zum Hauptinhalt
Wow! Hertha auf Platz drei! Inzwischen ist die Mannschaft wieder ein Stück abgerutscht, aber damit war vor der Saison ganz sicher nicht zu rechnen.
© Imago/Mausolf

Lüdeckes Saisonbilanz für Hertha BSC: Sensationeller Start - aber zu wenig für Real Madrid

Der Kabarettist Frank Lüdecke ist bekennender Fan von Hertha BSC. Nach Jahren des Leidens hat er seine Mannschaft in dieser Saison in ganz anderen Gefilden erlebt. Hier zieht er sein ganz persönliches Fazit.

Im Winter erhielt ich Anrufe von Freunden, die sich lange nicht gemeldet hatten. Sie gratulierten mir und machten mir die schönsten Komplimente. Und ich fand, ich hatte das irgendwie verdient, nach all der Zeit. Was war passiert?

Erinnern wir uns: Nach einer fulminanten Hinrunde belegte Hertha BSC einen nie für möglich gehaltenen dritten Platz! Wow! Hertha war die Sensationsmannschaft der Liga! Alle sprachen von uns. Sogar bei „Sky“, wo sie immer „Hertha BSC Berlin“ sagen, war Hertha BSC Berlin die Mannschaft der Stunde. Dabei muss ich gestehen, ich hatte große Bedenken für die neue Saison. Nach Platz 15 in der vorangegangenen und einem gerade so abgewendeten Abstieg – da musste doch etwas passieren, oder?

Aber die Verantwortlichen gaben sehr bescheidene Ziele aus. Man rechne in der neuen Saison mit 40 Punkten, hieß es. Das wären fünf Punkte mehr gewesen, als in der Katastrophensaison des Vorjahres. Also irgendwas zwischen Platz zwölf und vierzehn oder so. Und das sollte das Ziel sein? Für den Klub der Hauptstadt? Mir kam das vor, wie ein Hochspringer, der vor dem Anlauf denkt: Ich bin schon zufrieden, wenn ich auf dem Weg zur Latte nicht ausrutsche. Ich dachte, wir haben doch eine florierende Theater-, Musik- und Kunstszene. Müssen wir uns fußballtechnisch wirklich am Flughafen orientieren?

Hertha war aber nicht untätig und hatte sich mit Darida, Stark und Weiser gezielt verstärkt. Insbesondere die Kombination Skjelbred-Darida hatte was. Zwei Spieler, die mehr Kilometer pro Spiel zurücklegen, als manch andere Teams zusammengerechnet.

Ach ja. Und dann war ja da noch die Personalie Ronny. Ein toller Fußballer, der Brasilianer, der bis heute leider nicht verstanden hat, dass er diesen Sport beruflich ausübt. Ich sag mal so: Sie können einen gebrauchten Fernseher, der 500 Euro wert ist, bei Ebay verkaufen. Gar kein Problem. Schwierig wird es dann, wenn Sie 1500 Euro dafür haben wollen. So was kann klappen, aber dann muss der Käufer alkoholisiert sein. Ronny hatte damals einen ungefähren Marktwert von einer Million Euro, Hertha wollte drei. Das hätte man ahnen können. Die Scheichs trinken keinen Alkohol und können (leider) auch rechnen. Und so hielten wir in der Liga zumindest schon mal einen Rekord. Wir hatten zwar nicht den höchsten Etat, aber dafür das teuerste Maskottchen der Bundesliga.

Der neue Torhüter kann sogar einen Abschlag zu seinem Mitspieler befördern

In den ersten Spielen hatte Hertha etwas Glück. Die Gegner trafen vor allem Latte und Pfosten, Hertha aber ins Tor. Am sechsten Spieltag musste Torwart Kraft verletzungsbedingt seinen Platz räumen, und der Norweger Jarstein rotierte ins Tor. Das klingt jetzt zwar gemein, aber das war ein Glücksfall. Denn Jarstein stabilisierte die Abwehr, vor allem bei hohen Bällen. Gerade bei Ecken und Freistößen hatten Hertha-Fans wiederholt gesundheitliche Probleme bekommen und riefen im Stadion auch böse Wörter.

Das änderte sich nun. Der neue Torwart war sogar in der Lage, einen Abstoß zu einem Mitspieler zu befördern und den Ball nicht nur ins Seitenaus zu knüppeln. Das war eine Neuerung. Am achten Spieltag stand Hertha nach einem 3:0 gegen Hamburg auf Platz vier! Konnte das wirklich sein? Zwei Tore erzielte Ibisevic.

Und hier muss ich jetzt Abbitte leisten.

