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Sanfte Hügel, grüne Wiesen, hohe Bohrtürme: In den Bergen von Pennsylvania führte der Gasboom der vergangenen Jahren zu einer Industrialisierung der Natur.
© Oliver Bilger

USA exportieren mehr Gas in die EU: Wie Fracking das Leben in Förderregionen verändert

Die USA wollen mehr Flüssiggas nach Europa exportieren. Unter den Folgen leiden die Menschen, etwa in Pennsylvania. Ein Besuch auf den Frackingfeldern.

Den Ruhestand hatte Bob Deering sich anders vorgestellt, als er in den Wald von Tiadaghton zog. Auf einer Lichtung in den Allegheny Mountains, im Appalachen-Gebirge im US-Staat Pennsylvania, errichtete er ein geräumiges Blockhaus, für sich und seine Frau. Das Ehepaar suchte Natur und Abgeschiedenheit, nur sechs Familien leben in der Nachbarschaft. Bis auf tausend Meter hoch reichen die Berge hier. 20 Minuten dauert es mit dem Pick-up-Truck ins nächste Örtchen Waterville. Im Winter kamen einst Skifahrer, im Sommer zog es Wanderer und Jäger in die Berghütten der Gegend.

Deering ist 67, trägt Baseballkappe und grauen Vollbart. Jagen wollte er auch. Drinnen, im Holzhaus, ziert ein ausgestopfter Luchs das Wohnzimmer, draußen hängt eine US-Flagge am Fahnenmast. Deering ist Patriot, keine Frage. Aber das heißt nicht, dass er mit allem einverstanden ist, was in der Heimat vor sich geht. Vor allem, wenn Wirtschaft und Politik seinen Ruhestand „verkorksen“, wie er sagt.

Über Jahre musste er zusehen, wie sich die ersehnte Idylle vom Natur – in einen Industriepark verwandelte.

Die USA erleben seit einigen Jahren einen Gasboom. Fracking macht es möglich, Schiefergas aus unterirdischen Gesteinsschichten zu pressen. Im Marcellus-Becken, Deerings Nachbarschaft, lagern gewaltige Reserven.

Beim Fracking werden Wasser, Sand und Chemikalien in tiefe Gesteinsschichten gepresst, um diese aufzusprengen und das Gas freizulegen. Zwei Drittel des Gases in den USA wird mit dieser Methode gefördert. Insgesamt ist es soviel, dass der Rohstoff auch ins Ausland verkauft werden kann.

Verflüssigtes Gas (LNG) wird vor allem nach Asien verschifft. Doch Washington will mehr. „Wir werden amerikanische Energie überall hin auf dem Globus exportieren“, sagt Präsident Donald Trump. Seit Monaten drängt er Europa, mehr Gas aus den USA zu kaufen.

10,4 Milliarden Kubikmeter nach Europa

Um 272 Prozent haben Lieferungen in die EU seit dem vergangenen Sommer zugelegt – 10,4 Milliarden Kubikmeter insgesamt. Gemessen am Verbrauch der EU von rund 480 Milliarden Kubikmetern pro Jahr ist der Gasanteil aus Übersee niedrig. Aus den USA kommen auch nur 13,4 Prozent des in die EU importierten LNG. Aber die Lieferungen aus den USA nach Europa sollen weiter steigen.

Das bedeutet auch mehr Gasförderung in den Allegheny Mountains. Naturschützer warnen vor Gefahren für Mensch und Umwelt, die von den verwendeten Chemikalien ausgehen. Fracking gefährdet das Trinkwasser, aus Bohrlöchern kann unkontrolliert das Klimagas Methan entweichen. In Pennsylvania, berichten Medien, ist nicht mal ganz klar, welche Chemikalien zum Einsatz kommen. Unternehmen, sagen Kritiker, erschließen Absatzmärkte in der Ferne, den Menschen nahe der Förderanlagen aber, beachten sie wenig. Leute wie Bob Deering und seine Frau.

Schneise durch den Wald: Unter der Erde liegt eine Pipeline.
Schneise durch den Wald: Unter der Erde liegt eine Pipeline.
© Oliver Bilger

2001 zogen sie in den Wald. Ihr Glück währte nicht lange. 2008 begannen seismische Tests, kurz darauf erste Bohrungen nach Schiefergas. Espen, Birken und Ahornbäume wichen Bohrtürmen und Kompressorstationen. Arbeiter schlugen breite Schneisen durch den Wald und vergruben Pipelines in der Erde. „Das war alles einmal Wald“, erklärt Deering, wenn er Besucher durch die Nachbarschaft führt, vorbei an Zäunen und Schranken, Warnschildern und Röhren. 13 Bohrlöcher gibt es in nächster Umgebung. Wo einst Wege durch die Natur führten, verlaufen jetzt feste Straßen, auf denen schwere Laster Sand, Chemie und Wasser transportieren.

