zum Hauptinhalt
Eine Anlage zur Kohlenwäsche in Greene County in Pennsylvania.
© Oliver Bilger

Kohleindustrie unter Trump: Das schwarze Herz Amerikas schlägt schwach

In Pennsylvania möchten die Menschen an die Zukunft der Steinkohle glauben. Eine Reise durch den Rust Belt der USA, wo Trump seine Wahlversprechen einhält.

Ohne Donald Trump gäbe es meine Firma nicht mehr, sagt Doug Miller. Er sinkt in seinen Bürosessel, an der Holzwand hinter ihm hängen Truck-Bilder: Motive von Wandkalendern der vergangenen Jahre. Der 66-Jährige – kurzes graues Haar, müde Augen – ist Controller beim Transportunternehmen „Barron Trucking“. Das Betriebsgelände befindet sich unweit von Somerset, tief im Westen des US-Bundesstaats Pennsylvania. Drei weiße Lkw parken vor der Wellblechhalle. Sie transportieren Kohle – aus Bergwerken zur Kohlenwäsche.

Die Obama-Regierung hatte der Kohleindustrie strenge Regeln auferlegt, um den Kohlendioxid-Ausstoß abzubremsen. „Wir waren fast erledigt“, erinnert sich Miller. Trump lockerte die Vorschriften wieder. Doug Miller hat ihn gewählt, „natürlich“, sagt er – und würde das jederzeit wieder tun. „Der Präsident versucht, seine Leute zu schützen.“

Das sieht in der Gegend nicht nur er so.

Kohle hat große Bedeutung in Trumps Politik. Sie hat den Wahlkampf befeuert. Nun heizt sie die Gemüter weiter an. Kehren sie zurück, die goldenen Zeiten für das schwarze Gestein? In Somerset und dem umliegenden Landkreis zeigt sich Amerika wie mit der Spitzhacke gespalten. Die einen glauben an die Zukunft der Kohle, andere hoffen auf Alternativen.

Somerset County: 75 000 Einwohner, Tor zum Mittleren Westen, dem amerikanischen Kernland. „Farmer, Bergarbeiter und Truckfahrer“, sagt Miller. 75,9 Prozent der Wahlberechtigten haben für Trump gestimmt. Der Rückhalt für die Republikaner war hier schon immer groß.

Die erste neue Mine in Trumps Amtszeit

Im Zentrum, an der Center Avenue oder Pennsylvania Route 601, steht die Bronzefigur eines Bergarbeiters. Weiter außerhalb bestimmen Getreidesilos, Kuhweiden und Traktoren die Landschaft, Bagger und Werkstätten. Schilder warnen vor Sprengungen und weisen auf Hausauktionen hin.

Zweimal erlangte der Landkreis im ganzen Land Aufmerksamkeit. Das erste Mal liegt Jahre zurück. Im Sommer 2002 waren neun Kumpel für 77 Stunden 70 Meter unter der Erde eingeschlossen; Wasser hatte einen Schacht geflutet und zum Einsturz gebracht. Die dramatische Aktion zu ihrer Rettung ist als das „Wunder von Quecreek“ bekannt. Dort, wo die Kumpel per Dahlduschbombe, einer Rettungskapsel, aus dem Untergrund stiegen, steht heute ein Denkmal.

Jüngst richteten sich die Blicke wieder auf Somerset. Denn am 8. Juni 2017 machte hier eine Zeche auf – es war das erste neue Kohle-Bergwerk in Donald Trumps Amtszeit. Der Präsident verkaufte die Eröffnung als Bestätigung seiner Politik. „Wir bringen die Minenarbeiter wieder in Arbeit“, tönte er in einer Videobotschaft. Er werde kämpfen „für all die vergessenen Männer und Frauen“. Die Acosta-Mine sei ein Signal für „ein neues Kapitel in Amerikas langer, stolzer Tradition des Kohlebergbaus“.

Trump will den „war on coal“, den Krieg gegen die Kohle, beenden, den Vorgänger Barack Obama und die Demokraten laut dem Präsidenten angezettelt haben. „Der Krieg gegen Kohle vernichtet Jobs“, erklärte Trump schon im Wahlkampf, „macht uns in der Energie abhängiger von unseren Feinden und schafft einen großen Geschäftsnachteil.“

Weltweit wollen 184 Staaten den Klimawandel bremsen, indem sie Kohlendioxid-Emissionen reduzieren. In Deutschland hat vor Kurzem das letzte Steinkohlebergwerk geschlossen, der Ausstieg aus dem Kohlestrom ist im Gange. Trump dagegen möchte den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen. Wahlversprechen einlösen. America first.

