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Richtfest in Berlin. Hochpreisiger Wohnraum entsteht in Berlin allerorten, wie in diesem Gebäude, das sich wie ein U über dem U-Bahnhof Mendelssohn-Bartholdy-Park erhebt.
© Reinhart Bünger

Stadtentwicklung: Berlin hat (k)einen Plan

Entwickelt sich die Hauptstadt ziellos zur 6-Millionen-Metropole? Einige Vorsätze gibt es.

Nutzersynergien, Flächeneffizienz, ökologische und soziale Nachhaltigkeit: Wenn es um die Zukunft der Städte geht, hantieren Politiker, Projektentwickler, Architekten und Stadtplaner mit einer Vielzahl von Begriffen. Sie umschreiben dabei ein einfach zu definierendes Ziel: Wie greift man die ewige Weiterentwicklung einer Stadt auf, um die Bedürfnisse ihrer Bewohner auf allen Ebenen zu vereinen? Was ist von den Städten der Zukunft, zumal von Berlin, zu erwarten?

Wer die Stadt von morgen planen will, müsste die Stadt von gestern verstehen und damit die Geschichte der Urbanisierung. Projektentwickler Lothar Schubert weist darauf hin, dass Städte in den vergangenen zwei Jahrhunderten bereits zweimal vollkommen neu strukturiert wurden.

Mit der Industrialisierung als Treiber drang die Bevölkerung in die Städte. Eine unkontrollierte Nachverdichtung war die Folge. Umstrukturierungen wie in Paris in der Mitte des 19. Jahrhunderts durch Georges-Eugène Haussmann werden zum Vorbild, um den städtischen Problemen Herr zu werden.

Die zweite Welle der städtischen Entwicklung ist durch die „Charta von Athen“ geprägt. Der Beschluss von 1933 steht für die klassische Funktionstrennung der Nutzungen Wohnen, Arbeiten und Freizeit – eine Bewegung, die man heute gerne wieder rückgängig machen möchte („Urbanes Gebiet“). Um die Trennung damals räumlich umzusetzen, dehnten sich die Städte ins Umland aus. Der niederländische Architekt Rem Kolhaas, einer der renommiertesten Vertreter wegweisender zeitgenössischer Architektur, hat die Entwicklung der Städte so zusammengefasst: „Die kompakte, mittelalterliche Stadt gleicht einem gekochten Ei, die Industriestadt des 19. Jahrhunderts einem Spiegelei und die Stadt der Moderne, des 20. Jahrhunderts, einem Rührei.“

Ist das Sinnbild des Rühreis als Metapher für das 21. Jahrhundert anwendbar?

Bausenatorin Lompscher will preiswerten Wohnraum sichern

Ohne Zweifel stehen unsere Städte vor einem dritten grundlegenden Wandel: Digitalisierung lautet dafür das Zauberwort. Schon beginnt der Internethandel die Innenstädte zu verwandeln.

Wie also gestaltet sich die Suche nach dem Leitbild des 21. Jahrhunderts? Können „Urbane Gebiete“ mit ihren Wohnangeboten in Gewerbegebieten eine Lösung für den Wohnungsmangel sein? Welche Aufgaben müssen sich Projektentwickler stellen? Wie sieht Berlins Stadtentwicklung von morgen aus?

Es scheint zunächst, als habe Berlins neue Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Die Linke) die Zeichen der neuen Bauzeit erkannt. Die gelernte Stadtplanerin kündigte in der vergangenen Woche die Aktualisierung des Stadtentwicklungsplans (StEP) Wohnen an. Er soll die Wohnungsnachfrage und Baupotenziale ermitteln, die stadtentwicklungspolitischen Leitlinien und Ziele des Wohnungsbaus darstellen sowie geeignete Instrumente und Maßnahmen benennen. „Der StEP Wohnen 2030 bietet eine langfristige Orientierung zur Wohnraumentwicklung Berlins“, sagte Lompscher: „Sein Ziel ist es, preiswerten Wohnraum zu sichern und zusätzlichen Wohnraum sowohl in den bestehenden Quartieren als auch an neuen Standorten zu schaffen.“

Unterstützt wird die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen dabei durch einen Begleitkreis, der unter Leitung der Senatsbaudirektorin Regula Lüscher am 21. März 2017 seine Arbeit aufgenommen hat. Mitglieder des Kreises sind Vertreter der Wohnungswirtschaft, der Stadtgesellschaft, der Bezirke und unabhängige Expertinnen und Experten.

Bis zum Sommer 2017 sollen die Mitglieder des Begleitkreises gemeinsame Eckpunkte für die Aktualisierung des StEP Wohnen entwickeln.

Viele Fragen der Stadtentwicklung bleiben noch offen

Diese Ergebnisse sollen in einen ersten Senatsbeschluss einfließen. Im Verlauf des kommenden Jahres sollen dann weitere Maßnahmen und Instrumente diskutiert und konkretisiert werden. Überhaupt hatten sich die in der neuen Landesregierung vertretenen Parteien vorgenommen, viel zu diskutieren und diskutieren zu lassen – ehe große Entwicklungsflächen bebaut werden.

Ende 2018 soll der StEP Wohnen 2030 insgesamt durch einen zweiten Senatsbeschluss verbindlich beschlossen werden.

