Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts: Warum Fußballklubs bald womöglich Polizeikosten mittragen
Vereine könnten künftig für Polizeikosten belangt werden. Was bedeutet das und wie geht es weiter? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Urteil.
Es ist prinzipiell zulässig, der Deutschen Fußball-Liga (DFL) Mehrkosten für Polizeieinsätze aufzubürden, die bei Spielen mit hohem Risiko für Ausschreitungen oder Krawalle entstehen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am Freitag entschieden. Gleichzeitig wies es den Fall zur Klärung noch offener Fragen an das Oberverwaltungsgericht Bremen zurück.
Worum geht es in dem Streit?
Das Land Bremen hatte der DFL für ein Bundesliga-Spiel zwischen Werder und dem Hamburger SV im April 2015 einen Gebührenbescheid in Höhe von rund 426.000 Euro für besondere Polizeikosten zugestellt. Grundlage dafür war eine Vorschrift, wonach Veranstalter gewinnorientierter Großveranstaltungen unter bestimmten Umständen Gebühren zahlen müssen. Dies laut Gesetz aber nur, wenn es „erfahrungsgemäß“ zu Gewalthandlungen im räumlichen Zusammenhang mit der Veranstaltung kommen kann und dadurch der Einsatz „zusätzlicher Polizeikräfte vorhersehbar erforderlich wird“. Es geht auch nur um die Kosten für den Mehraufwand. Die Kosten für die Polizei bei „normalen“ Veranstaltungen ohne besondere Sicherheitsrisiken trägt das Land weiterhin allein, mithin also der Steuerzahler.
Gegen den Bescheid des Landes hatte die DFL geklagt und in erster Instanz vor dem Bremer Verwaltungsgericht gewonnen. Das Oberverwaltungsgericht in Bremen entschied danach im Sinne der Freien Hansestadt.
Wie hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden?
Die höchsten Verwaltungsrichter in Leipzig haben den Rechtsstreit zwar an die Vorinstanz zurückverwiesen, gleichzeitig aber klare Aussagen zur Vereinbarkeit des Bremer Gesetzes mit dem Bundesrecht gemacht. Demnach ist es zulässig, die Kosten für den Mehraufwand der DFL aufzuerlegen. Denn dieser Mehraufwand entstehe gerade aus Anlass einer „kommerziellen Hochrisiko-Veranstaltung“. Dieser zusätzliche Aufwand dürfe dem Veranstalter zugerechnet werden, da dieser für den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung auf die zusätzlichen Kräfte angewiesen sei. Der Veranstalter werde damit nicht etwa als Veranlasser einer Störung der öffentlichen Sicherheit in Anspruch genommen, sondern als Nutznießer einer besonders aufwendigen polizeilichen Sicherheitsvorsorge. Für ihn gebe es einen „Sondervorteil durch die Risikominimierung“, stellte der Vorsitzende Richter Wolfgang Bier bei der Urteilsverkündung klar.
Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) fühlte sich in seiner Auffassung bestätigt: „Ich glaube, das Bundesverwaltungsgericht hat mit der heutigen Entscheidung Rechtsgeschichte geschrieben.“
Warum hatte sich die DFL gewehrt?
Die DFL argumentierte, die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit sei eine „staatliche Kernaufgabe“. „Der Fußball ist nicht der Veranlasser von Gewalt, und der Staat ist zuständig für die Wahrnehmung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“, hatte DFL-Präsident Reinhard Rauball diese Woche vor Beginn der Verhandlung gesagt. Dabei dürfe es keine Rolle spielen, wie reich die Liga ist. Zudem hält sich die DFL für den falschen Adressaten des Gebührenbescheids: Zuständig seien – wenn überhaupt – die Vereine selbst.
Zudem hält die Liga die Kosten für nicht zuverlässig kalkulierbar; das Bremer Gesetz sei wegen seiner Unbestimmtheit verfassungswidrig. Die DFL brachte aber auch politische Argumente: Fußball habe seinen besonderen Wert im Gemeinschaftserlebnis und sei „Triebfeder für zahlreiche soziale Aktivitäten“. Entsprechend müsse die Allgemeinheit mit den Sicherheitskosten belastet werden.
Was steht für die DFL auf dem Spiel?
