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Vor allem Menschen auf dem Land fürchten die Schließung von Kliniken in ihrem Umfeld.
© dpa

Kliniken vor dem Aus: Die Finanzierung von Krankenhäusern zu sichern, wird eine Mammutaufgabe

Die Krankenhausfinanzierung zu reformieren, stellt eine große Herausforderung dar. Ein in der Pandemie erprobtes Instrument könnte helfen.

Es geht um die wohl größte gesundheitspolitische Baustelle der kommenden Legislatur. Von daher ist es nicht erstaunlich, dass der zuständige Interessensverband schon zu drängeln beginnt. „Sofort“, fordert die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) in die gerade erst gestarteten Koalitions-Sondierungen hinein, müsse eine „Bund-Länder-Zukunftskommission“ zur Krankenhauspolitik eingesetzt werden. 

Für die überfällige Reform brauche es nämlich „unverzüglich ein gemeinsames und abgestimmtes Handeln“, so Vorstandschef Gerald Gaß. Den Klinikbetreibern sitzt die Angst vor einer Entwicklung im Nacken, die sie „kalten Strukturwandel“ nennen. 

Unabhängige Studien belegten, dass die Krankenhauslandschaft schon im kommenden Jahr massiv von Klinikinsolvenzen bedroht sei, erinnert DKG-Präsident Ingo Morell. Wirtschaftsforschern zufolge sei derzeit jedes achte Krankenhaus akut gefährdet. 

Es dürfe „nicht dazu kommen, das aus wirtschaftlicher Not Krankenhäuser im Vorfeld einer echten Strukturreform schließen müssen“. Weil es dann eben womöglich auch „dringend bedarfsnotwendige“ Häuser erwische – was wiederum „weitreichende Folgen für die Menschen und ihre Gesundheitsversorgung“ haben könne.

Wo also müssten aus der Sicht der Betreiber dringend Pflöcke eingeschlagen werden? Eine zentrale Forderung lautet, die Kliniken konsequent für die ambulante Versorgung zu öffnen. Schließlich gebe es im niedergelassenen Bereich „spürbare Lücken“ bei der Versorgung, argumentiert Gaß.

Kliniken übernehmen häufig Notfallversorgung

Patienten müssten oft monatelang auf Facharzttermine warten. Und auch die Erreichbarkeit von ambulanten Notfallpraxen sei aus Sicht der Betroffenen vielfach unbefriedigend. Tatsächlich sind die Kliniken, was ambulante Notfallbehandlung betrifft, den niedergelassenen Ärzten seit langem vorneweg. 

In der Pandemie stellte die Politik die geläufige Krankenhausfinanzierung zeitweise auf den Kopf.
In der Pandemie stellte die Politik die geläufige Krankenhausfinanzierung zeitweise auf den Kopf.
© dpa

Trotz aller Bemühungen zur Patientensteuerung wie etwa der Förderung von Bereitschaftsdienstpraxen oder Terminservicestellen liegt der Anteil der in Krankenhäusern Behandelten seit 2013 konstant bei 53 Prozent. Vielfach verwiesen die Terminservicestellen auch auf die Notaufnahmen der Kliniken, da keine zeitnahen Termine bei niedergelassenen Ärzten möglich seien, heißt es in einem Projektbericht des Deutschen Krankenhausinstituts vom September 2021. 

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Ohne Unterstützung der Kliniken wäre, insbesondere in strukturschwachen Regionen, eine ambulante Regel- und Notfallversorgung nicht mehr gewährleistet. Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse könne „nur gewährleistet werden, wenn wir die Potenziale der Krankenhäuser auch flächendeckend nutzen“, so DKG-Chef Gaß.

Krankenhaus-Chefs appellieren an die Länder

Zudem gelte es, „ambulante Potenziale“ in den Kliniken selber zu heben. Manche Patienten würden dort stationär versorgt, obwohl dies auch ambulant möglich wäre und ein Klinikaufenthalt gar nicht nötig sei. Für solche Umwidmungen, die natürlich ärztlich zu definieren wären, bräuchten die Krankenhäuser ein eigenes Budget, fordert Gaß. 

Außerdem müssten für die bisherigen Fallpauschalen um „Vorhaltekomponenten“ ergänzt und das Dauerärgernis der viel zu geringen Investitionsfinanzierung beseitigt werden. Die Länder müssten ihrer Verantwortung künftig „vollumfänglich nachkommen“. 

Jede achte deutsche Klinik steht vor dem finanziellen Aus.
Jede achte deutsche Klinik steht vor dem finanziellen Aus.
© dpa

Allerdings könne sich künftig auch der Bund über Sonderprogramme – etwa unter den Überschriften Digitalisierung, Strukturwandel oder „Green Hospital“ – daran beteiligen. Doch was ist über die Pläne der Parteien bekannt? 