„Trump hat Wunderbares für die Kohleindustrie getan“

In Somerset stößt man damit so leicht auf Zustimmung wie auf Flöze im Boden. Dass Hillary Clinton im Wahlkampf verkündete, sie werde sich für Energiealternativen einsetzen, das Geschäft der Bergleute beenden, kam in der Gegend gar nicht gut an.

„Trump hat Wunderbares für die Kohleindustrie getan“, sagt Doug Miller. Seine Firma liegt auf halbem Weg zwischen Somerset und der Acosta-Mine. Den Ausstieg aus dem Klimaabkommen befürwortet er. Miller kann nicht nachvollziehen, wieso die USA strenge Vorschriften befolgen sollten, andere Länder aber nicht. In China zum Beispiel würden weiter Schadstoffe in die Luft geblasen, und es gebe „keine magische Wand, die die Luftverschmutzung eindämmt“. Die USA schultere die Last für andere, sagt er. „Die verschmutzen weiter – was soll das bringen?“ Überhaupt, sagt Miller „hat niemand bewiesen, dass es die globale Erderwärmung wirklich gibt“.

Die Klimadebatte ist, wie auch Ermittlungen gegen Trump in der Russlandaffäre oder umstrittene Personalentscheidungen, ein Thema, das weit weg wirkt für die meisten in Somerset. Ganz nah hingegen sind die Aushänge zur Personalsuche in Schaufenstern oder die Bauarbeiter, die endlich die alte Brücke an der Center Avenue, zwischen Starbucks und der Interstate 76, erneuern. Beweis für Doug Miller, dass ihre Sorgen und Wünsche nun an erster Stelle stehen.

Um knapp drei Prozent ist die US-Wirtschaft im vergangenen Jahr gewachsen, die Zahl der Arbeitslosen niedrig wie seit einem halben Jahrhundert nicht. Miller gefällt, dass die „Leute leichter Jobs finden“. „Was ist falsch daran, das eigene Land wieder zurück in Arbeit zu bringen?“, fragt er und erwartet keine Antwort. 45 Fahrer beschäftigt sein Betrieb, plus 25 Leiharbeiter. Weitere Mitarbeiter werden gesucht, berichtet er. Endlich wachse das Geschäft wieder, „und es wird weiter wachsen“, glaubt er.

Der Präsident ist nicht dafür bekannt, die Wahrheit zutage zu fördern

Carl Walker Metzgar findet, dass sich sein Land zu lange selbst behindert habe, zu viele Auflagen beim Umweltschutz hätten den Wettbewerb erschwert. Der republikanische Bezirksvertreter trägt rot kariertes Hemd und Jeans, sitzt hinter Papierbergen, die sich auf seinem Schreibtisch stapeln, und möchte keineswegs missverstanden werden. Niemand, erklärt der junge Politiker, wolle die Umwelt verschmutzen: „Wer hier lebt, ruiniert nicht seine Heimat.“ Unter der Erde ist Pennsylvania reich an Rohstoffen, darüber reich an Wäldern, Wiesen, Flüssen und Seen. Ein Paradies zum Wandern, Radfahren, Rafting oder Skifahren.

Metzgar erwartet ebenfalls zusätzliche Arbeitsplätze und Umsätze. Die Eröffnung der Acosta-Mine sei eine „enorme Entwicklung“. „Weitere Bergwerke werden eröffnen.“ Und jeder Job dort ziehe andere Arbeitsplätze nach sich, zunächst bei nahen Branchen wie Kraftstofflieferanten, Maschinenherstellern, Zementproduzenten, in der Holzindustrie und bei Transportfirmen. Dann folgten Geschäfte für Kleidung und Möbel, Supermärkte, Restaurants.

Tatsächlich ist die Kohleförderung in Somerset und anderen Regionen zuletzt gewinnbringend gestiegen. Sie stillt den wachsenden Bedarf von Stahlkonzernen in China und Indien. 15, 20 Jahre kann die neue Mine vielleicht arbeiten.

