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Ich schaff es: Jan Fitschen bei der EM 2006 in Göteborg auf dem Weg zu seinem größten Erfolg.
© Kerim Okten/dpa

Serie "Mein Sport und ich" (1): Wie das Laufen mein Leben verändert hat

Wer auf höchstem Niveau laufen will, muss viele Ungewissheiten in Kauf nehmen. Doch ein einziger Moment kann alles verändern.

In unserer neuen Sommerserie „Mein Sport und ich“ berichten Athletinnen und Athleten ganz persönlich davon, was ihnen ihre Sportart bedeutet. Zum Auftakt erzählt der frühere Langstreckenläufer Jan Fitschen von seiner Liebe fürs Laufen. Der heute 42-Jährige war während seiner aktiven Karriere mehrmals Deutscher Meister über verschiedene Distanzen. 2006 gewann er in Göteborg völlig überraschend den EM-Titel über 10 000 Meter.

Laufen ist einfach. Wenn man mal das ganze Drumherum weglässt, die Ausrüstung, die Technik, dann ist Laufen das, was uns als Menschen ausmacht. Das ist meine Überzeugung. Und die Begeisterung, die in mir steckt, will ich jetzt nach dem Leistungssport auch mit anderen teilen. Denn ohne den Sport wäre mein Leben ein völlig anderes geworden. Damals hat mir jemand die Chance gegeben, jetzt möchte ich anderen diese Chance geben.

Mit dem Laufen begonnen habe ich beim „AOK Trimm Trab“. Das war so ein klassischer Lauftreff, bei dem man sich mit Mama, Papa und den Nachbarn getroffen hat und dann gemeinsam laufen gegangen ist. Ich bin in der Nähe von Osnabrück aufgewachsen und habe da erst mal Fußball und Badminton gespielt. In meiner Familie gab es eigentlich keine richtigen Sportgranaten. Deswegen bin ich noch heute super dankbar für das Angebot.

Am Anfang war das nur ein bisschen Durch-die-Gegend-Laufen. Aber dann wurde das immer mehr, und ich habe gemerkt, dass ich das ganz gut kann. Nach zwei, drei Jahren bin ich dann zu einem größeren Verein gegangen. Da hatte ich das große Glück, dass mein Trainer Wolfgang Riesinger früher selbst mal Langstreckenläufer war und auch an Olympischen Spielen teilgenommen hat. Er hat natürlich gleich gesehen: Aus dem Fitschen, dem kleinen, dünnen Hemd, da machst du keinen Mehrkämpfer, den musst du rennen lassen, das kann er.

Während des Studiums bin ich dann in Wattenscheid im Verein gewesen. Vom Aufwand her war es damals eigentlich schon Hochleistungssport. Aber dass ich Profi werden kann, habe ich erst kapiert, als ich Europameister geworden bin. Selbst wenn du zehnmal Deutscher Meister wirst, verdienst du damit nur Taschengeld. Das war wirklich dieser eine Tag, dieser eine Moment, der das alles ermöglicht hat. Das war nie in der Planung, das ist einfach passiert.

Das Tor zur Welt: Beim Berlin-Marathon 2012 kam Jan Fitschen als schnellster Europäer ins Ziel.
Das Tor zur Welt: Beim Berlin-Marathon 2012 kam Jan Fitschen als schnellster Europäer ins Ziel.
© Soeren Stache/dpa

Leichtathletik darfst du nicht machen, wenn du meinst, du könntest da Geld verdienen. Wenn du mal Leistungssport gemacht hast, weißt du einfach: Das ist genial! Auch wenn du nicht Deutscher Meister oder Olympiasieger warst. Meine ganzen Freunde von früher haben zwar kein Geld damit verdient, aber schwärmen heute noch von Trainingsläufen auf irgendwelchen Nordseeinseln und sagen, das war die beste Zeit überhaupt.

Der Europameistertitel hat mein Leben dann aber komplett umgekrempelt. Das Erlebnis hat sich auch deshalb so festgebrannt, weil ich das nie für möglich gehalten hätte. Ich war zwar oft Deutscher Meister, aber international hieß es immer: „Da brauchen wir nicht drüber reden, das kann der Fitschen nicht.“ Ich habe so oft auf die Kappe bekommen – als es dann doch funktioniert hat, war ich völlig überwältigt.

Auf die EM 2006 in Göteborg hatte ich mich mit riesigem Aufwand vorbereitet. Die Trainingslager musste ich oft genug aus eigener Tasche bezahlen. Ich war nicht in der Topförderung des Verbands, weil keiner mit einer Medaille gerechnet hat. Und wenn du dann für 2500 Euro zum Höhentraining nach Arizona fährst, kannst du beim nächsten Trainingslager kein riesiges Hotel mehr mieten, sondern musst dir mit Freunden eine Ferienwohnung teilen und da selbst kochen. Du investierst Zeit und Geld, stellst dein Studium nach hinten, machst und tust und weißt genau: Eine Erkältung, eine Verletzung – und schon ist wieder alles für die Katz. Das Problem hatte ich oft genug.

Vor dem Rennen wusste ich dann, dass ich gut spurten, aber auf dem Level nicht sehr lang ein sehr hohes Tempo durchziehen kann. Aber bei einer Meisterschaft herrschen eben andere Gesetze, da gibt es keine Tempomacher und dadurch auch oft mal Zufallstreffer. Dass das dann aber alles so funktioniert hat – unfassbar. Nach knapp 10 000 Metern auf der Zielgeraden konnte ich es gar nicht glauben. Ich dachte, das ist ein Traum, das gibt’s nicht, irgendwer veräppelt dich hier!

Nationalhymne in Unterhose

Die Siegerehrung war erst am nächsten Tag. Ich bin dann erst mal mit meinem Zimmerkollegen in Unterhose auf dem Bett rumgehüpft und habe die Nationalhymne geübt. In erster Linie machst du ja Sport für dich selbst, weil du einfach wissen willst, wo du damit landest. Aber wie viele Rückmeldungen du danach von anderen Menschen bekommst, wie vielen du da einen tollen Tag beschert hast, weil sie mitfiebern konnten – das ist unglaublich. Du denkst: Eigentlich bist du doch nur schnell im Kreis gelaufen. Für mich war das natürlich was Besonderes – aber für ganz viele andere eben auch.

Nach so einem Titel verändert sich dann die ganze Wahrnehmung total. Du hast ganz andere Möglichkeiten. Die Leute kennen dich auf einmal und hören dir zu. Auch jetzt, fast 15 Jahre später, ist das noch so. Mittlerweile finde ich es total toll, dass das eigene Wort Gewicht hat und man was bewegen kann, so wie zum Beispiel mit meiner Aktion „Laufen ist einfach“.

Mit der möchte ich dem Sport jetzt das zurückgeben, das er mir gegeben hat. 10 000 x 10 000 ist dabei das Ziel: In den kommenden Jahren will ich 10 000 Einsteiger dazu bringen, 10 000 Meter am Stück zu laufen. Ich möchte, dass mehr Menschen den Spaß beim Laufen spüren können. Und wenn dir so ein Erfolg wie mein EM-Titel dabei hilft, das zu transportieren, was dir wichtig ist – dann ist das einfach genial!

Aufgezeichnet von Leonard Brandbeck.

Jan Fitschen

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