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Schön, aber nur bedingt erfolgreich. Bei der EM im Juni in Baku enttäuschte die Gruppen-Nationalmannschaft.
© dpa

Rhythmische Sportgymnastik: Runter von der Waage

Nach drastischen Vorwürfen einer Athletin haben die Trainer der Rhythmischen Sportgymnastik im Kampf um den Ruf ihrer Sportart die Methoden verändert.

Jede Sportart hat ihre Klischees, aber in kaum einer halten sie sich so hartnäckig wie in der Rhythmischen Sportgymnastik. Ist es nicht so, dass superdürre, superjunge Athletinnen, die ihr wahres Alter auch mit noch so viel Schminke im Gesicht nicht vertuschen können, ihre Gegnerin um jeden Preis ausstechen wollen? Dass sie von ihren Müttern getrieben und von überharten Trainern gedrillt werden? Dass sie im Wettkampf elegant auftreten, der Umgangston im Training dafür umso brutaler ist?

Es ist noch gar nicht lange her, dass dieses Bild bestätigt wurde – von einer, die mittendrin war im System. Die 16 Jahre junge Gymnastin Katerina Luschik wusste sich nicht anders zu helfen, als in einem offenen Brief die Zustände im Bundesstützpunkt Schmiden bei Stuttgart anzuprangern. Von Schlägen schrieb sie, von verordnetem Hungern, wüsten Beschimpfungen und der Verabreichung verschreibungspflichtiger Medikamente. Schon im Mai hatte ihre Mutter deswegen Anzeige gegen die Teamchefin und Bundestrainerin der Gruppen-Nationalmannschaft erstattet. Das Verfahren läuft.

Mit Hinweis darauf wollen sie sich in Schmiden, dem Leistungszentrum der Rhythmischen Sportgymnastik, nicht zu den Vorfällen äußern. Dass sie seither aber alles infrage gestellt und vieles verändert haben, spricht für sich. Michael Breuning nennt die Veränderungen eine „Optimierung des trainingspädagogischen Konzepts“. Ihm wurde im Sommer die leidige Aufgabe angetragen, zu prüfen, was geleistet werden und wie die Sportart besser dastehen könne. Ein Jahr vor der Heim-WM in Stuttgart. „Über allem steht für uns das Schlagwort humaner Leistungssport“, sagt Breuning nun.

"Ich bin der Boss. Ihr seid nichts"

Was Katerina Luschik beschrieb, hatte nicht viel zu tun mit einem sozialverträglichen Sportlerleben. „Du bist fett, hast einen dicken Arsch... wie ein Mammut. Du hast ganz Deutschland blamiert“, sollen die Trainerinnen ihr an den Kopf geworfen haben, und das wären noch die harmlosen Ausdrücke gewesen. Luschik wog damals 46 Kilogramm. Man habe sie nicht frühstücken lassen, ihr ins Gesicht geschlagen und einfach so Antibiotika verabreicht, als sie sich krank fühlte. Die Attitüde der Trainerinnen umschrieb sie so: „Ich bin der Boss, ihr seid nichts.“ Am Ende ihres Briefes wirkte sie komplett verstört: „Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass es solche Zustände im deutschen Spitzensport gibt.“

Die anderen Gymnastinnen bestätigten die Vorwürfe nicht. Dass es mitunter etwas rauer zugehe im Team, war aber auch für Außenstehende kaum zu überhören. Als die Nationalmannschaftsgruppe bei der EM im Juni in Baku zum Beispiel nicht die Leistung zeigte, die sich Karina Pfennig erhoffte, wählte die Trainerin drastische Worte, die besser nicht in der Zeitung wiederholt werden. Keinen Monat später war sie ihren Job los. Geblieben ist Natalia Stepanowa, die nun zusammen mit Standortmanager Michael Breuning gegen die Verunglimpfung und für eine durchweg schöne Gymnastikwelt kämpft.

Die neue Atmosphäre

Schön und spielerisch sieht es aus, wenn sich die Mädchen wie am kommenden Wochenende bei den Berlin Masters in der Max-Schmeling-Halle auf der Matte präsentieren. Wie viel Aufwand für so viel Biegsamkeit benötigt wird, lässt sich dabei nur erahnen. Fünf bis sechs Stunden am Tag trainiere sie, rechnet Rana Tokmak aus der Nationalmannschaftsgruppe vor. Acht bis neun Einheiten sind das, jede Woche. Die 18 Jahre alte Gymnastin weiß, dass ihre Karriere mit 20, maximal 22 vorbei ist, weil der Körper die Strapazen irgendwann nicht mehr aushält. Sie weiß auch, dass sie in Deutschland mit ihrem Sport aller Wahrscheinlichkeit nach nicht groß rauskommen und schon gar nicht reich werden wird. Warum sie sich das alles trotzdem antut? „Es ist die Mischung aus Tanz und Theater, die mich fasziniert“, sagt sie.

An das Paradoxon, dass diese Eleganz und Grazie, wie sie bei den Übungen gezeigt wird, nur durch Härte und Schärfe im Training zu erreichen ist, glaubt Michael Breuning nicht. Als eine der ersten Maßnahmen im neuen Job hat er die Waagen in den Hallen abschaffen lassen. „Man muss natürlich auch auf das Gewicht achten, aber das darf nicht zur Belastung werden“, sagt er. Außerdem setzt er auf einen gepflegteren Umgangston und Deutsch als Trainingssprache – früher wurde oft Russisch geredet. Seit kurzem arbeiten die Sportlerinnen auch mit einem Psychologen zusammen.

Das alles zeigt bereits nach wenigen Monaten seine Wirkung. Glaubt Michael Breuning. Die Atmosphäre bezeichnet er inzwischen als „hervorragend“. Allein die Tatsache, dass die deutsche Gruppe bei der WM im September mit dem neunten Platz in der Gesamtwertung und dem siebten Platz im Keulenfinale eine herausragende Leistung gezeigt habe, spreche doch für die gute Stimmung. Bis sich die Innen- auf die Außenwahrnehmung und das Image der Rhythmischen Sportgymnastik überträgt, dürfte es nach den schlimmen Vorwürfen aber wohl noch eine Weile dauern.

Katrin Schulze

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