Sie wirbeln Staub in die Luft, die kontaminiert sei, erklärt Deering, weswegen ein Mundschutz in seinem Wagen liegt. Im Haus zeichnet ein kleines Gerät die Luftwerte auf, „ misst, wie viel Mist ich einatme“, sagt Deering. Gleich hinter dem Anwesen liegt ein Auffangbecken für Abwasser. „Es ist, als lebten wir direkt an einer Kläranlage“, klagt Deering. „Wenn der Wind aus dem Osten weht, riecht es nach Kanalisation.“

Einmal sei Abwasser durch ein Leck in den Grund gesickert. Fracking habe die Gegend zu einem Industriegebiet gemacht. Firmen seien reich geworden, die Menschen aber müssten sich vieles gefallen lassen. „Alles, weswegen ich hierhergezogen bin, ist zerstört“, sagt er. Der Ärger sitzt tief wie ein Bohrloch. Und nicht nur das.

Bob Deering wollte seinen Ruhestand in der Natur verbringen.
Bob Deering wollte seinen Ruhestand in der Natur verbringen.
© Oliver Bilger

Deering kämpfte gegen einen Gehirntumor, seiner Frau entfernten Ärzte die Gallenblase. Chemikalien hätten den Krebs ausgelöst, berichtet Deering, so hätten es Ärzte ihm erklärt. Das Ehepaar lebt besonders nah an der Frackingindustrie, betroffen sind aber auch viele andere. Mehr als 10.000 Bohrstellen gibt es in Pennsylvania. Die Rate der Krebserkrankungen im Bundesstaat zählt zu den höchsten der USA. In der Nähe der Bohrtürme klagen Anwohner über Asthma, Migräne, Hautausschläge und andere Beschwerden.

„Es geht weiter – bis nichts mehr übrig ist“

Die Industrie will weiter Gas fördern. Knapp 80 Prozent der Gasreserven seien noch unangetastet, erklärt Deering. Er ist sicher: „Es geht weiter und weiter – bis nichts mehr übrig ist.“ Dass Unternehmen dabei zu günstig wegkommen, finden Kritiker seit Jahren und fordern seit Jahren eine Produktionssteuer, wie sie in anderen US-Staaten üblich ist. Roberta Winters beispielsweise ist für eine solche Abgabe.

Die 70-Jährige ist Aktivistin der League of Women Voters, einer Bürgerorganisation, die einst gebildet wurde, um Frauen mehr Mitwirkung in öffentlichen Angelegenheiten zu ermöglichen und sich längst in vielen anderen Belangen engagiert. So setzt sich die Organisation dafür ein, dass Unternehmen für die Ausbeutung der Natur eine Gegenleistung zahlen, die den Bürgern zugute komme. Das sei gerade jetzt wichtig, da Trump, „Umweltrichtlinien geschwächt“ habe.

In Pennsylvania gelten eigentlich Landwirtschaft und Tourismus als wichtige – und vor allem – nachhaltige Wirtschaftszweige. „Die Gasförderung ist nicht nachhaltig“, sagt Winters. „Und wenn wir die Ressourcen aufgebraucht haben, dann haben wir nicht nur die Landwirtschaft verloren, sondern auch die Schönheit des Landes“, kritisiert sie. „Dann kommen auch keine Touristen mehr.“ Fracking ist für sie deshalb eine „tickende Zeitbombe“.

Geopolitische Waffe gegen Russland

Weniger drastisch formuliert es Ralph Kisberg, Mitgründer der Responsible Drilling Alliance, einer Umweltgruppe, die für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen eintritt. „Wir sind Realisten“, erklärt Kisberg in der Kleinstadt Williamsport. Es geht ihm um verantwortungsbewussten Umgang mit einer Industrie, die seit Jahren eine große Rolle spielt.

Fracking sei nun einmal hier, nun versuche seine Organisation „die Situation zu verbessern, so gut es möglich ist“.

Über Jahre hat sich die Natur immer mehr in einen Industriepark verwandelt.
Über Jahre hat sich die Natur immer mehr in einen Industriepark verwandelt.
© Oliver Bilger

Im 19. Jahrhundert führte die Holzindustrie zur Blüte des Städtchens. Geschäftsleute wurden Millionäre – bis 1929 die große Wirtschaftskrise einsetzte. Heute wird hier Stahl verarbeitet und Gas gefördert. Der Fracking-Boom half dem Ort mit seinen 30.000 Einwohnern, erneut zu wachsen. Deshalb steht der Großteil der Einwohner hinter der Industrie.

Allerdings, sagt Kisberg, sinke im Land der Gasbedarf, während der Anteil der Windenergie am Energiemix steige. Für die Regierung sei der Gasexport vorrangig eine geopolitische Waffe gegen Russland, findet er und wünscht sich, der Präsident würde sich mehr um die Umwelt und zugleich um die Zukunft seines Landes sorgen.

„Immer wieder gibt es Unfälle“, klagt er, „aber das scheint niemanden zu stören, außer uns.“ Die Industrie sei kaum aufzuhalten. Dabei, findet Kisberg, solle die Zahl der Bohrlöcher in seiner Heimat nicht weiter steigen.

Andernfalls, fürchtet er, werde die Gegend „zu einem Ghetto der Energieproduktion“.

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