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Kliniken unter Druck. Versorgung während einer Katastrophenschutzübung im Berliner Emil-von-Behring-Krankenhaus.
© Kai-Uwe Heinrich

Leere Stationen, kaum OPs: Warum Krankenhäuser trotz Schutzschirms in finanzielle Not geraten

Eigentlich müssten sich alle freuen, dass der Shutdown wirkt und Betten leer bleiben. Doch Kliniken haben so ein Problem. Jetzt tagt der Gesundheitsausschuss.

Klamme Kliniken, wiedereröffnende Läden und protestierende Pflegekräfte – während sich Berlin auf die angekündigten Lockerungen vorbereitet, steht die Landespolitik vor heftigen Debatten. Am Montag wird sich Senatorin Dilek Kalayci (SPD) im Gesundheitsausschuss des Abgeordnetenhauses den Fragen aus Koalition und Opposition stellen. 

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Zunächst geht es um die Initiative aus den Klinikkonzernen Charité und Vivantes: Tausende Mitarbeiter fordern von Rot-Rot-Grün bessere Schutzausrüstung, 500 Euro Risikozuschlag pro Pandemiemonat und eine vorsorgeorientierte Krankenhausfinanzierung.

Als Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz möge sich Kalayci für bundeseinheitliche Boni-Regeln einsetzen, sagte Catherina Pieroth (Grüne), die Senatorin solle zudem Stellung zum Krankenhaus-Corona-Pakt nehmen, den Charité- und Vivantes-Pflegekräfte am Wochenende forderten.

Probleme trotz Krankenhaus-Schutzschirm

Ein entsprechendes Schreiben wird die Gewerkschaft Verdi in dieser Woche auch an die Senatskanzlei schicken: Das Land solle sich über den Bundesrat für einen Stopp der oft knapp kalkulierten Fallpauschalen in der Klinikfinanzierung einsetzen, dem sogenannten DRG-System.

Auch die Krankenhausleiter diskutieren darüber, wie sie die Coronakrise überstehen. Zwar gilt der von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angekündigte Schutzschirm als umfangreich: Für jedes für Covid-19-Fälle frei gehaltene Bett gibt es 560 Euro pro Tag sowie einmalig 50.000 Euro für jeden neuen Intensivplatz. 

Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) wird diesen Montag von Abgeordneten aus Opposition und rot-rot-grüner Koalition befragt.
Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) wird diesen Montag von Abgeordneten aus Opposition und rot-rot-grüner Koalition befragt.
© Kay Nietfeld/dpa

Ungewiss ist aber, ob der Schutzschirm die Millionenverluste durch das eingebrochene Alltagsgeschäft ausgleicht. Denn in Deutschland werden Kliniken anders als Schulen und Feuerwehr pro Einsatz bezahlt.

10.000 Krankenbetten in Berlin stehen leer

Derzeit aber sind fast 50 Prozent der 20.000 Krankenbetten in Berlin leer, planbare Eingriffe wurden für potenzielle Covid-19-Fälle verschoben. Zudem fehlen die zahlungskräftigen Gesundheitstouristen. 

„Die Krankenhäuser können sich in den kommenden Wochen nur dann konsequent auf die Situation konzentrieren, wenn sie die Sicherheit haben, dass die ergriffenen Maßnahmen nicht zu Liquiditätsengpässen führen“, sagte Marc Schreiner von der Berliner Krankenhausgesellschaft. Eines der Probleme sei „die fehlende Berücksichtigung“ der ambulanten Fälle. Damit sind Patienten gemeint, die eigentlich in Praxen versorgt werden müssten.

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Zwar haben die Kliniken nach Tagesspiegel-Informationen im Durchschnitt 20 Prozent weniger ambulante Fälle – schon weil es weniger Unfälle gibt. Allerdings führte Klinikpersonal in diesen Wochen massenhaft Coronatests und Beratungen durch, obwohl dafür eigentlich Praxen und Gesundheitsämter zuständig sind. Kliniken, die ja viel Fachpersonal bezahlen, erhalten von den Krankenkassen für solche Patienten aber kaum mehr Geld als kleine Hausarztpraxen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagt, ab Mai sollten Kliniken sukzessive den Regelbetrieb aufnehmen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagt, ab Mai sollten Kliniken sukzessive den Regelbetrieb aufnehmen.
© John MacDougall/Pool via REUTERS

Uwe Alschner vom Verband der kommunalen Krankenhäuser IVKK, der viele Kliniken im Umland vertritt, spricht von „stellenweise eklatantem Versagen“ der Kassenärztlichen Vereinigungen: Diese sind per Gesetz für die ambulante Versorgung zuständig. 

