Serie "Mein Sport und ich" (6): Nur eine kann die Primaballerina werden
Die Rhythmische Sportgymnastik verlangt dem Körper immens viel ab. Doch für unsere Autorin ist der Sport all die Zeit und Mühen wert.
Sport bedeutet Leidenschaft, harte Arbeit – und Verzicht. In unserer Serie erzählen Athleten ganz persönlich, wieviel Kraft das kostet und was sie für ihre Sportart auf sich nehmen.
Als ich mir die Olympischen Spiele 2012 in London angeschaut habe, hat es Klick gemacht. Auf einmal wusste ich, wofür ich das alles mache und mich quäle. Ich habe realisiert, dass es das größte Ziel ist, was man erreichen kann: Olympiasiegerin werden. Wenn man Rhythmische Sportgymnastik in Deutschland betreibt, muss man aber realistisch bleiben und wissen, wie schwierig das ist. In der Zeit, in der ich aktiv bin, wird es wahrscheinlich nichts werden mit einer Goldmedaille. Trotzdem könnte ich mir nicht vorstellen, irgendetwas anderes zu machen, ich bin schließlich damit aufgewachsen.
Von klein auf habe ich mich gerne bewegt und viel getanzt. Da war es naheliegend, dass ich mit vier Jahren zum Ballett gekommen bin. Im Alter von sieben stand dann ein Probetraining bei der Rhythmischen Sportgymnastik an. Erst mit sieben, muss man sagen, weil die meisten schon sehr viel früher mit dem Sport beginnen. Zunächst habe ich das auch nur auf Breitensportniveau betrieben, bis meine Trainerin eine Leistungssportklasse aufgemacht hat, zu der sie mich mitnahm. Irgendwann wurde mir klar, dass ich an den Olympiastützpunkt nach Schmiden wechseln muss, wenn ich wirklich etwas erreichen möchte.
Als ich zu Hause ausgezogen bin und aufs Internat kam, war ich gerade 16 Jahre alt. Aber andere trifft es schon mit zwölf Jahren. Am Anfang hatte ich natürlich sehr viel Heimweh und habe alles vermisst, allerdings lernt man sehr schnell, selbstständig zu werden. Großartig Zeit, um darüber nachzudenken, hat man ja eh nicht. Denn insgesamt trainiere ich rund 36 Stunden in der Woche. An einem Wochentag hat es bislang so ausgesehen, dass das erste Training zwischen sieben und neun Uhr stattfand und die Schule direkt im Anschluss war. Nach der Schule ging es dann wieder ab ins Training bis ungefähr 20 Uhr. Und dann hat man noch keine Hausaufgaben gemacht oder für eine Klausur gelernt. Aber man will nur noch ins Bett.
Komplett frei habe ich nur am Sonntag. Den Tag nutzte ich dann auch, um alle anderen Dinge im Haushalt zu erledigen. Viel Freizeit bleibt mir bei meinem Sport also nicht, und auch mein Freundeskreis besteht größtenteils aus Gymnastinnen – das ergibt sich einfach so, wenn man Leistungssport macht. Wenn man mich fragt, was mir dabei am meisten fehlt, würde ich sagen: Zeit oder Jugendzeit. Ich investiere halt viel für den Sport. Und es ist bei uns letztlich genauso wie beim Ballett: Man trainiert unglaublich viel und so lange – und am Ende kann doch nur eine die Primaballerina werden.
In Momenten, in denen es dann mal nicht so gut läuft, fragt man sich da schon, warum man damit überhaupt angefangen hat. Man muss ja auch Opfer bringen, das hat jede Gymnastin bestimmt schon erlebt. Ich hatte bisher beispielsweise zwei Ermüdungsbrüche am Fuß. Damals konnte ich erst die Weltmeisterschaft nicht mitturnen und dann die Europameisterschaft auch nicht, das war echt deprimierend.
Fußballer sind nicht so vielseitig
Aber weil ich mit viel Leidenschaft dabei bin und mich die ganzen Jahre so dafür gequält habe, kann ich natürlich nicht einfach hinschmeißen. Außerdem bekomme ich ja auch viel zurück. Nur wenige in meinem Alter sehen so viel von der Welt wie ich. Wenn internationale Wettkämpfe anstehen, fliegen wir meistens schon mittwochs los und erst am Montag wieder zurück. Oft bleibt da noch Zeit für ein bisschen Sightseeing.
Jetzt, da ich das Abitur in der Tasche habe, kann ich mich sogar noch mehr auf die Rhythmische Sportgymnastik konzentrieren. Der Plan ist, dass ich an einer Partneruni vom Olympiastützpunkt in Stuttgart Wirtschaftsinformatik studiere. Dort ist es machbar, so wenig Module wie möglich zu besuchen, um trainieren zu können. Im zweiten Semester nehme ich dann direkt ein Urlaubssemester – für den Sport.
Was mich an diesem so fasziniert? Es ist einerseits die Mischung aus tänzerischen und turnerischen Elementen. Andererseits kann man sich immer wieder etwas Neues ausdenken und kreativ sein. Das gibt es nicht in vielen Sportarten. Natürlich ist mir bewusst, dass ich damit nicht reich werde. Wir müssen immer etwas nebenbei machen, um über die Runden zu kommen. Im Moment erhalte ich von der Deutschen Sporthilfe 300 Euro im Monat plus individuelle Zusatzförderung. Das reicht gerade für die Miete meiner Wohnung. Dann bekomme ich noch etwas von der hessischen Sportförderung und natürlich von meinen Eltern. Großartige Sprünge sind da nicht möglich.
Es ist schade, dass wir nicht annähernd das zurückbekommen, was wir allein schon für den Trainingsaufwand kriegen müssten. In den osteuropäischen Ländern ist das ganz anders. Da interessieren sich viel mehr Leute für die Rhythmische Sportgymnastik, die Gymnastinnen sind so populär wie die Fußballer bei uns und überall im Fernsehen und in der Werbung zu sehen. Ich wette, dass unsere Fußballer nicht so vielseitig sind wie wir – und trotzdem verdienen sie so viel mehr. Aber was ist schon fair im Leben? Ich will mich auch gar nicht beschweren. Denn ich habe etwas, das ich mir von Geld nicht kaufen kann: Ich betreibe den schönsten Sport der Welt.
Aufgezeichnet von Katrin Schulze.
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