Strukturen finanzieren statt Fälle

Die Wahlprogramme sind hier vage, doch ein paar Ansatzpunkte lassen sich finden. Bei der FDP etwa fällt auf, wie deutlich sie den Fokus auf eine bessere „Investitionsfinanzierung“ legt. Die Grünen wünschen sich eine stärkere Rolle des Bundes bei der bisher allein von den Ländern zu verantwortenden Krankenhausplanung. 

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Zudem wollen sie die Fallpauschalen durch eine Art „Strukturfinanzierung“ ergänzt haben. In die gleiche Richtung zielt die Union. „Ziele einer bedarfsgerechten und flächendeckenden Grund- und Regelversorgung“ müssten bei Krankenhausplanung und insbesondere -finanzierung „wesentlich stärker berücksichtigt werden, gerade mit Blick auf den ländlichen Raum“, heißt es in deren Programm. 

Und die SPD stellt die Überwindung der Sektorengrenzen in den Vordergrund. Beginnen will sie dabei mit einer „stärkeren Öffnung von Krankenhäusern für ambulante, teambasierte und interdisziplinäre Formen der Versorgung“. Mit all dem ließe sich bei Koalitionsverhandlungen arbeiten – egal wer am Ende daran beteiligt sein wird.

Viel Geld für leere Betten

Dank der Pandemie sind die Sondierer jedenfalls um eine Erkenntnis reicher. Denn Corona sorgte unfreiwillig für eine Art Modellversuch zur Weiterentwicklung des umstrittenen DRG-Systems: Angesichts der Notwendigkeit, für potenzielle Corona-Patienten Kapazitäten freizuhalten, war es plötzlich selbstverständlich, die Arbeit der Kliniken nicht mehr nur über diagnosebezogene Fallpauschalen zu bezahlen. 

Während der Pandemie waren die Kliniken dazu angehalten, möglichst viele Intensivbetten zu stellen.
Während der Pandemie waren die Kliniken dazu angehalten, möglichst viele Intensivbetten zu stellen.
© imago images/Max Stein

Quasi über Nacht wurde eine Freihalte- oder Leere-Betten-Prämie erfunden. Von ihr profitierten Kliniken, die in der Pandemie viele Covid-Patienten versorgten. Fast noch größeren Nutzen aber zogen Häuser daraus, die ihre Betten in der Krise nicht füllen konnten, weil Patienten die Notaufnahmen mieden oder planbare Behandlungen verschoben. 

Erstmals erhielten Kliniken also sehr viel Geld dafür, dass sie Versorgungsmöglichkeiten lediglich bereitstellen – und nicht für erbrachte Leistungen. Viele meinen im Nachhinein, es war sogar zu viel Geld. 

Kliniken verdienten sich eine goldene Nase an freien Abteilungen

Allerdings lege die Politik zumindest eine Lernkurve hin: Ein von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) berufener Beirat sorgte nämlich dafür, dass die zunächst einheitliche Bettenprämie nach einigen Monaten je nach der Art des Krankenhauses gestaffelt wurde.

Schließlich hatte sich gezeigt, dass Häuser der Maximalversorgung ihre Vorhaltekosten mit der Einheitsprämie nicht decken konnten, während kleine Grundversorger Profite machten. So sehr, dass einzelne Häuser Abteilungen künstlich leer räumten, weil sie mit den Prämien mehr verdienen konnten als mit Behandeln.

Besonders Pflegekräfte litten auf dem Höhepunkt der Pandemie unter teils enormen Belastungen.
Besonders Pflegekräfte litten auf dem Höhepunkt der Pandemie unter teils enormen Belastungen.
© Tagesspiegel/Stefan Weger

Solche Erfahrungen waren insofern auch ein Lehrstück über Fehlanreize. Der Spitzenverband der gesetzlichen Kassen fordert nun, dass die Finanzierung von Vorhaltekosten nicht dazu führen darf, überflüssige Kliniken zu sichern. 

Noch keine Mehrheit für neues Finanzierungsmodell

Bei der Frage, wie das gehen kann, kommen Ideen von FDP und Grüne ins Spiel: Der Bund müsste dann, wie die Grünen fordern, bei der Krankenhausplanung mitreden dürfen. Und die Länder müssten, wie die Liberalen verlangen, ihren Finanzverpflichtungen für die von ihnen geplanten Kliniken nachkommen.

Die Erfolgschancen eines entsprechenden Schulterschlusses sind jedoch klein. Bisher haben die Länder noch jeden Versuch, sie für ihre Krankenhauspolitik finanziell in Verantwortung zu nehmen, im Bundesrat zu Fall gebracht.

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