Bund zahlt 11,5 Milliarden Euro: Wohin fließt das Geld für leere Klinikbetten?
Bis zu 11,5 Milliarden Euro bekommen Krankenhäuser, weil sie Betten für Corona-Patienten freigehalten haben. Da fehlt Transparenz, sagen Kritiker.
Kritik gab es schon frühzeitig: Als sich Bundesregierung, Kassenverbände und Kliniken in der zweiten Märzhälfte geeinigt hatten, die Krankenhäuser durch Zusatzentgelte und eine Vorhaltepauschale für jedes frei gehaltene Bett stark zu machen für die Bewältigung der erwarteten Welle von Corona-Patienten, regte sich Widerstand.
Die Regelung sei zu pauschal, hieß es. Die auf Druck der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) vereinbarten 560 Euro für jedes im Vergleich zu den Belegungszahlen von 2019 frei gehaltene Bett werde zu teuren Mitnahmeeffekten führen, warnten etwa die Grünen. Ab dem 1. Juli wird die Pauschale nun gestaffelt – je nach ihrem Case-Mix erhalten die Kliniken seither zwischen 360 und 760 Euro pro Bett.
Rund 2,5 Milliarden Euro sollte die Bettenprämie zunächst kosten. Tatsächlich hat das Bundesamt für Soziale Sicherung bereits bis 15. Juni den für die Verteilung zuständigen Bundesländern 5,33 Milliarden Euro überwiesen. Dazu kommen 520 Millionen Euro für zusätzliche Intensivbetten. Bis Ende September, wenn die Regelung ausläuft, könnten daraus 11,5 Milliarden Euro werden. Grund genug, genau hinzusehen, wo das Geld am Ende gelandet ist, sollte man meinen.
Im Moment sieht es jedoch nicht so aus, dass es dazu kommen wird. In den meisten Bundesländern ist keine Evaluation geplant. Auch eine Herausgabe der Daten an die für die Klinikvergütungen zuständigen Landesverbände der Krankenkassen ist nicht vorgesehen. In der dazu mit dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) geschlossenen Vereinbarung ist nur geregelt, dass die Länder die Daten herausgeben dürfen, aber nicht müssen.
Länder können nicht beziffern, wie Gelder verteilt werden
Auf die Frage etwa, was Nordrhein-Westfalen über die Verwendung der bisher an die Kliniken des Landes verteilten 1,3 Milliarden Euro wisse, teilte ein Sprecher von Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) mit: „Hierzu haben wir keine Erkenntnisse.“ Das Ministerium achte lediglich darauf, dass die Vorgaben eingehalten werden. „Eine differenzierte Betrachtung der Zahlungsempfänger ist bisher nicht vorgesehen.“
Auch eine Weiterleitung der Daten an die Kassenverbände ist nicht geplant. Das Gleiche in Bayern. Dort prüft die Landesregierung, ob eine Herausgabe datenschutzrechtlich überhaupt möglich ist. Allein Thüringen gehe bislang mit den Daten transparent um, heißt es.
Ein Unding, findet Sigrid König, Vorstandsmitglied des BKK-Landesverbands Bayern. „Wir haben bewiesen, dass das deutsche Gesundheitswesen kurzfristig und flexibel Kapazitäten anpassen kann“, sagt sie. Dabei werde mit der Gießkanne unterstützt. „Es mangelt an Transparenz, die schnellstmöglich hergestellt werden muss.“ Sonst bestehe die Gefahr, „dass über die Corona-Hilfe bestehende strukturelle Defizite zementiert werden“, kritisiert sie.
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Strukturelle Defizite sind in Bayern und Nordrhein-Westfalen besonders groß, denn nirgends in Deutschland ist die Kliniklandschaft so zerklüftet und dominiert von kleinen Häusern wie in diesen Bundesländern. Von Dirk Janssen, stellvertretender Vorstand des BKK-Verbands Nord-West, kommt daher die gleiche Kritik: „Bei der Entscheidung, eine Freihaltepauschale für alle Krankenhäuser auszuloben, hatte die Politik die schrecklichen Bilder aus Italien vor Augen“, sagt er. „Jetzt zeigt sich aber, dass so starke Fehlanreize gesetzt werden.“
So seien psychiatrische Einrichtungen genauso begünstigt wie Reha-Einrichtungen oder ländliche Krankenhäuser, „die für die Behandlung schwer erkrankter Covid-19-Patienten gar nicht oder wenig geeignet sind“.