Aber Trump ist nicht dafür bekannt, die Wahrheit zutage zu fördern. Was er verschwieg: Bei der Acosta-Mine handelt es sich um keine Errungenschaft seiner Politik. Im Gegenteil. Die Zeche war lange geplant, drei Monate vor der Präsidentenwahl hatte sie die letzten Genehmigungen erhalten. Außerdem fanden im ersten Jahr nur 100 Arbeiter einen neuen Job, weniger als in anderen Bergwerken.

Den Republikaner Metzgar bringt das nicht vom Glauben ab, dass Trump eine Tradition fortsetzen wird. „Seit 100 Jahren ist Somerset ein Kohle-Landkreis“, sagt der 37-Jährige und erwartet eine „Wende“ für die Industrie – „vielleicht sogar eine Renaissance“.

Die Begeisterung für die Kohle grenzt bisweilen an religiöse Hingebung. Die Industrie hat den Aufstieg der USA begleitet wie kaum eine andere. In fast jeder Familie, das erzählen die Leute gerne, gibt es Bergarbeiter oder Arbeiter in benachbarten Industriezweigen. Ein Kumpel verdient schnell 100.000 Dollar und mehr im Jahr – ein Gehalt, dreimal so hoch wie das Durchschnittseinkommen. Kohle ist das Leben der Leute, seit Generationen.

Der Bergbau begann im sogenannten Rust Belt, dem Rostgürtel, der Heimat der US-Schwerindustrie, bereits im späten 18. Jahrhundert. Die Hochöfen in Pittsburgh verschlangen bald jeden Tag Hunderte Tonnen Steinkohle aus den Appalachen. Der Ausbau der Eisenbahn führte zu einem Boom in der Region.

Lange schlug hier das schwarze Herz Amerikas. Nun ist es schwach geworden.

Neues Leben für eine alte Industrie

Der Niedergang begann vor Jahrzehnten, als die Schwerindustrie in billigere Länder abwanderte. Auch Kohleverbrennung zu Strom- und Energieproduktion verlor an Bedeutung. Um 20 Prozent ist der Anteil von Ökostrom in den USA im vergangenen Jahr gewachsen. Die Folgen für die einst glorreiche Industrie sind überall in der Gegend zu besichtigen. Verlassene Häuser mit leeren Fensterhöhlen, verschlossene Geschäfte, Eisenbahnschienen ins Nichts, weil auf ihnen keine Kohlewaggons mehr fahren. Rostende Industrieruinen.

Trump will der alten Industrie neues Leben einhauchen. Gelingt das?

Trump will der alten Industrie neues Leben einhauchen

Um knapp drei Prozent ist die US-Wirtschaft im vergangenen Jahr gewachsen. In Somerset County suchen die Minenbetreiber mit großen Plakaten nach erfahrenen Arbeitern.
Um knapp drei Prozent ist die US-Wirtschaft im vergangenen Jahr gewachsen. In Somerset County suchen die Minenbetreiber mit großen Plakaten nach erfahrenen Arbeitern.
© Oliver Bilger

Dave Woy, 63 Jahre alt, eckige Brille, schütteres Haar, spürt noch keinen Aufschwung ein Jahr nach Eröffnung der nahen Zeche. Das Autohaus der Woy Brothers liegt vor den Toren von Somerset, nicht weit vom Quecreek-Rettungsschacht. Vor dem niedrigen Verkaufsraum parken Pick-ups in einer langen Reihe. Die Mini-Trucks sind nicht billig, knapp 50.000 Dollar steht auf den Schildern an den Windschutzscheiben.

Wohl deshalb sind Woys Umsätze nicht in die Höhe geschossen. Zunächst müssten die Leute andere Rechnungen begleichen, erklärt er, oder gäben ihr Geld aus, um eine gute Zeit zu haben. In Restaurants und Bars sei der neue Cashflow gleich zu spüren. Später, da ist Woy sicher, erreiche das Geld dann ihn und seinen Bruder. „In ein paar Jahren kommen die Kunden“, sagt er. „Wir sind zurück.“

Nicht jeder ist da so sicher.

Ein elender Job im Stollen

Zwölf Meilen nördlich von Somerset, immer geradeaus über abgenutzten Straßenbelag, steht das Restaurant des Ehepaars Rhoads. Der dreigeschossige Backsteinbau mit Spitzdach ist nicht zu übersehen. Er befindet sich gleich hinter der zentralen Kreuzung, der einzig größeren im Örtchen Jennerstown mit nicht einmal 700 Einwohnern. Vor dem Parkplatz steht eine alte Lore, darauf wirbt eine digitale Anzeigetafel für Gaststätte und Pension: „Coal Miner’s Café“. Drinnen dunkle Möbel auf braunem Teppich, Pickel und Helme an den Wänden. Auf der Speisekarte stehen Burger mit Pommes, Omelette und Bacon. Es riecht nach frisch aufgebrühtem Kaffee.

