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Durch die Deckung. Robert Maess (r.), 28, feierte als bisher größten Erfolg den WM-Titel des GBC-Verbands im Weltergewicht.
© Klaus Frevert

Serie "Mein Sport und ich" (5): Von Waschlappen und gnadenlosem Fasten

Als Boxer gewann unser Autor 22 Kämpfe – doch dafür verzichtete er auch gnadenlos. Eine Rückkehr in den Profisport ist nach wie vor möglich.

Sport bedeutet Leidenschaft, harte Arbeit – und Verzicht. In unserer Serie erzählen Athleten ganz persönlich, wie viel Kraft das kostet und was sie für ihre Sportart auf sich nehmen. Für den neuen Teil hat Louis Richter mit dem 28-jährigen Boxer Robert Maess, ehemaliger Weltmeister im Weltergewicht, gesprochen.

Ich glaube an Fügung. Als ich als junger Boxer den Trainer Detlef Kumm kennenlernte, hatten wir einen schwierigen Start – zumindest für mich. Detlef sah in mir zwar Talent, zunächst war ich ihm jedoch völlig egal. Mehrmals bin ich von Pankow aus zur Sporthalle nach Hellersdorf gefahren, um dort vor verschlossenen Türen zu stehen. Dann habe ich Detlef angerufen.

„Wer ist da? Robert? Ach ja, der. Nein, ich komme heute nicht mehr. Kannst wieder nach Hause fahren“, sagte er dann oft. Aber ich bin wieder nach Hellersdorf gefahren. Wieder und wieder und wieder. Solange, bis ich vier Runden eines Trainingskampfes gegen einen 100 Kilogramm schweren Schwergewichtsboxer überstanden habe. Ich erkämpfte mir Detlefs Respekt, er wurde mein Trainer. Mein erster und mein letzter. Unsere Beziehung basierte zwar auf dem Boxen, aber sie bedeutete mir viel mehr. Detlef wurde zu dem Vater, den ich nie hatte. Wir verstanden uns ohne zu reden, wir vertrauten uns bedingungslos.

Zehn Jahre lang war er an meiner Seite, bis er im März dieses Jahres seinen schwersten Kampf verlor und an den Folgen einer langjährigen Krebserkrankung verstarb. 24 Profi-Kämpfe bestritten wir gemeinsam, 22 gewannen wir, 20 durch K.o. 2015 errangen wir den WM-Titel des GBC-Verbands im Weltergewicht. Dass ich so etwas erreichen würde, hätte ich nie gedacht, als ich am 18. September 2008 mein erstes Boxtraining absolvierte. Ein paar Jungs aus meiner Schule, die oft fies zu mir waren und mich mobbten, luden mich damals ein. Denn sie hatten mitbekommen, wie ich dank meines Krafttrainings immer stärker wurde.

Ich weiß bis heute nicht, warum ich der Einladung folgte. Was jedoch schnell deutlich wurde, war mein Talent. Im Sparring kämpfte ich im Laufe der Zeit gegen jeden einzelnen meiner Mitschüler. Niemand von ihnen kam danach wieder. Die Liebe zum Boxsport überkam mich nach und nach. Schon als Junge bewunderte ich starke, gut gebaute Männer. Ich spürte schnell, dass auch ich in dieses Ideal passen wollte. Als ich zum ersten Mal ein paar Muskeln vorzeigen konnte, präsentierte ich die prompt per Profilfoto in einem Chatportal. Daraufhin erhielt ich die Einladung zu einem Profiboxtraining.

Im Sparringskampf bereits gegen Weltmeister

Ich sträubte mich zunächst, fuhr aber doch hin und lernte dort Detlef kennen – und seine direkte Art. Das Erste, was er zu mir sagte, war: „Du musst abnehmen. Du siehst aus wie ein Waschlappen.“ 2011 ermöglichte mir Detlef den Schritt ins Profigeschäft. Im Sparring hatte ich mich da bereits gegen Weltmeister bewiesen. Mein erster Kampf fand im dänischen Ribe statt. Nach 100 Sekunden war er vorbei, ich gewann per K.o. Was man über das Profiboxen allerdings wissen muss: Der einzelne Athlet ist ein Investment. Das klingt unromantisch, aber das ist dieses Geschäft nun mal auch.

Je mehr Kämpfe ein Boxer gewinnt, desto mehr Leute interessieren sich für ihn und organisieren mit ihrem eigenen Geld Kämpfe für ihn. Desto größer wird aber auch der Druck. Das bekam ich 2018 zu spüren. Da verlor ich einen für mich organisierten Titelkampf, der auch im Fernsehen übertragen wurde. Danach nahm die Unterstützung deutlich ab. So gnadenlos kann der Boxsport sein. Apropos gnadenlos: Den größten Verzicht musste ich in Sachen Ernährung hinnehmen. Ich esse gerne Schokolade oder andere Süßigkeiten. Das geht als Profiboxer natürlich gar nicht.

Es gab Phasen, in denen ich binnen einer Woche von über 70 Kilogramm auf 66,7 Kilogramm runter musste, um in der jeweiligen Gewichtsklasse boxen zu dürfen. Ich habe dann von Montag bis Donnerstag nichts gegessen. Gar nichts. Am Mittwoch und Donnerstag habe ich auch nichts mehr getrunken. Dann stand ich auf der Waage und sah aus, als ob ich ein paar Jahre in der Wüste gelebt hätte. Danach habe ich eine Flasche Wasser getrunken. Das hat mir noch nie so gut geschmeckt, das war unfassbar. Deshalb weiß ich, wie schön es sein kann, sich nach langem Verzicht etwas gönnen zu dürfen. Zum Beispiel dann doch mal ein wenig Schokolade.

Rückkehr ins Profiboxen weiterhin offen

Zurzeit befinde ich mich im Zwiespalt, ob ich noch einmal aktiv in das Profiboxen einsteige. Es müsste schon ein sehr gutes Angebot kommen. Ich möchte aber vor allem mit keinem anderen Trainer arbeiten. Dennoch trainiere ich weiterhin täglich. Wenn ich mir mal einen Tag freinehmen will, sitze ich zuhause und fahre geplagt vom schlechten Gewissen abends oft doch wieder in die Halle. Ich bin geistig und körperlich süchtig nach Sport. Mittlerweile trainiere ich in meiner eigenen Halle in Hellersdorf auch selbst Jugendliche und Hobby-Boxer – neben meinem erlernten Beruf als Physiotherapeut.

Oft schreibe ich an einem Trainingsplan und frage mich dabei: Wie würde Detlef es jetzt machen? Denn was er mir vor allem vermittelt hat, ist die enorme Bedeutung von Sport und guter Ernährung. Nur deshalb konnte er trotz seiner Erkrankung so lange leben. Daran glaube ich fest. Und das möchte ich weitervermitteln.

Bisher erschienen: Laufen (Jan Fitschen/26.6.), Bogenschießen (Lisa Unruh/2.7.), Turnen (Philipp Herder/12.7.), Wasserball (Melanie Friese/14.7.)

Robert Maess

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