Selbstversuch mit Plastikkarten: Zwei Wochen ohne Bargeld in Berlin
Ökonomen schlagen vor, das Bargeld abzuschaffen. Doch kommt man überhaupt ohne Scheine und Münzen aus? Gerade in Berlin? Unsere Autorin hat das zwei Wochen lang ausprobiert.
Auf einmal ist das Portemonnaie ganz leicht. Scheine und Münzen habe ich aussortiert. Übrig bleibt nur Plastikgeld: Giro- und Kreditkarte. Zwei Wochen lang will ich testen, was uns der Wirtschaftsweise Peter Bofinger empfiehlt: ein Leben ohne Bargeld.
Ich mache es also ähnlich wie Björn Ulvaeus. Der Abba-Sänger hat gleich ein ganzes Jahr lang auf Scheine und Münzen verzichtet. Und er schreibt, das habe problemlos funktioniert. Einzig die Münze für den Einkaufswagen habe ihm gefehlt. Was ihm ein Jahr lang gelang, sollte ich doch zwei Wochen schaffen. Doch so einfach ist das nicht.
Deutschland bleibt die Republik der Barzahler
Der entscheidende Unterschied zwischen Ulvaeus und mir: Er lebt in Stockholm, ich in Berlin. Während die Schweden bereits fast ausschließlich mit Karte zahlen, bleibt Deutschland die Republik der Barzahler. Laut Bundesbank bezahlen wir Deutschen noch immer 80 Prozent unserer Einkäufe in Scheinen und Münzen. Und der Praxistest zeigt: Häufig können wir gar nicht anders.
So bin ich dann auch bereits wenige Stunden nach Beginn des Experiments zum ersten Mal versucht, aufzugeben. Beim Mittagessen kann ich noch tricksen: In der Kantine zahle ich per Mitarbeiterkarte, die ich morgens mit meinem letzten Bargeld aufgeladen habe. Doch am Nachmittag stehe ich vorm Süßigkeitenautomaten, und der nimmt nur Münzen. Ohne Kleingeld keine Schokolade. Noch kann ich widerstehen.
Im Kiez ist man ohne Bargeld aufgeschmissen
Doch der Automat ist erst der Anfang. In den nächsten Tagen stelle ich fest: In meinem Kiez in Neukölln bin ich ohne Münzen und Scheine aufgeschmissen. Der Bäcker, der Späti, der Zeitungskiosk, der Dönerladen, die Eisdiele, das Café und die Bar nebenan: Nirgendwo gibt es ein Kartenlesegerät. „Das lohnt sich für uns nicht“, sagt die Verkäuferin im Kiosk. „Dafür sind wir zu klein“, heißt es beim Bäcker.
Fast freue ich mich, als ich auf dem Weg zur Arbeit sehe, dass der Kiosk am U-Bahnhof Möckernbrücke Kartenzahlung akzeptiert. Darauf weisen zumindest Aufkleber im Fenster hin. Ich kaufe also ein Brötchen und zücke die Karte – doch die Verkäuferin schüttelt den Kopf. Als ich auf die Schilder im Fenster verweise, erklärt sie: Brötchen könne man erst ab einem Wert von fünf Euro mit Karte bezahlen, Tabakwaren erst ab zehn Euro.
Wie kann es sein, dass noch immer so viele Händler Kartenzahlung nur eingeschränkt oder gar nicht akzeptieren? Und das in einer entwickelten, modernen Volkswirtschaft wie Deutschland? Ich bin 1985 geboren: An die Zeit ohne Geldkarte kann ich mich nicht erinnern. Noch vor meiner Einschulung hat die Kreditwirtschaft die Kartenlesegeräte in den Einzelhandel gebracht. Einen Eurocheque, den Vorläufer der EC-Karte, habe ich nie unterschrieben. Und trotzdem schaffe ich es heute nicht einmal zwei Wochen, ohne Bargeld auszukommen. Auch wenn wir Deutschen auf Scheine und Münzen nicht verzichten wollen, sollten wir doch die Wahl haben, wie wir bezahlen.
Für Kleinhändler ist das Kartensystem teuer
Aus Kundensicht sei das verständlich, meint Ulrich Binnebößel vom Handelsverband HDE. Doch kleine Händler könnten sich das Kartensystem schlichtweg nicht leisten. „Wenn Sie beim Bäcker ein Brötchen für 19 Cent per Karte bezahlen, kostet ihn das mindestens fünf Cent“, sagt Binnebößel. Von seinem ohnehin geringen Gewinn bliebe dem Bäcker dann nichts mehr übrig. Weil neben den Transaktionsgebühren auch noch Kosten für die Geräte und die Leitung anfallen, bieten kleine Händler die Kartenzahlung erst gar nicht an.