Für manche Häuser war es günstiger, keine Leistungen zu erbringen
Dies habe dazu geführt, dass es für etliche ökonomisch schwach aufgestellte Krankenhäuser günstiger war, gar keine Leistungen zu erbringen, als Patienten zu versorgen. Die Subvention fließe inzwischen auch für Betten, die leer geblieben seien, weil Patienten von sich aus Behandlungen vermieden oder verschoben hätten.
„Im Blick auf die notwendige Form der Krankenhausstruktur wäre es deshalb gut, zu untersuchen, in welchem Umfang die Vorhaltepauschalen überhaupt ihren Zweck erfüllt haben, Behandlungskapazitäten für Corona-Kranke zur Verfügung zu stellen“, findet Janssen.
Eigentlich sei das Aufgabe der Landesregierungen, sagt er. „Was auf jeden Fall nicht geht, ist, dass die Landesregierungen einerseits auf eine solche Evaluation verzichten, zugleich aber nicht bereit sind, die Daten an uns weiterzugeben, damit wir diese Aufgabe erledigen können.“
Janssen lobt ebenso wie König, dass inzwischen kleine Kliniken weniger Geld erhalten. „Gut ist das vor allem für die Patienten. Denn wir wissen, dass etliche Corona-Kranke in kleinen Krankenhäusern gelandet sind, deren ärztliches Personal nicht über die Expertise für die Intensivbehandlung und Beatmung schwer Erkrankter verfügt.“ Auch das müsse mit Blick auf eine mögliche zweite Welle aufgearbeitet werden.
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Eine Konsequenz aus den jetzigen Erfahrungen muss nach Janssens Ansicht sein, die Krankenhausplanung so auszurichten, dass in Häusern der Spitzenversorgung oder in Spezialkliniken genügend Kapazitäten für den Pandemiefall konzentriert zur Verfügung stehen. Dabei könne eine Evaluierung des „Subventionsprogramms für leere Betten“ helfen, meint auch Reinhard Brücker, Chef der BKK Viaktiv. „Wir dürfen uns nicht scheuen, die Mitnahmeeffekte öffentlich zu machen. Wenn so viel staatliches Geld bewegt wird, muss auch geprüft werden, wozu es am Ende verwendet wurde“, sagt er.
Selbst ein Haus, das geschlossen werden soll, erhält womöglich Geld
Dabei räumt Brücker ein, dass die ab Juli auf 360 Euro reduzierte Vorhaltepauschale für das von der Viaktiv betriebene Geriatrische Hütten-Hospital in Dortmund immer noch auskömmlich sei. Richtig abenteuerlich werde es aber, wenn die „Staatsknete für Corona dazu führt, dass ein Haus wie das von Helios betriebene St. Josef-Hospital in Bochum-Linden Geld für leere Betten kriegt“.
Bereits im Februar sei beschlossen worden, das Allgemeinkrankenhaus Ende September zu schließen. „In der Folge wurde dort bereits tüchtig Personal abgebaut.“
Inzwischen hat auch die Opposition im Bundestag das Problem in den Blick genommen. „Die Geheimniskrämerei ist nicht nachvollziehbar“, sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Maria Klein-Schmeink. Wenn man die Wirkungen dieser Regelungen evaluieren wolle, müsse auch bekannt sein, wie sich die Zahlungen in den jeweiligen Krankenhäusern auswirkten. „Jens Spahn muss hier unbedingt gesetzlich nachsteuern und die Länder verpflichten, diese Zahlen offenzulegen.“
Die Grünen wollen nun mit einer schriftlichen Frage an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Druck erhöhen. Sie ist eine doppelte und lautet: „Beabsichtigt die Bundesregierung eine gesetzliche Pflicht zur Offenlegung der krankenhausindividuellen Ausgleichszahlungen? Und wenn nein, aus welchen Gründen hält die Bundesregierung eine solche Transparenzregelung für nicht notwendig?“
Peter Thelen
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