Besser versorgt durch weniger Krankenhäuser: Experten fordern Schließung vieler Kliniken
„Ein Gebot der Patientensicherheit“: Die vielen kleinen Kliniken in Deutschland müssen verschwinden, sagen Gesundheitsexperten. 200 Betten seien das Minimum.
Der Experten-Befund klingt paradox: Mit deutlich weniger Krankenhäusern als bisher würde sich die Versorgung der Patienten in Deutschland nicht etwa verschlechtern, sondern spürbar verbessern. In einer aktuellen Studie des Berliner Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) wird deshalb eine Reduzierung auf nicht mal die Hälfte ihrer bisherigen Zahl verlangt. Viele Kliniken im Land seien schlicht zu klein und verfügten weder über die nötige Ausstattung noch die Erfahrung, um lebensbedrohliche Notfälle wie Herzinfarkt oder Schlaganfall angemessen zu behandeln.
Jedes dritte Krankenhaus hat keinen Computertomographen
Das Problem sei seit langem bekannt, sagt Projektmanager Jan Böcken von der Bertelsmann-Stiftung, die das Versorgungsgutachten in Auftrag gegeben hat. Es gebe in Deutschland zu viele und oft auch zu kleine Krankenhäuser. 57 Prozent der rund 1400 Kliniken hierzulande kämen weniger als 200 Betten, ein Drittel hat nicht mal hundert – und viele seien für Notfälle sowohl personell als auch medizintechnisch unzureichend ausgestattet. So habe im Jahr 2017 jede dritte Klinik nicht mal über einen Computertomographen (CT) verfügt, in 61 Prozent der Häuser sei keine Koronarangiographie möglich gewesen.
Weil das rarer werdende medizinische Personal auf zu viele Kliniken verteilt müsse, dauere es in kleinen Häusern oft auch sehr lange, bis Patienten Facharzt zu sehen bekämen. Die Folge seien „Defizite bei Behandlungsqualität und Patientensicherheit“. Der vermeintliche Vorteil einer guten Erreichbarkeit erweise sich als „gravierender Qualitätsnachteil“.
Fünf Millionen Patienten könnten auch ambulant behandelt werden
Dass viele Patienten am falschen Platz gewesen seien, zeige sich allein an der hohen Zahl der Verlegungen, berichtet der Experte. Im Jahr 2017 seien 770.000 Patienten nach ihrer Einlieferung in andere Krankenhäuser gebracht werden. Dabei lägen viele der kleinen, unzureichend qualifizierten Kliniken in Ballungsräumen, wo auch besser ausgestattete Kliniken gut erreichbar gewesen wären.
Doch auch die kleinen Häuser wollen zu tun haben. Aufgrund von Überkapazitäten und betriebswirtschaftlicher Zwänge würden hierzulande viele Menschen stationär behandelt, bei denen das gar nicht nötig sein, heißt es in der Studie. Nach Ansicht von führenden Krankenhauswissenschaftlern könnten fünf Millionen Klinikpatienten genauso gut ambulant behandelt oder operiert werden. Das entspräche der Fallzahl von 500 mittelgroßen Krankenhäusern, also gut einem Drittel der Gesamtkapazität aller Kliniken.
Deutlich weniger als 600 Kliniken würden reichen
Tatsächlich werden hierzulande pro Einwohner so viele Menschen stationär behandelt, wie sonst fast nirgendwo auf der Welt. 19,5 Millionen Fälle sind es pro Jahr, mit weiter steigender Tendenz. In Deutschland gibt es auch 65 Prozent mehr Krankenhausbetten pro Einwohner als im Durchschnitt der EU-Länder. Und mit der Zahl ihrer sogenannten Bettentage liegen die Deutschen sogar um 70 Prozent über dem Schnitt. Das führe „zu der paradoxen Situation, dass es in Deutschland mehr Klinikpersonal pro Einwohner gibt als in anderen Ländern, pro Patient aber weniger“, schreibt Böcken.