John und Betty Rhoads, 72 und 70 Jahre alt, stammen beide aus Familien mit Bergbautradition. Vier Jahre schuftete John Rhoads selbst im Schacht, 1977 bis 1981 war das. Ein „elender“ Job, erinnert er sich. Durch einen 66 Zentimeter hohen Stollen sei er gekrochen. Wenn er durstig war, musste er im Liegen trinken – durch einen Strohhalm. Bald war ihm das zu anstrengend. Seither bewirtet er lieber Kumpel, als selbst einer zu sein.

Arbeiter kommen vor ihrer Schicht ins Restaurant, bestellen Sandwiches und füllen die Thermoskannen auf. Über die Jahre sind es weniger geworden. Ein bisschen verloren wirken die Gäste im hallengroßen Speisesaal. Das liegt nicht allein an der Kohle-Nachfrage, nicht bloß daran, ob neue Bergwerke öffnen oder alte schließen. Die zunehmende Automatisierung in den Zechen spielt ebenso eine Rolle. Ihr Vater sei noch mit Pickel und Schaufel in den Stollen gestiegen, erzählt Betty Rhoads. Für den Transport der Kohle gab es Esel. Jetzt lassen sich durch moderne Maschinen Jobs einsparen.

In den fünf Jahren vor Trumps Wahlsieg verschwanden 30 000 Kohlejobs. 1997 förderte die Nation 73 Millionen Tonnen, 2016 waren es nur noch 45 Millionen – der niedrigste Stand in knapp 30 Jahren.

Als sie von der Inbetriebnahme des neuen Bergwerks hörten, hatten auch die Rhoads hohe Erwartungen. Aber es ändere sich nichts, sagen sie. „Die Menschen haben Hoffnungen“, sagt Betty Rhoads, „die sollen sie haben.“ Etwas ist ihr aufgefallen in jüngster Zeit. Nie habe Politik eine große Rolle unter den Kumpeln gespielt. „Die Arbeiter hat nicht interessiert, wer Präsident, ist.“ Republikaner, Demokraten – Rhoads wusste nie, welche politische Meinung die Leute haben. „Ich kenne die mein ganzes Leben, es ging nie so tief in die Politik wie jetzt.“ Ihr bereitet das Sorgen. „Die Leute radikalisieren sich.“ Sie halte sich raus bei politischen Diskussionen. „Wenn du jemanden verärgerst, verlierst du Kunden.“

Raushalten, das ist nichts für Familie Picklo. Das Politische betrifft sie privat. Mary Jo und Michael Picklo sind sauer, denn ihren Ruhestand hatten sie sich ganz anders vorgestellt. Die neue Mine verändert ihr Leben.

Das Haus der Picklos steht auf dem wohl am wenigsten begehrten Grundstück im Landkreis. Nahe am Bergwerk wie kein zweites. Von ihrer Veranda blickte das Ehepaar früher auf sanfte Hügel, Wald und Wiesen. Nun schauen die beiden in den Schlund der Acosta-Mine. Über die Straße hören sie Baggerschaufeln kratzen, wenn Kohle auf Trucks gehievt wird. Sie hören Grubenlüfter rauschen, Maschinen brummen. Fiepende Warnsignale sind zur Begleitmusik des Alltags geworden. Sie ertönt wie aus einem Radio ohne Regler, abschalten unmöglich. „Wir können die Türen nicht aufmachen wegen des Lärms, hören den Fernseher nicht, haben Klimaanlagen in allen Räumen, weil wir die Fenster nicht öffnen“, berichtet Mary Jo Picklo. Manchmal komme es zu Stromausfällen.

„2003 sind wir hierhergezogen, aus der nahen Stadt Johnstown, weil wir auf dem Land leben wollten“, sagt Michael Picklo. „Das ist nicht die Definition von einem Leben auf dem Land“, beendet seine Frau den Satz.

