Wohnungspolitik in der Hauptstadt: Wer hat beim Bauen das Sagen in Berlin?
Berlin setzt beim Bauen auf Bürgerbeteiligung. Zu sehr, fürchtet die Baubranche. Auch Wissenschaftler fordern klare Grenzen des Mitspracherechts.
Wer darf eigentlich künftig in Berlin darüber entscheiden, wo und wie gebaut wird? Diese für sie existenzielle Frage stellt sich die Wohnungswirtschaft. Mit Argwohn beobachtet sie das Vorgehen des Senats beim Thema Bürgerbeteiligung in Stadtplanungsfragen. Die Baubranche fühlt sich von diesem Prozess ausgeschlossen. „Unsere Forderung ist, dass man die Wohnungswirtschaft hier miteinbinden sollte“, sagt Bernd Strehlow, der Stellvertretende Geschäftsführer des Bundesverbands der privaten Immobilienwirtschaft (BFW) Berlin/Brandenburg. „Das tut man nämlich bisher nicht.“
Strehlow kritisiert konkret die Zusammensetzung des 24-köpfigen Arbeitsgremiums, das seit Ende Oktober im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung den sogenannten Partizipationsleitfaden erarbeitet. Dieses Gremium besteht aus Vertretern von Bürgerschaft, Politik und Verwaltung. „Eingeladen wurden irgendwelche Theoretiker und Verwaltungsjuristen“, sagt Strehlow. „Aber die Praktiker, die planen und am Ende bauen sollen und auch die Argumente der Bürger kennen, werden nicht gefragt.“
Ein "fatales Signal"
Wie verunsichert die Branche aufgrund der jüngsten Erfolge von Anwohnerinitiativen ist, belegt das aktuelle Wohnungsmarktbarometer der Investitionsbank Berlin (IBB). Mehr als ein Drittel der befragten 200 Experten, darunter viele Vertreter der Bauwirtschaft, sah den wachsenden Widerstand im Mietwohnungsbau als „aktuelles Problem“ an. Im Vergleich zum Vorjahr war es das Problem mit der am stärksten gestiegenen Nennung.
Exemplarisch wird neben dem Tempelhofer Feld und der Elisabethaue in Pankow immer wieder der geplatzte Hochhausbau auf der Fischerinsel in Mitte durch die städtische WBM genannt, der trotz Baugenehmigung an etwa 1000 Unterschriften scheiterte. Ein Fanal für andere Bürgerinitiativen, ein „fatales Signal“ für die Investitionssicherheit in Berlin aus Sicht der Wohnungswirtschaft.
Grenzen der Bürgerbeteiligung
Zwar kündigte Berlins Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) „klare Regeln und Grundsätze“ durch den Partizipationsleitfaden an, der im Herbst 2018 vorgestellt werden soll. Die Baubranche fürchtet jedoch, dass den Bürgern dabei zu viel Macht eingeräumt wird und fordert enge inhaltliche und zeitliche Grenzen der Beteiligung. „Wenn Bauvorhaben lange in der Schwebe bleiben und man nicht weiß, was wann letztendlich gebaut werden kann, dann hat man keine Planungssicherheit, was dann auch die Kosten treibt“, sagt Maren Kern, Vorstandsmitglied des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU).
„Irgendwann muss der Diskussionsprozess enden und der Bau beginnen“, pflichtet BFW-Funktionär Strehlow bei. Die sechs großen städtischen Wohnungsbauunternehmen hatten bereits in einem Brief an Lompscher vor Bauverzögerungen um bis zu zwölf Monate und erheblichen Mehrkosten bei zu ausufernder Bürgerbeteiligung gewarnt.
Das Visionsvakuum der Politik
Unterstützung erhalten die Unternehmen von der Wissenschaft. Der renommierte Staatsrechtler Ulrich Battis sieht gar eine Gefahr für die Demokratie, sollten Baugesetzgebung und politische Entscheidungskompetenz dauerhaft ausgehöhlt werden. Grundsätzlich hält Battis Bürgerbeteiligung für sinnvoll; das sieht auch Arnt von Bodelschwingh so. Die Nutzungskonflikte der Stadtentwicklung kriege man nur noch über Kommunikation ausbalanciert, sagt der Stadtforscher.
Von Bodelschwingh leitet das Forschungsinstitut RegioKontext, das den IBB-Bericht erstellt hat und auch an der Entwicklung des Stadtentwicklungsplans (StEP) Wohnen 2030 beteiligt ist. Dieser Plan soll Ende 2018 das viel kritisierte Visionsvakuum der Berliner Politik füllen und ein städtischer Wegweiser für den Neubau sein. Das kann er aber nur, wenn er mehr ist als eine unverbindliche Empfehlung, die von Anrainern in den Wind geschlagen werden kann.
Berlin brauche eine Gesamtstadtplanung
Der „partizipative Prozess“, den eine der acht StEP-Leitlinien für die künftige Stadtentwicklung vorgibt, müsse deshalb nach „klaren Spielregeln“ stattfinden, so von Bodelschwingh. Vor allem müsse deutlich werden, wo Partizipation ende. „Sonst kann man niemals anfangen zu planen.“ Besonders problematisch ist hierbei die Konstellation, dass der Senat zwar Partizipation beschwört, die Folgen aber in der Praxis wie das gesamte Thema Neubau meist an die Bezirke weiterdelegiert.