Die Krise zeige zudem, sagte IVKK-Geschäftsführer Alschner, dass das „Experiment, Krankenhäuser wie kommerzielle Profit-Center zu betreiben“, abgebrochen werden müsse: „Daseinsvorsorge ist kein marktfähiges Produkt!“

Kliniken leben von Hüft-OPs

Alschner spielt auf das DRG-System an. Damit sind jene Fallpauschalen gemeint, mit denen die Kliniken seit 2004 vergütet werden. Gleichermaßen erhalten landeseigene, kirchliche und private Krankenhäuser dabei von den Kassen pro Diagnose einen festen Satz – oft unabhängig davon, ob die Versorgung länger als geplant dauerte. Seitdem gibt es lukrative Hüft-OPs und unerwünschte Fälle, wie berauschte Desorientierte, die in den Rettungsstellen landen.

Krankenhäuser verdienen meist nur Geld, wenn sie mit stationären Patienten belegt sind. Auch deshalb hatte Spahn gesagt, dass die Kliniken ab Mai schrittweise „den Regelbetrieb“ aufnehmen könnten. Beliebt sind OPs, die gut vorbereitet und kostengenau kalkuliert werden, weil Chefärzte und Klinikmanager die Ressourcen dann so einsetzen können, dass sie weniger ausgeben, als sie von den Kassen erhalten.

Beispiel: Entfernung der Gallenblase beim sogenannten Steinleiden. Im DRG-System sind dafür drei Tage stationäre Behandlung für 3300 Euro vorgesehen. Weil die OP häufig ist, sind die Abläufe perfektioniert. Ohne dass ein Krankenhausleiter das bestätigt, lässt sich sagen: Arbeitet der Chirurg gut, bleiben Hunderte Euro pro Fall übrig.

Berliner Pflegekräfte fordern 500 Euro Pandemie-Risikozuschlag im Monat.
Berliner Pflegekräfte fordern 500 Euro Pandemie-Risikozuschlag im Monat.
© Marijan Murat/dpa

Die Kliniken treten auf dem Gesundheitsmarkt gegeneinander an. Politisch gewollt war vor 20 Jahren, dass die kleineren – als „Wald-und-Wiesen-Krankenhäuser“ geschmähten – Kliniken dabei insolvent gehen. Das geschah seltener als erwartet, denn die Direktoren sahen sich gezwungen, ihre Stationen für lukrative Patienten aufzurüsten. 

Berlins landeseigene Vivantes-Kliniken bauten Etagen zu Komfortstationen aus. Dort wurden Zuzahler versorgt, die oft wie im Urlaub ein Rundum-Paket buchten. Seit der Pandemie sind die Komfortstationen leer.

„Eigentlich sollten wir uns über leere Stationen freuen“

„Der Schutzschirm gibt Sicherheit; ob er für alle Kliniken ausreicht, die ja unterschiedlich spezialisiert sind, muss sich zeigen“, sagte Peter Bobbert, Landeschef der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Immerhin sei nun undenkbar, dass die Politik angeschlagene Kliniken insolvent gehen lässt. Bobbert spielt auf die Studie der Bertelsmann-Stiftung 2019 an, der zufolge 600 statt der existenten 1750 Krankenhäuser bundesweit ausreichten.

Der Chef des Gesundheitsausschusses im Abgeordnetenhaus, der frühere Vivantes-Arzt Wolfgang Albers (Linke), sagte: „Absurd ist doch: Wenn ein Krankenhaus leer ist, droht es pleitezugehen. Eigentlich sollten wir uns über leere Stationen freuen. So, wie wir uns freuen, wenn die Feuerwehr nicht ausrücken muss.“ Doch Kliniken würden über Fallpauschalen in einen Konkurrenzkampf getrieben, den langfristig nur die Häuser überlebten, die Behandlungen am billigsten anböten.

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