Die Veranda haben die beiden mit Plexiglas geschützt, ohne dass dies viel helfen würde. Mary Jo Picklo wischt schwarzen Staub vom Geländer. Sobald es dunkel wird, zerschneiden Scheinwerfer die Nacht, leuchten die Veranda aus wie eine Bühne. Mary Jo Picklo hat schwere Vorhänge vor die Fenster gehängt, aber fühlt sich dennoch „wie an einem Flughafen“. Am Morgen, gegen vier oder halb fünf, reißt das Knattern und Quietschen der tonnenschweren Trucks und ihrer Bremsen die Eheleute aus dem Schlaf. Nur selten schließe die Mine an einem Samstagabend und bleibe bis Sonntag zu. Ruhe ist sogar dann nicht garantiert. Einmal sei an einem betriebsfreien Morgen die Alarmanlage angesprungen, bis die nächste Schicht am Abend kam und das Warnsignal abstellte.

Mary Jo Picklo, 63 Jahre alt, war vier Jahrzehnte lang Lehrerin an einer High School. Zwei Jahre früher als geplant ist sie in Ruhestand gegangen. „Ich war ein Wrack“, erzählt sie. „Ich kann nicht am Morgen Schüler unterrichten, wenn ich die Nacht davor nicht geschlafen habe.“ Michael Picklo, 64, hat früher selbst von der Kohleindustrie gelebt, er hat Trucks für den Transport montiert. Gerade mag es ein wenig aufwärts gehen, meint er, doch werde der Aufschwung nicht ewig anhalten.

Ihre Veranda haben die Picklos mit Plexiglas geschützt, ohne dass dies viel helfen würde. Mary Jo Picklo wischt schwarzen Staub vom Geländer.
Ihre Veranda haben die Picklos mit Plexiglas geschützt, ohne dass dies viel helfen würde. Mary Jo Picklo wischt schwarzen Staub vom Geländer.
© Oliver Bilger

„Niemand kauft ein Haus mit einer Zeche davor“

Seine Worte klingen identisch mit denen vieler Fachleute: Das Geschäft hat sich erholt, vom tiefsten Tal im Jahr 2016 ausgehend. Doch auch wenn es nun aufwärts geht, sind die besten Zeiten längst Vergangenheit.

Statt der Mine würden die Picklos lieber den Ausbau von Windrädern sehen, die es in Somerset County ebenfalls gibt. Natur, Tier und Mensch könnten davon profitieren. Wieso viele in der Region trotzdem skeptisch sind, verstehen sie nicht. Andere Länder seien progressiv, wenn es um den Umweltschutz geht, „wir bewegen uns rückwärts“. Die Picklos machen kein Geheimnis daraus, dass sie zur hiesigen Minderheit zählen, die nicht für Trump stimmte. Sie „schämen“ sich für die Wahl, überlegten sogar kurz, nach Kanada auszuwandern.

Doch was geschieht mit ihrem Eigentum? „Niemand kauft ein Haus mit einer Zeche davor“, sagt Mary Jo Picklo. Der Bergwerksbetreiber hatte einen Abkauf vor der Eröffnung angeboten, doch danach ließen sich Vertreter der Firma nicht wieder sehen. Zwölf kleine Tannen wurden vor die Zufahrt der Picklos gepflanzt – bis sie die Sicht versperren, werden Jahre vergehen. Auf Anfragen des Tagesspiegels reagiert das Unternehmen nicht. In den Büros ist der Betrieb so zurückhaltend wie die meisten Kumpel, die ungern mit Journalisten sprechen. „Die Arbeiter setzen sich ins Auto, stellen sich unter die Dusche und können dann ein Barbecue im Garten veranstalten“, klagt Mary Jo Picklo. „Wir leben hier wie in einem Gefängnis.“

Ganz allein sind die Picklos dennoch nicht. Zur Eröffnungszeremonie versammelten sich 20 Umweltaktivisten vor ihrem Haus zum Protest. „Wir hatten Lautsprecher und Mikrofone – man hörte uns bei der Eröffnungsfeier, weil das Bergwerk so nah ist“, erzählt Ashley Funk. Die 25-Jährige mit den langen blonden Haaren ist Mitglied der „Mountain Watershed Association“, einer Gruppe lokaler Umweltaktivisten, die sich für den Erhalt von Flüssen und Bächen einsetzen und für deren Reinigung, wenn sie vom Bergbau verschmutzt wurden.

