktion

Während der Wirtschaftsflügel der Unions-Fraktion die Klimaabgabe blockieren will, stärkt der Vorsitzende des CSU-Arbeitskreises Umwelt, Josef Göppel, Gabriel den Rücken. Göppel schreibt: „Die Klimaabgabe ist endlich ein glaubwürdiger Schritt um die Lücke im deutschen Klimaschutzziel zu schließen.“ Der Vorschlag des Ministers sei ein „wirtschaftspolitisch sinnvolles Signal an die Märkte, nicht mehr in die Kohleverstromung und neue Abbaugebiete zu investieren“. Schließlich warne selbst die Europäische Zentralbank vor einer „fossilen Blase“ in den Finanzmärkten und meint damit Investitionen in die Kohle-, Gas- und Ölwirtschaft.

Gabriel wiederum zeigte sich von der Unionskritik irritiert, schließlich sei die Kohleabgabe „selbstverständlich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) abgestimmt. Merkel hatte Anfang der Woche bei einer Diskussion mit Nicht-Regierungsorganisationen keinen Zweifel daran gelassen, dass Deutschland sein Klimaziel bis 2020 einhalten werde.

FDP verabschiedet sich vom Klimaschutz

Die nicht mehr im Bundestag vertretene FDP plädierte derweil für eine Verschiebung der deutschen Klimaschutzziele um zehn Jahre. „Das europäische Ziel, bis 2030 die Emissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, ist für eine Wirtschaftsnation ambitioniert genug“, sagte Parteichef Christian Lindner der Deutschen Presse-Agentur. Lindner forderte Union und SPD auf, eine „beinahe religiöse Überhöhung des Klimaschutzes“ zu beenden. (mit dpa)

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