Sicherheitskonferenz: Energiefragen lassen sich nicht von der Diplomatie abkoppeln
Der Streit um Nord Stream 2 ist Thema auf der Sicherheitskonferenz, Denn Versorgungssicherheit und Geostrategie sind eng miteinander verknüpft.
In der Energiepolitik ist es nicht anders als bei vielen Themen: Was diskutiert wird, hängt davon ab, wer am Tisch sitzt. Bei innerdeutschen Runden stehen die deutsche Energiewende und die Dekarbonisierung im Mittelpunkt; alles weiter leitet sich davon ab. Bei der Sicherheitskonferenz in München reden Skandinavier, Osteuropäer, Amerikaner und Russen mit - das verändert den Blickwinkel. Und verändert, was die deutschen Teilnehmer sagen, ob sie die Bundesregierung, die Opposition oder die Wirtschaft vertreten.
Die Runde mit dem hübschen englischen Wortspiel im Titel - "A Pipeline Dream? Solutions to the North Stream 2 Impasse" - ist als Hintergrund gekennzeichnet. Man darf die Aussagen keiner Person namentlich zuschreiben.
Niemand folgt hier der Formel der Bundesregierung, Nord Stream 2 sei ein rein privatwirtschaftliches Projekt, kein politisches. Mehrere Nicht-Deutsche unterstreichen, man könne Energiefragen nicht von der Versorgungssicherheit, der Geostrategie und der Diplomatie abkoppeln. Da widerspricht auch das deutsche Kabinettsmitglied nicht.
Im Laufe der Debatte kann man leicht auf den Gedanken kommen, die Deutschen hätten sich in der Energiepolitik in eine ähnliche Lage manövriert wie die Briten beim Brexit. Sie wissen, was sie alles nicht wollen, finden aber keine gute Lösung mehr, nachdem sie so viele Optionen ausgeschlossen haben.
Nachfrage soll weiter steigen
So schildert der Vertreter der Bundesregierung die Situation: Deutschland ist schon heute der größte Gasverbraucher in Europa, die Nachfrage wird in den nächsten 20 Jahren weiter steigen. Denn Deutschland hat den Atomausstieg bis 2022 und den Kohleausstieg bis 2028 beschlossen. Die Erneuerbaren werden das nicht zeitlich ausgleichen können. So bleibt nur hoher Gasimport. Denn auch die eigene Gasproduktion durch Fracking hat Deutschland ausgeschlossen.
Die europäischen Energiemärkte sind liberalisiert, also sei es nicht mehr Aufgabe des Staats, die Infrastruktur bereitzustellen. Das mache die Privatwirtschaft, also entscheide sie auch, was gebaut wird und was nicht.
Absehbar werden die europäischen Vorräte zu Ende gehen, die deutsche und die internationale Nachfrage aber steigen. Da kommen Nord Stream und Russland ins Spiel. Deutschland ist schon lange in hohem Maß von russischem Gas abhängig. Bisher hat das nicht zu Sicherheitsproblemen geführt. Doch nun hat die EU Deutschland mit der Verschärfung der Gas-Richtlinie gezwungen, diese Haltung zu überdenken. Die Bundesregierung muss nun mit Russland aber auch der Ukraine und der EU-Kommission verhandeln, wie sich Nord Stream 2 mit den neuen Auflagen und den Sicherheitsinteressen der Ukraine vereinbaren lässt.
Ein russischer Diplomat sagt, dies alles sei Ergebnis amerikanischer Interessen und amerikanischen Drucks. Die USA wollten Europa ihr Flüssiggas aufzwingen.
Doch ganz viele Europäer widersprechen, die Amerikaner ohnehin. Es gehe darum, einen fairen Wettbewerb zu organisieren. Gazprom wollte sich mit Nord Stream einen Vorteil verschaffen - manche nennen es sogar "ein Monopol". Und es sei gut, wenn europäische Staaten mehrere Optionen und damit die Wahl haben, woher sie ihr Gas beziehen.
Auch die Amerikaner in der Runde betonen natürlich, es gehe nicht darum, Russland aus dem Markt zu drängen, sondern einen fairen Wettbewerb zwischen verschiedenen Gaslieferanten zu organisieren. Und die hohe Abhängigkeit von Russland - oder von einzelnen Energiearten - zu verringern. Abhängigkeit von einzelnen Energiearten oder einzelnen Lieferanten mache erpressbar. Diversifizierung verringere die Erpressbarkeit. Die USA wollten ein freies, nicht erpressbares Europa, deshalb sehen sie Nord Stream 2 so kritisch.
Gazprom muss sich entscheiden
Solche Argumente haben auch die EU zu ihren jüngsten Auflagen veranlasst. Nord Stream 2 stand bisher für das Gegenteil von Diversifizierung. Nur ein Lieferant sollte einspeisen: Gazprom. Und derselbe Konzern sollte die Pipeline kontrollieren. Das geht nun nicht mehr, dank des Eingreifens der EU. Auch andere Gasproduzenten werden einspeisen dürfen.
Und Gazprom muss sich entscheiden: Es wird nicht mehr Gaslieferant und zugleich Pipeline-Betreiber sein können, sondern nur entweder das eine oder das andere.
Es gebe keinen zwingenden Grund für Deutschland, sich derart abhängig von Russland zu machen, sagen nicht-deutsche Europäer in der Runde. Global gebe es eine Überproduktion von Gas, zum Beispiel in der arabischen Welt und in Zentralasien. Auch die USA sind zu einem Nettoexporteur von Gas geworden.
Deutschland könne also seine Bezugsquellen diversifizieren.
Das beginne mit der Infrastruktur. Global werde Gas künftig in hohem Maß verschifft werden. Heute ist Flüssiggas teurer als russisches Pipelinegas. Das werde sich aber ändern, je mehr Flüssiggas in den Markt komme. Der Bau der Infrastruktur werde preiswerter, das Gas auch.
Aber ist Gas nicht nur eine Übergangslösung für wenige Jahre, bis die Erneuerbaren auch diesen fossilen Energieträger ersetzen? Da widersprechen die europäischen Energieexperten in München: Niemand sollte daran zweifeln, dass Europa seinen Energiebedarf auch in 20 Jahren zu einem beträchtlichen Teil aus Gas abdecken werde.