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Immer links. Auch in Wilmersdorf legt sich Hans Weber bei 100 Stundenkilometern an diesem Wochenende in die Kurve. Die Ränder der Eisbahn sind dabei mit 2300 Paketen voller Dämmmaterial gepolstert.
© Jesper Veldhuizen

Serie Materialschlacht, Teil 7: Mit 300 Spikes unterm Hintern

Hans Weber will auf seinem Eisspeedway-Motorrad an diesem Donnerstag in Wilmersdorf Deutscher Meister werden. Für den richtigen Grip sorgt er selbst.

Im Sport kommt es nicht immer nur auf den Athleten an. In unserer Serie „Materialschlacht“ beschreiben wir, wie viel durch Technik und Material in verschiedenen Sportarten bestimmt wird. Hier Teil 7: Das Motorrad beim Eisspeedway.

Wenn Hans Weber über sein Motorrad redet, hört es sich an, als würde er über einen alten Freund sprechen. „Wir sind auf einem guten Weg. Das hundertprozentige Vertrauen fehlt mir aber noch“, sagt er. Dabei ist das Vertrauen so wichtig, weil es nicht irgendein Motorrad ist. Es ist ein Speedway-Bike, mit dem Weber auf blankem Eis in Höchstgeschwindigkeit um die Kurven biegt.

Der 34-Jährige muss sich auf sein Bike verlassen können, wenn er an diesem Donnerstag Deutscher Meister im Eisspeedway werden will (Beginn: 17 Uhr). Der Bayer ist einer der Favoriten bei den Rennen, die auf einer 400 Meter langen Kunsteisbahn im Horst-Dohm-Stadion in Wilmersdorf stattfinden. Für die Weltmeisterschaftsläufe am Samstag (17 Uhr) und Sonntag (14 Uhr) sind Webers Chancen eher gering, bei diesen Rennen sind die Profis aus Russland favorisiert. „Ich bin nur semiprofimäßig unterwegs“, sagt Weber.

Deshalb ist er auch selbst zuständig für die Konstruktion seines Motorrads. In der Werkstatt, die in der Nähe vom Tegernsee liegt, nimmt Weber letzte Korrekturen vor dem Wettkampf vor. „Da habe ich mein Reich, da schraube ich herum“, sagt er. Zu schrauben gibt es eine Menge. Schließlich ist das Eisspeedway-Bike nicht mit einem Motorrad für den Asphalt zu vergleichen.

Ein offensichtlicher Unterschied sind die spitzen Spikes an den Reifen. Sie sorgen dafür, dass das Motorrad auf dem Eis nicht wegrutscht. Weber erzählt, dass er mit einer speziellen Bohrmaschine die Spikes angebracht hat, die knapp drei Zentimeter hervorstehen. 120 davon stecken im Vorderrad, 180 im Hinterrad. „Dadurch hast du einen guten Grip“, sagt er.

130 km/h – keine Bremsen

Außerdem gibt es bei den Eisspeedway-Bikes keine Bremsen. „Die wären nur ein Sicherheitsrisiko“, sagt der deutsche Vizemeister von 2017. Würde man auf dem glatten Eis bremsen, könne man leicht wegrutschen. Daher müssen die Fahrer die Strecke gut einschätzen. Schließlich erreichen sie durchschnittlich 100 Stundenkilometer. „Am Eingang in die Kurve können es auch mal 130 Stundenkilometer sein“, sagt Weber. Angst habe er dabei nicht, „gefährlich ist es wie jede andere Sportart auch“. Zur Sicherheit werden die Ränder der Eisbahn in Wilmersdorf mit 2300 Paketen voller Dämmmaterial gepolstert.

Beim Rennen fahren die Sportler ausschließlich Linkskurven und streifen dabei mit der linken Schulter fast das Eis. Deshalb sind die Rahmen der 500-Kubikzentimeter-Motorräder extrem schlank gebaut. Für die kleine Sportbranche – in ganz Deutschland gibt es nicht mehr als 15 Fahrer – werden die Bikes extra angefertigt, die Hersteller haben ihren Sitz in den Niederlanden und in Tschechien.

Um den Rest des Motorrads kümmert sich Weber selbst. „Ich bin da ein bisschen speziell“, sagt er. Die Federgabel und den Stoßdämpfer habe er selbst eingebaut. Er weiß, wie so etwas geht, er ist ausgebildeter Maschinenbautechniker. Mittlerweile hat Weber einen Bürojob bei einem seiner Sponsoren angenommen. Den „Adrenalinkick“ bekomme er dann auf dem Eis. Schon sein Vater war Eisspeedway-Fahrer und hat ihn mit der Leidenschaft dafür angesteckt. „Der Sport ist auch ein bisschen mein Leben“, sagt Weber.

Material im Wert von 100.000 Euro

Es ist ein teures Leben. Wenn er mit dem Transporter unterwegs ist, habe er Material im Wert von 100.000 Euro im Gepäck, sagt Weber. Allein der Motor kostet 5000 Euro. „Bei der Konstruktion gehen die Tausender nur so weg“, sagt er. „Sehen kann man das aber später nicht.“ Das Geld liegt im Inneren des Motorrads. Weber hat Glück gehabt, er wird von Sponsoren unterstützt.

Sonst wäre sein Sport finanziell für ihn nur schwer zu stemmen. Denn zu den Einstiegskosten für ein gutes Gefährt kommen noch hohe Reisekosten zu Meisterschaften oder Trainingseinheiten auf den besten Strecken in Russland. Das erschwere möglichen Anfängern, Fuß in dem Sport zu fassen, sagt Weber. Deshalb sorgt er sich um den Nachwuchs: „Es geht immer mehr zurück. Wenn sich nichts ändert, ist der Sport irgendwann tot.“ Er plädiert für eine bessere Zusammenarbeit zwischen dem Motorradweltverband, Fahrern und Veranstaltern.

Eine Zusammenarbeit wie zwischen dem Fahrer und dem Motorrad: Denn beim Eisspeedway komme es auf das Zusammenspiel der eigenen Stärken mit denen des Gefährts an, sagt Weber. In den vergangenen zwei Jahren habe er mit einem anderen Fahrwerk wenig Erfolg gehabt. Mit seinem neuen Bike scheint es besser zu klappen: „Ich bin auf der Suche, eins mit ihm zu werden.“ Und wenn es dieses Jahr nicht klappt, hat Weber schon weitere Pläne. „Ich habe eine neue Idee für die Federgabel, die werde ich ausprobieren.“ Nach den Rennen in Wilmersdorf geht es für die beiden also gleich zurück in die Werkstatt.

Bisher erschienen: „Kufen beim Rodeln“, „Alpine Ski“, „Das Gewehr beim Biathlon“, „Schoner und Schlittschuhe beim Eishockeytorwart“, „Passgenaue Bobs“ und „Die Anzüge der Skispringer“.

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