Muss das alles sein? Die Antwort der Experten ist eindeutig. Um alle Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitskriterien zu erfüllen, bräuchte man im Extrem gerade mal 410 Kliniken in Deutschland. Bisher sind es rund 1400 Krankenhäuser und Uni-Kliniken sowie 250 Psychiatrische Kliniken. Allerdings sei das politisch in solcher Konsequenz wohl nicht durchsetzbar. Das größte Potenzial für Klinikschließungen gebe es in den Metropolregionen, wo sich die Fahrtwege trotz Schließung etlicher Häuser kaum verlängern würden.
Wobei die Wissenschaftler eines besonders betonen: Dieser Kapazitätsabbau wäre auch aus medizinischen Gründen nötig. Eine qualitativ hochwertige Versorgung sei, so heißt es in der Studie, „nur mit deutlich weniger als 600 Krankenhäusern erreichbar“.
200 Betten pro Krankenhaus als absolutes Minimum
Im Wunschbild der Experten sähe die Krankenhaus-Landschaft der Zukunft dann so aus, dass alle Kliniken für umfassende Notfallbehandlungen von Patienten mit Herzinfarkt oder Schlaganfall gerüstet wären. Es gäbe eine Facharztbereitschaft rund um die Uhr, genügend Personal mit ausreichend Erfahrung und Routine sowie eine angemessene technische Ausstattung. Die Fachabteilungen müssten nach solcher Modellrechnung mindestens 25 Betten haben, die Kliniken selber 200 Betten „im absoluten Minimum“ – wobei deutlich größere Häuser erstrebenswert seien.
Durchgespielt haben die Experten ihr Modell einer Klinikneuordnung anhand des Großraumes Köln/Leverkusen, der sowohl von städtischen als auch ländlichen Gebieten geprägt ist. Das Ergebnis der Simulation: Die Region könnte mit 14 statt der aktuell 38 Akutkrankenhäuser eine bessere Versorgung bieten, ohne dass die Patienten im Durchschnitt viel längere Fahrzeiten in Kauf nehmen müssten. Vor allem in der Notfallversorgung und bei planbaren Operationen brächte die Bündelung von medizinischem Personal und Gerät höhere Versorgungsqualität. Das klinge zwar drastisch, sagt der Klinikexperte Uwe Preusker. Wenn man sich am internationalen Standard orientiere, brauche es aber sogar einen noch „deutlich konsequenteren Umstrukturierungsprozess“.
Geringeres Sterberisiko bei höherer Fallzahl
Dass sich das Sterberisiko in Krankenhäusern mit größerer Fallzahl verringert, ist vielfach belegt - etwa durch den AOK-Krankenhausreport von 2018. Die Autoren verwiesen hier auf eine Studie, bei der die Kliniksterblichkeit von mehr als 13 Millionen Patienten in den Jahren 2009 und 2014 untersucht wurde – und man die Kliniken dafür nach Größe in fünf Gruppen aufgeteilt hatte. Das Ergebnis: In den Häusern mit den meisten Patienten starben im Schnitt 26 Prozent weniger als in denen mit den geringsten Fallzahlen.
Beim Herzinfarkt lag der Unterschied sogar bei 31 Prozent. Statistisch signifikant waren solche Zusammenhänge bei 19 von 25 untersuchten Indikationen.
Ein Strukturwandel "ähnlich wie der Kohleausstieg"
Allerdings werde der nötige Bereinigungsprozess schwierig, prophezeit Bertelsmann-Manager Böcken. Klinikschließungen würden „in der Bevölkerung häufig als Verlust empfunden“. In den Diskussionen vor Ort gehe es „vor allem um Erreichbarkeit“. Und auch in der Krankenhausplanung der Länder habe der Qualitätsaspekt bisher „keine große Bedeutung“.
Eine weitere Konzentration der Klinikstandorte mit entsprechender Spezialisierung sei aber nicht nur betriebswirtschaftlich notwendig, „sondern vor allem ein Gebot der Patientensicherheit“. Von der Dimension her handle es sich dabei um einen „Strukturwandel ähnlich wie der Kohleausstieg, aber ungleich komplexer“. Deshalb müsse ein solcher Umbau vom Staat auch finanziell flankiert werden.