So wichtig und unabweislich die Aufgabe ist, preiswerten Wohnraum in Berlin zu schaffen, so dringend ist auf die Gefahren einer solchen Schwerpunktsetzung hinzuweisen. Wer also beschäftigt sich mit den philosophischen Dimensionen des Wohnens und Arbeitens („Co-Living“, „Co-Working“), wer mit Kombinationen aus öffentlicher und privater Stadtentwicklung in altersgerechten Quartieren? Und wo gibt es einen Thinktank, der sich mit der Sinnlichkeit und dem sozialen Leben einer (sicheren?) Großstadt wie Berlin beschäftigt?

Wie wichtig die Beantwortung solcher Fragen wäre, zeigt sich, wenn man sie auf eine praktische, pragmatische Ebene herunterdekliniert.

Der "Speckgürtel" ist nicht im Fokus

Richtfest in Berlin. Hochpreisiger Wohnraum entsteht in Berlin allerorten, wie in diesem Gebäude, das sich wie ein U über dem U-Bahnhof Mendelssohn-Bartholdy-Park erhebt.
Richtfest in Berlin. Hochpreisiger Wohnraum entsteht in Berlin allerorten, wie in diesem Gebäude, das sich wie ein U über dem U-Bahnhof Mendelssohn-Bartholdy-Park erhebt.
© Reinhart Bünger

Nahegelegene Schulen, eine nicht zu große Entfernung zum Arbeitsplatz, gute Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe, eine gute medizinische Versorgung vor Ort sowie gute Luft und wenig Verkehrslärm beeinflussen die Standortentscheidung von Käufern einer Immobilie im gleichen Maße wie die von Mietern.

Unter den Mietern mit Kaufplänen sind einer Umfrage des Instituts Allensbach aus dem Januar 2017 zufolge 77 Prozent nicht bereit, weiter als 30 Kilometer zum Arbeitsplatz zu pendeln. Die Ergebnisse sind nach Angaben der Macher repräsentativ für die Bevölkerung ab 16 Jahren. Was aber hieße das für die Großstadt Berlin und die Entwicklung des Speckgürtels?

Berlins Landesregierung ist mit Brandenburg zwar im Gespräch. Doch Brandenburg möchte nicht, dass sich das Wachstum der Hauptstadt allein in dessen Umland ausbreitet. Die regionalen Zentren Brandenburgs sollen davon profitieren, so der verständliche aber auch sehr fromme Wunsch.

Es scheint, als sei die Entwicklung des Berliner Umlandes dem Zufall überlassen. Zwar weist die zuständige Senatorin auf Anfrage des Tagesspiegels darauf hin, dass sich „das kommunale Nachbarschaftsforum, ein Zusammenschluss von Brandenburger Kommunen und Berliner Bezirken, konkret um die Abstimmung der räumlichen Entwicklung im äußeren Berlin und im Umland kümmert“.

Der Wettbewerb zwischen den Metropolen wächst weltweit

Doch die vorliegende Fassung des Entwurfs des Landesentwicklungsplans Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg steht in der Kritik. Der Architekt Ulrich Springer blickt als ein von der Architektenkammer Berlin öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger mit Schaudern auf den Wildwuchs im Umland: „Einstellungen, Entscheidungen und Rahmenbedingungen müssen sich in beiden Ländern grundlegend ändern, um eine gemeinsame Landesplanung auf das Niveau der Probleme und Möglichkeiten in der Metropolregion zu heben“, schreibt der Diplom-Ingenieur unter der Überschrift „Ziellos zur Sechs-Millionen-Metropole“ in der Zeitschrift der Baukammer Berlin. Es gehe, so Springer weiter, „um die Kernfrage, ob sich die aus allen Fugen platzende Hauptstadt wie der Inhalt einer versehentlich umgestoßenen Kaffeetasse ins Umland ergießt oder aber dieser Wachstumsprozess sinnvoll gesteuert und strukturiert wird.“

Letzteres ist aus Berliner Sicht in doppelter Hinsicht wünschenswert. Zum einen für die Bürger, die hier leben, zum anderen für die, der gerne kommen würden – oder aus wirtschaftlichen Gründen sehr erwünscht sind.

Der Wettbewerb zwischen den Metropolen wächst weltweit. Funktionfähige Durchmischungen von Einzelhandel, Gastronomie und Kultur sind gute Argumente einer Großstadt, die Vielfältigkeit des Wohnungsangebotes vorausgesetzt. In Berlin hat man sich erst einmal darauf verständigt, das Angebot von Ferienwohnungen einzuschränken – im internationalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe und besten Kräfte nicht eben eine strategisch richtungsweisende Entscheidung in die Zukunft einer Weltstadt.

Balance also ist das Zauberwort. Tradition und Moderne, private Ruhezonen im öffentlichen Raum und urbane Lebendigkeit sollten im Einklang sein. Der kritische Blick auf das neue Quartier Heidestraße in der Europacity am Hauptbahnhof lässt angesichts der dicht an dicht gebauten Blöcke Zweifel aufkommen, ob Projekt- und Gewinnplanung an dieser zentralen Stelle der Leichtigkeit einer Metropole im Wege stehen. Eine Flaniermeile wird die Heidestraße jedenfalls nicht. Das war auch nicht so geplant. Aber wo dann?

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