Ashley Funk hat gegen die Acosta-Mine protestiert und glaubt an alternative Energien.
Ashley Funk hat gegen die Acosta-Mine protestiert und glaubt an alternative Energien.
© Oliver Bilger

Sie verstehe, dass viele aufgrund der Geschichte eine besondere Beziehung zur Kohleindustrie hätten, auch in ihrer Familie gebe es Kumpel, erklärt Funk. Doch sie gehört einer neuen Generation an, für die die Zukunft grün statt schwarz ist. „Die Menschen erkennen, dass die Kohle sie nicht ewig ernähren und die Abhängigkeit eines Tages wohl enden wird. Die Mehrheit will einen Wandel.“ Viele würden allerdings nicht offen darüber sprechen, „wegen der kulturellen Macht der Kohle“. Funk bezweifelt, dass die Industrie viel zum Wachstum der Region beitragen kann. Kasse machten vor allem ein paar wenige Zechenbetreiber.

Eine Alternative für die lokale Wirtschaft wäre der Tourismus. Er könnte dieselben positiven Auswirkungen auf die Region haben wie die Kohle: einen „Trickle-Down-Effekt“ für Geschäfte und Betriebe im gesamten Landkreis. Und Transport- und Baubetriebe bräuchte man auch für Wind- und Solaranlagen. Knapp 200 Windräder stehen bereits in Somerset. Verantwortlich für den Niedergang der Kohlebranche, erläutert Funk, sei vor allem der Erdgas-Boom der vergangenen Jahre – er sei viel bedeutsamer als alle Umweltregeln. „Gas ist weitverbreitet und günstig.“

In Greene County musste eine Mine schließen

Ein stillgelegtes Kohlekraftwerk in Greene County.
Ein stillgelegtes Kohlekraftwerk in Greene County.
© Oliver Bilger

Maschinen stehen still, Förderbänder ragen ziellos in den Himmel

Green County, weiter im Südwesten. Ein anderer Landkreis, viele Ähnlichkeiten. Die Kohle bringe Aufschwung, Mehreinnahmen, Jobs, so erklären es viele auch hier. Die Republikaner sind im Kreis ebenfalls stark, wenn auch nicht ganz so wie in Somerset: 68,4 Prozent haben für Trump gestimmt. Die Meinungen zur Kohleindustrie, das fällt auf, sind ein wenig verhaltener. Vielleicht liegt es am Fracking? Greene County ist zwar reich an Kohle, fördert aber längst mehr Schiefergas.

Oder es liegt daran, dass im vergangenen Jahr eine größere Kohlengrube dichtmachen musste, fast 400 Kumpel verloren ihre Jobs. An der 4 West Mine stehen die Maschinen still, Förderbänder ragen ziellos in den Himmel. Für die Minenbetreiber lohnte sich das Geschäft nicht mehr. Der Rohstoff liegt zu tief, als dass sich die Förderung rentieren könnte. Ein weiteres Werk in der Kreisstadt Waynesburg machte bereits 2015 dicht. Zuvor, im Jahr 2013, hatte das nahe Kraftwerk Hatfield’s Ferry Power Station die Arbeit wegen neuer Umweltstandards eingestellt. Kohle macht nur 30 Prozent im Energiemix der USA aus. Vor einem Jahrzehnt gewannen die USA noch die Hälfte des Stroms aus Kohlekraft. Von den alten Energiekraftwerken sind 40 Prozent geschlossen.

In Kommunen wie Bobtown, einem Nest auf einem Hügel an der Grenze zu West Virginia, bekommen die Menschen die Folgen zu spüren. 1874 gründeten Bergarbeiter das Örtchen, Spaten und Pickel im Ortsschild zeugen davon. Noch in den 1990er Jahren errichtete ein Bergbauunternehmen Wohnhäuser, betrieb den lokalen Supermarkt. Wenig später, nach der Betriebspleite, erlebte das Dorf einen Niedergang.

Der „Village Mart“ im Ortskern hat dichtgemacht. Die Videothek, den Waschsalon, das Restaurant, die Pizzeria und die Tankstelle gibt es inzwischen nicht mehr. Die klotzige Schule ist zu groß für ein Dorf, das seine Bürger verliert. Manche der kleinen, schlichten Holzbauten stehen leer. Schlaglöcher durchziehen den Asphalt.

