Münzlos glücklich: Brauchen wir noch Bargeld?
Die Bundesregierung will Bargeld-Zahlungen begrenzen. Das belebt die Debatte: Sollten wir aufs Bargeld nicht ganz verzichten? Experten sind zerstritten.
„Geld ist geprägte Freiheit.“ Das wusste schon der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski. Die meisten Deutschen dürften bei diesem Zitat zustimmend nicken: In fast 80 Prozent der Fälle zahlen sie noch immer mit Scheinen oder Münzen – nicht mit Karte. Entsprechend skeptisch reagieren die Deutschen nun auf den Vorstoß der Bundesregierung, ein Bargeldlimit einführen zu wollen. Ist das schon der Anfang vom Ende des Bargelds? Zwar bemühte man sich am Mittwoch im Bundesfinanzministerium zu betonen, dass man grundsätzlich am Bargeld festhalten wolle. Doch ganz abwegig ist ein Ende der Münzen und Scheine nicht. Länder wie Schweden und Dänemark sind längst auf dem Weg in eine bargeldlose Zukunft. Und auch in Deutschland führen Ökonomen und Banker eine Debatte über den Sinn und Unsinn von Bargeld.
Ein bekennender Gegner von Scheinen und Münzen ist der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Im vergangenen Jahr löste er deutschlandweit Empörung aus, als er sagte, Bargeld sei ein Anachronismus – also längst überholt. Sein Hauptargument: Ohne Scheine und Münzen wäre Schwarzarbeit kaum möglich. Wer eine Putzfrau schwarz beschäftigt, könnte sie dann höchstens in Naturalien bezahlen.
Auch Deutsche-Bank-Chef Cryan will das Bargeld abschaffen
Unterstützung bekommt er vom Chef der Deutschen Bank. Beim Weltwirtschaftsforum stellte John Cryan kürzlich die These auf, Bargeld werde in den nächsten zehn Jahren komplett verschwinden. „Cash ist fürchterlich teuer und ineffizient“, sagte Cryan. Aus dem Mund eines Bankers klingt das überraschend. Dahinter steht jedoch ein klares Eigeninteresse. Denn die Banken würden in einer Welt ohne Bargeld zu den Gewinnern zählen. So könnten sie durchsetzen, was bislang als undenkbar gilt: ein Negativzins aufs Ersparte. Noch trauen sich die deutschen Institute da nicht ran. Nur Firmenkunden zahlen bereits drauf, wenn sie große Summen auf dem Konto liegen haben. Privatleute hingegen, so die Angst der Banker, könnten ihr Geld abheben, wenn sie für die Verwahrung zahlen sollen. Die Abschaffung des Bargelds wäre eine Lösung: Ohne Scheine und Münzen könnten die Verbraucher sich den Negativzinsen nicht mehr entziehen.
Aus diesem Grund spricht sich der Ökonom Hans-Werner Sinn vehement gegen die Abschaffung von Münzen und Scheinen aus. „Solange es Bargeld gibt, kann man sich vor einer solchen Ausbeutung schützen“, sagt er. Heute könne man sein Geld im Zweifel noch unters Kopfkissen stecken. Auch in der Bundesbank hält man von einer Abschaffung des Bargelds wenig. Die Menschen sollten selbst entscheiden, ob sie mit Scheinen und Münzen zahlen, meint Bundesbank-Präsident Jens Weidmann.
In Kleve trennen Händler sich von den Ein- und Zwei-Cent-Stücken
Entsprechend interessiert dürfte er beobachten, was gerade im nordrhein-westfälischen Kleve passiert. Dort wagt die örtliche Händlergemeinschaft ein Experiment: Sie verzichtet auf Ein- und ZweiCent-Stücke. Es ist ein kleiner Ausstieg aus dem Bargeld. Die kupferfarbenen Centstücke sind den Händlern in Kleve lästig geworden. Weil die wenigsten Deutschen sie an der Kasse herauskramen, verschwindet ein Großteil in Hosentaschen und Sparschweinen. Um dennoch genug Wechselgeld parat zu haben, müssen die Händler regelmäßig für Nachschub sorgen. Doch eine Rolle mit 50 Centstücken kostet 30 bis 50 Cent, die die Banken auf den reinen Wert der Münzen draufschlagen. Schließlich müssen die Institute die Münzen beschaffen, prüfen und rollen – ein Aufwand, den sie sich bezahlen lassen.
Weil die Händler nun nicht mehr mitmachen wollen, sortieren sie die Ein- und Zwei-Cent-Stücke einfach aus und runden die Preise. „Am Ende machen wir es allen leichter“, sagt Christof Dammers, der in Kleve ein Sportgeschäft leitet. Der Kunde hat weniger Münzen im Geldbeutel – die Händler sparen sich die Gebühren für die Geldrollen. Abgeschaut haben sich die Klever das in den Niederlanden. Dort rundet man schon seit Jahren die Preise auf null oder fünf Cent auf, um die Kleinstmünzen zu verbannen.
Schweden setzt aufs bargeldlose Bezahlen
Und das ist noch harmlos. Andere Länder gehen deutlich weiter. Schweden trennt sich nach und nach vollständig vom Bargeld. Die Skandinavier haben Lösungen gefunden, wie man selbst an den abwegigsten Orten bargeldlos zahlen kann. So tragen die Verkäufer der Obdachlosenzeitung in Schweden Kartenlesegeräte bei sich. Die Kollekte in der Kirche spendet man per Kreditkarte.
Allerdings ist fraglich, ob das ein Vorbild für Deutschland sein kann. Die Bundesbürger lieben ihre Scheine und Münzen. Ein Drittel der Bundesbürger nutzt sogar ausschließlich Bargeld. In einer Umfrage auf tagesspiegel.de sprachen sich kürzlich 90 Prozent der Leser gegen die Abschaffung des Bargelds aus. Hinzu kommt, dass es hierzulande bislang auch gar nicht die nötige Infrastruktur gibt, um auf Scheine und Münzen zu verzichten. Gerade kleine Beträge können die Deutschen meist nur bar bezahlen. Ob der Bäcker, der Zeitungskiosk oder der Dönerladen: Viele kleine Händler besitzen kein Kartenlesegerät, weil die Nutzung ihnen zu teuer ist – und sie anders als große Ketten gegen die Kartenindustrie nicht ankommen. Auch für Händler bedeutet Bargeld daher vor allem eins: Freiheit.
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