Weil die Lokalpolitiker im Zweifel den Interessen ihrer Wähler den Vorrang geben, wird die komplexe Frage der stadtweiten Nachverdichtung zu einer Art Neubaumikado: Wer als Erster wackelt, verliert. Obwohl die Anwohnerinitiativen einerseits von dieser Gemengelage profitieren, zehrt der ständige Verteidigungskampf auch an ihnen.
„Die Stadtentwicklung Berlins erfolgt derzeit spontan, ohne gesamtheitliches Konzept“, sagt Günter Hahn von der Initiative Thälmannpark, die sich seit Jahren gegen eine weitere Bebauung des Areals stemmt. Hahn fordert: „Zur Erhaltung des Stadtbildes ist eine Gesamtstadtplanung dringendes Erfordernis.“
Gebaut wird auf eigene Faust - gegen den Protest
Bis es so weit ist, betreibt die Baubranche notgedrungen verstärkt auf eigene Faust Neubau-Lobbyismus vor Ort, um ein weiteres Trauma wie auf der Fischerinsel zu vermeiden. Bei größeren Projekten laden viele noch vor der eigentlichen Bauplanung zu moderierten Veranstaltungen oder sogenannten Werkstattverfahren ein. Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften entwickeln außerdem parallel zum Senat gemeinsam mit der Stadtöffentlichkeit eigene Spielregeln für standardisierte Partizipationsprozesse.
Die Ergebnisse dieser Trialog-Reihe „Partizipation im Wohnungsbau“ sollen ab Januar ein Jahr lang in der Praxis getestet werden. Es zeichnet sich ein Beteiligungsmodell in vier Stufen ab: Information, Konsultation, Mitgestaltung, Mitentscheidung. Die Anzahl der Stufen hängt von der Relevanz des jeweiligen Projekts ab, die letzte Stufe soll nur in Sonderfällen angewandt werden.
Ein solches Mitentscheidungsrecht für Bürger bei der Bauplanung hält Bernd Strehlow generell für unangebracht. Viele wollten unliebsame Nachbarbauten gern verkleinern. „Das sollte eine Bürgerinitiative aber nicht dürfen, denn die Baumassen orientieren sich am Planungsrecht und sind wichtig, um die Finanzierung von Objekten zu stemmen“, sagt der BFW-Geschäftsführer. „Diese Hintergründe können die Leute nicht einschätzen, im Zweifel sind sie ihnen auch egal.“
Die Neubau-Protestler
Die Forscher haben drei große Gruppen von Protestlern gegen Neubauten ausgemacht. Der ersten geht es um individuelle Privilegien wie Parkplätze, Freiflächen und Sonnenbalkone. Die zweite entwickelt aus Furcht vor Mieterhöhung oder Verdrängung eine wachstumskritische Haltung.
Solche Widerstände kann man tatsächlich abbauen, sagt von Bodelschwingh, vor allem, wenn man Ausgleich und Mehrwert für die Anwohner schafft, durch Quartiersräume, Spielplätze oder Arztpraxen. Die Faustregel lautet: Je früher die Einbindung der Anwohner, desto geringer später der Widerstand.
Nur bei der letzten Gruppe gilt das nicht, Strehlow nennt sie halb im Scherz die „Systemgegner“. „Sie sind aus ideologischen Gründen kategorisch gegen Neubau, besonders gegen privaten. Sie nimmt den Firmen übel, dass sie bauen und damit Geld verdienen.“ Diese Gruppe bestehe meist aus älteren Menschen, sei zahlenmäßig überschaubar, aber besonders hartnäckig und greife im Zweifel auch zur Klage.
Neue Schiedsstelle für Baufragen
Das kann Ingo Malter bestätigen. Er ist Geschäftsführer der kommunalen „Stadt und Land“. Bei einem Neubauprojekt von mehr als 400 Wohnungen in Treptow-Köpenick hat sie das ganze Instrumentarium der Anwohnerumwerbung eingesetzt. Allein: Bauen kann die „Stadt und Land“ dort immer noch nicht, zwei Anlieger haben trotz allem geklagt.
Meist scheitern solche Klagen zwar, aber „sie ziehen die Bauvorhaben wie Gummi in die Länge“, sagt Strehlow. Mitunter dauern die Verfahren Jahre. „In der Zeit ruht der Bau, und dann werden langsam die Banken und die Endabnehmer unruhig, der Vertrieb stockt.“
Nach Ansicht von Malter braucht es „schnellere Verfahren“, damit nicht tausende Menschen jahrelang auf Wohnungen warten. Er schlägt einen Oberschiedsrichter im Wohnungsbau vor: „Es muss eine Art Clearingstelle geben.“ Sie solle überbezirklich in der Verwaltung angesiedelt werden, „mindestens auf Senatoren- oder Staatssekretärsebene, wenn nicht sogar bei der Senatskanzlei“.
Den Vorschlag haben die Städtischen vor einigen Wochen „an oberster Stelle im Senat“ vorgestellt. BFW-Geschäftsführer Strehlow unterstützt die Forderung. Die Stelle müsse aber breite politische Rückendeckung haben, „sonst geht es ihr ähnlich wie der Wohnungsbauleitstelle“. Diese bemüht sich seit 2013, Lösungen bei strittigen Bauvorhaben zu finden. Sie hat jedoch nur vermittelnden Charakter und laut Insidern unter dem neuen Senat deutlich an Einfluss verloren. Deswegen müsse eine Stelle mit wirklicher Entscheidungskompetenz geschaffen werden, sagt Malter. Damit wenigstens irgendwer entscheiden kann, wo und wie in Berlin gebaut wird.
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