Ein Anwohner sagt: „Der Ort ist tot“ – wie die Industrie, die ihm einst Leben einhauchte. Und den Krieg gegen die Kohle habe nicht Obama begonnen, er reiche sehr viel weiter zurück, bis in die 1970er Jahre. Eine Mitarbeiterin der lokalen Verwaltung fürchtet den Steuerausfall für die Gemeinde nach Schließung der 4 West Mine: Bis zu einem Drittel könnte der betragen. Schon seit Jahren sinken die Einkünfte, nachdem mehr und mehr Arbeiter entlassen wurden.

Einer davon ist Steven Margita, der vor der hochgeklappten Motorhaube seines Pick-ups steht und an dem Auto schraubt. Gitarrenriffs von AC/DC schallen blechern aus einem kleinen Radio. Margita verlor seinen Job, als die 4 West Mine schloss. Er trägt das braune Haar raspelkurz, tiefe Falten durchziehen die Stirn des 37-Jährigen.

Die Industrie ist stabil, aber die Jobs kehren nicht zurück

Über die Union, die Gewerkschaft, könnte er sicher einen Job in einer anderen Zeche bekommen. Margita will jedoch nicht bis zu zwei Stunden ins benachbarte West Virginia pendeln. „Ich bin nicht sicher, ob ich zurück will in ein Bergwerk“, sagt er und spuckt Kautabak auf den Boden. Zwar glaubt auch er an Trump und die Kohle – noch mehr jedoch an die Gasförderung, in der viele seiner Freunde tätig sind. Dies ist nun auch sein Wunschziel. Seit dem Highschool- Abschluss hat er in einem Bergwerk gearbeitet, nun sei die Zeit für Veränderung gekommen. Es sei wohl einfacher, in der Gasbranche etwas zu finden.

Commissioner Blair Zimmerman ist ein Demokrat in einer Republikanerhochburg. Der Landrat von Greene County sagt: „Ich kenne die Industrie ziemlich gut. Viel besser als Donald Trump.“ Zimmerman, 64 Jahre alt, sitzt heute in seinem Büro im dritten Stock der Gemeindeverwaltung im Zentrum der Stadt Waynesburg. Doch er war einst Teil der Industrie. In einem früheren Leben schuftete er unter Tage. Längst hat er den Stollen gegen den Schreibtisch eingetauscht.

„Du sprichst über Kohle oder Waffen – und du gewinnst“, fasst Zimmerman seine Sicht auf Donald Trumps Wahlsieg zusammen. Selbst Demokraten hätten Trump unterstützt, weil er sagte, was sie hören wollten. Die Kohleindustrie in Greene County sei stabil, aber die Rückkehr der Jobs – „Entschuldigung, das ist Unsinn.“ Zwar eröffneten neue Zechen, doch um die Kohle zurückzuholen, müsste man die Kraftwerke wieder starten, und das werde auch unter Trump nicht geschehen. „Trump sagt, er liebt die Kohle und die Bergleute, aber er hat keinen Plan.“

Donald Trump bei einem Wahlkampfauftritt in Pennsylvania im Oktober 2016. Kohle hat schon immer große Bedeutung in Trumps Politik.
Donald Trump bei einem Wahlkampfauftritt in Pennsylvania im Oktober 2016. Kohle hat schon immer große Bedeutung in Trumps Politik.
© imago/ZUMA Press

Sein eigener Landkreis hätte sich laut Zimmerman schon vor Jahrzehnten nach Alternativen umsehen müssen. „Wir brauchen mehr Diversifizierung.“ Der Landrat träumt von einem Giganten wie Amazon. Doch geht es Zimmerman nach eigener Aussage nicht allein um Arbeitsplätze. Er denke auch an die folgenden Generationen, die in einer sauberen Gegend aufwachsen sollen. Beide Seiten, Kohle-Befürworter und Umweltaktivisten, müssten sich aufeinander zubewegen, sagt Zimmerman, der Politiker, ganz diplomatisch.

Zimmerman, der Kumpel, steht derweil als kleine Bronzefigur in seinem Büro – ein Abschiedsgeschenk nach 36 Jahren im Bergwerk. Die Gesichtszüge der Statuette haben eine irritierende Ähnlichkeit mit denen von Donald Trump. Das ist aber auch das Einzige, was Zimmerman und der US-Präsident gemeinsam haben.

Die Recherche wurde ermöglicht durch das „Transatlantic Media Fellowship“ der Heinrich-Böll-Stiftung.

Zur Startseite