Als Hertha BSC verkündete, man suche noch einen wendigen, schnellen Stürmer, der auch mal knipsen kann und sie dann Vedad Ibisevic präsentierten, habe ich diesen Vorgang als Ausdruck des ewig nörgelnden Journalismus für einige satirische und durchaus abschätzig gemeinte Bemerkungen genutzt.

Ich dachte: Der 31-jährige Bosnier ist weder wendig, noch schnell. Und selbst die Veteranen können sich nicht erinnern, wann er sein letztes Tor geschossen hat. Und es würde schon seinen Grund haben – da war ich sicher –, warum er keine Ablöse kostet und die Stuttgarter auch noch Teile seines Gehaltes übernehmen. Das war ähm … vorschnell geurteilt. Ibisevic spielte eine prima Saison und erzielte zehn Treffer. Und ich denke im Nachhinein, dass es wahrscheinlich seine Berechtigung hat, warum ich keinen Bundesligaklub manage, sondern ereignisbegleitend Zeilen schinden darf.

Und nun also ein dritter Platz nach der Hinrunde! Wie konnte das sein? Eine Mannschaft, die im Vorjahr noch Passquoten aufwies, wie man sie allenthalben aus der ersten Staffel der Berliner Bezirksliga kennt? Man einigte sich darauf: Der Trainer passt, die Neueinkäufe funktionieren, die Stimmung ist bestens. Und so setzte ein neuer gedanklicher Prozess ein, denn man psychologisch erklären muss.

Dazu muss man folgendes wissen: Der Berliner Fußballfan sortiert Hertha BSC – gedanklich zumindest – knapp hinter Bayern München ein. Es ist aber leider so, dass die verdammte Realität seit 30 … ach! … seit 50 Jahren diesen eigentlich gerechtfertigten Anspruch irgendwie nicht einzulösen vermag. Keine Ahnung, woran das liegt. Und nun kam die Rückrunde. Wir spielten zwar noch gegen Hannover, Darmstadt und Hoffenheim. Aber gedanklich bereiteten wir uns langsam auf Real Madrid vor. Champions League? Warum eigentlich nicht? Die Hertha-Verantwortlichen waren da etwas zurückhaltender. Und realistischer. Wie sich zeigen sollte.

Und dann kam es so wie eigentlich immer in Berlin

Die Rückrunde begann mit vier Unentschieden und einer Niederlage. Hertha blieb trotzdem Dritter, weil die anderen noch ungeschickter waren. In der gesamten Rückrunde gelangen nur noch vier Siege. Unter uns gesagt: Das ist zu wenig für Real Madrid. Leider. Nach einem desaströsen 0:5 gegen Gladbach wurde schließlich gar kein Spiel mehr gewonnen. Ich weiß auch nicht, was die blöde Realität gegen uns hat.

Na gut, mit Langkamp und Darida waren zwei sehr wichtige Spieler verletzt, aber deswegen muss man doch nicht gegen den Tabellenletzten Hannover zu Hause unentschieden spielen! Und gegen Darmstadt verlieren. Es lief nichts mehr zusammen. Und dann noch der Pokal! Wir hatten uns so prima gegen ambitionierte Zweitligisten durchgesetzt, gegen die wir sonst in der ersten oder zweiten Runde chancenlos gewesen waren. Dardai hatte sogar als Ziel das Pokalfinale ausgegeben. Und ich dachte: Der hat echt Fantasie! Es wäre sogar möglich gewesen, aber dann folgte im Halbfinale diese blutleere Vorstellung zu Hause gegen Dortmund.

Und dann kam es so, wie es eigentlich immer kommt in unserer Stadt. Die Fans diskutieren harsch, wer nun zuerst entlassen werden muss, um wieder Struktur reinzubringen. Schuld sind wieder wahlweise der desorientierte Trainer, die laschen Spieler, das unfähige Management oder das triste Stadion. Ich würde noch die Realität einbeziehen wollen. Aber die kann man nicht entlassen. Oder ob man gleich ein neues Stadion in Brandenburg baut, weil in Berlin die Mieten zu hoch sind. Also alles, wie immer.

Auf der anderen Seite, gemessen an den ursprünglichen Zielsetzungen ist ein Platz sechs oder sieben doch kein schlechtes Ergebnis! Okay, es ist jetzt nicht Real Madrid geworden und die Champions League. Aber wir können vielleicht über die Qualifikation zur Europa League auf Skenderbeu, Qarabag oder Qäbälä stoßen. Das sind auch klangvolle Namen, die Abenteuer, Ruhm und Ehre versprechen.

Und nächste Saison starten wir dann einen neuen Versuch.

Frank Lüdecke

Zur Startseite