Immerhin: Geht es nach dem Bundeskartellamt und der EU-Kommission, soll sich das bald ändern. Beide Institutionen haben Schritte unternommen, um das Bezahlen per Karte für den Handel günstiger zu machen. So sollen Einzelhändler die Gebühren künftig leichter mit den Banken aushandeln können. Helfen dürfte das nach Meinung des Handelsverbands allerdings vor allem den großen Konzernen. Der Kioskbesitzer von nebenan sei dagegen darauf angewiesen, dass sein Dienstleister günstige Bedingungen für ihn verhandelt – und ob der daran ein Interesse hat, ist fraglich.
Bald sollen wir flächendeckend mit Smartphone zahlen können
In Deutschland dürfte es daher noch dauern, bis man an jeder Ecke mit Karte zahlen kann. Und das, obwohl Experten wie Carl-Ludwig Thiele, Mitglied im Vorstand der Bundesbank, sagen: „Die Zukunft des Bezahlens ist bunt und vielfältig.“ Bald sollen wir zum Beispiel flächendeckend mit unserem Smartphone zahlen können. Fragt sich nur, ob sich diese Bezahlmethode schneller und weiter verbreitet als die Kartenzahlung.
In den zwei Wochen, in denen ich auf Bargeld verzichte, sind die Supermärkte meine Rettung. Sie können es sich gar nicht leisten, keine Kartenzahlung zu akzeptieren. In allen Filialen größerer Ketten kann ich ohne Ausnahme mit Karte zahlen – selbst wenn ich nur ein Tetrapak Milch kaufe. Bei Penny wird mir sogar angeboten, beim Bezahlen mit Karte gleich noch Bargeld abzuheben – ein nettes Angebot, nur kann ich damit gerade nichts anfangen. Weitere Orte, die ich schätzen lerne, weil die Kartenzahlung stets möglich ist, sind Tankstellen, Apotheken und Drogeriemärkte.
Auch Touristen kommen in Berlin nicht ohne Bargeld aus
Dagegen scheitere ich an vielen Orten, an denen ich es nicht erwartet hätte. Zum Beispiel dort, wo sich besonders viele Touristen tummeln. So ist beispielsweise ein Besuch auf der Bundesgartenschau ohne Bargeld schwierig. Wer mit dem Auto anreist, scheitert in Brandenburg an der Havel bereits an der Zufahrt. Zwei Euro möchte der Parkplatzwächter haben, natürlich in bar. Hat man diese Hürde dank zahlender Beifahrer genommen, geht es erst mal problemlos weiter. Den Eintritt kann man mit Karte bezahlen. Nur später geht die Klofrau ohne Trinkgeld aus. Und Eis oder Getränke sind ohne Münzen auch nicht drin.
Ähnlich ergeht es mir am nächsten Tag in der Alten Nationalgalerie. Der Eintritt für die ImEx-Ausstellung lässt sich mit Karte zahlen. Selbst im Shop schiebt mir der Verkäufer das Lesegerät hin, obwohl ich nur eine Postkarte für einen Euro kaufe. Doch für das Schließfach fehlt mir die Münze. Brauchen wir dafür in einer bargeldlosen Welt Plastikchips, oder öffnen wir auch Schließfächer bald mit dem Smartphone?
Die Rechnung teilen ist ohne Scheine und Münzen kompliziert
Das Ticket fürs Freiluftkino kaufe ich vorsorglich noch von unterwegs per Handy. Das Geld wird per Paypal von meinem Konto abgebucht. Und wie sich später herausstellt, bin ich nicht die Einzige, die auf diese Idee gekommen ist. Am Eingang soll man zwei Schlangen bilden. Eine für Barzahler mit Abreißticket – eine für Handybucher, die als Bestätigung eine Nummer per SMS bekommen haben. Und was soll ich sagen? Die Barzahler sind an diesem Abend klar im Vorteil. Ihre Schlange am Eingang ist halb so lang, sie kommen schneller rein.
Das Frühstück am Sonntag in einem Café in Neukölln kann ich mit Karte bezahlen – auch wenn ich der Bedienung dafür hinter die Theke folgen muss. Nur die Rechnung teilen wird schwierig. Zwar haben Start-ups dieses Problem längst gelöst und bieten Dienste an, mit denen man Freunden schnell mal eben ein paar Euro per SMS überweisen kann. Nur: Noch hat niemand aus meinem Freundeskreis eine solche App auf seinem Smartphone oder ist bereit, sie herunterzuladen. Da bleibt nur der klassische Weg: Ich zahle den Gesamtbetrag mit Karte und sammle von den anderen Scheinen und Münzen ein.
So kommt es, dass ich am Ende der zwei Wochen mehr als 200 Euro bar im Portemonnaie habe, deutlich mehr als normalerweise. Und das, obwohl ich doch eigentlich auf Bargeld verzichten wollte.
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