Im deutschen Profifußball gibt es pro Jahr etwa 50 sogenannte Hochrisikospiele, bei denen zusätzliche Polizeieinsätze nötig werden. Eine gesetzliche Definition, welche Begegnungen als Hochrisikospiele anzusehen sind, liegt nicht vor. Das Gefahrenpotenzial eines Fußballspiels wird sowohl von der Polizei als auch von den Heimklubs eingeschätzt. Auf die DFL, die als Ligaverband die Interessen der 36 Erst- und Zweitligavereine vertritt, kämen damit Mehrkosten von etwa 20 Millionen Euro pro Jahr zu. Zum Vergleich: Im Jahr 2018 lag der Umsatz der DFL bei 4,4 Milliarden Euro.
Fraglich ist, wie die DFL mit den Kosten umgehen würde, die bald auf sie zukommen könnten. Da sie sich als nicht zuständig ansieht, wäre eine Umlegung auf die jeweiligen Vereine denkbar. Das könnte jedoch gerade kleinere Klubs in ernsthafte finanzielle Nöte bringen. Die Einrichtung eines Hilfsfonds, an dem sich alle Vereine beteiligen, lehnt die DFL bislang ab.
Was bedeutet das Urteil für die Fußballvereine?
Sollten in Zukunft tatsächlich die Klubs selbst für die zusätzlichen Polizeikosten aufkommen müssen, könnte das auch den sportlichen Wettbewerb beeinflussen. Denn dann läge die Entscheidung bei den einzelnen Bundesländern, ob sie die Vereine zur Kasse bitten. „Das berührt dann schon die Frage der Chancengleichheit der Vereine, je nachdem, in welchem Bundesland sie sind“, sagte Rauball. Vor dem Urteil hatten zwar schon mehrere Innenminister der Länder betont, dass sie keine Gebühren verlangen wollten, Bremens Innenminister Mäurer vermutete jedoch bereits vor Verfahrensbeginn, dass sich die ablehnende Haltung bei einem erfolgreichen Verfahren ändern könnte. Werder Bremen hat bereits Rücklagen von etwa einer Million Euro gebildet, um im Zweifel für die Kosten aufkommen zu können, da der DFL bereits sieben Gebührenbescheide des Landes Bremen vorliegen.
Wie will sich das Land Berlin verhalten?
Innensenator Andreas Geisel (SPD) hat bereits im vergangenen Jahr verkündet, dass das Land Berlin keine Kostenbeteiligung der Berliner Profivereine plane. Man wolle erst einmal den letztendlichen Ausgang des Verfahrens abwarten. Einen Alleingang einzelner Bundesländer hält Geisel ohnehin für schwierig: „Die Möglichkeit der Kostenerstattung bei Fußballspielen macht in meinen Augen nur Sinn, wenn wir ein bundesweit einheitliches System haben.“ Und bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Für Bundesligist Hertha BSC und Zweitligist 1. FC Union dürfte also erst einmal alles beim Alten bleiben.
Wie geht es jetzt weiter?
Klärungsbedarf gibt es noch bei der Frage, ob und inwieweit bestimmte Kosten vorrangig gegenüber einzelnen Störern geltend zu machen waren. Deswegen wurde der Fall an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Dabei geht es um zahlreiche Personen, die die Polizei rund um das Spiel in Gewahrsam genommen hatte. Hierfür sei die Auslegung des Bremischen Landesrechts sowie die Feststellung von Tatsachen entscheidend. Dafür ist das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsinstanz, die nur eine Rechtskontrolle nach Bundesrecht vornimmt, nicht zuständig.
Trotzdem sind maßgebliche grundsätzliche Fragen mit dem Urteil vom Freitag geklärt, das in einigen Wochen schriftlich vorliegen soll. Der verbleibende Streit dürfte sich im Wesentlichen um die korrekte Berechnung drehen – mit Chancen, dass es für die DFL eher billiger wird. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass das OVG Bremen in seinem Urteil erneut eine Revision zulassen wird. Die DFL könnte zwar auch gegen die Nichtzulassung vorgehen – aber voraussichtlich mit wenig Aussicht auf Erfolg. Nach Ausschöpfen des Rechtswegs bliebe theoretisch noch eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe. Allerdings dürften auch hier die Erfolgsaussichten gering sein.