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In stabiler Seitenlage. Felix Loch rast mit seinem Schlitten nicht nur gerne durch die Bahn, er tüftelt auch gerne viel daran.
© Eslage/BSD

Serie: Materialschlacht, Teil 1: Bloß kein Trompetenblech

Ihre Rennschlitten sehen simpel aus, sind aber sehr komplex. "Rodeln ist einfach ein ständiges ausprobieren", sagt Felix Loch.

Im Sport kommt es nicht immer nur auf den Athleten an. In unserer neuen Serie „Materialschlacht“ beschreiben wir, wie viel durch Technik und Material in verschiedenen Sportarten bestimmt wird.

Felix Loch spürt es sofort am ganzen Körper. Er kann dieses Gefühl schwer beschreiben. Aber wenn er auf seinem Rennschlitten liegt, merke er von den Schultern bis zu den Füßen, ob es rutscht oder eben nicht rutscht, sagt Felix Loch. Mit Rutschen beschreibt der dreimalige Rodel-Olympiasieger, wie sein Rennschlitten über die Bahn gleitet. Ob dieser gleich reagiert, wenn er mit seinen Füßen gegen die Kufen drückt. Oder ob der Schlitten „quer fährt“, wie Felix Loch es ausdrückt. Also ihm nicht so gehorcht beim Lenken.

Der 29-Jährige aus Schönau am Königssee umschreibt überhaupt mit schönen, speziellen Worten, worauf es ankommt, wenn er mit mehr als 120 Kilometer pro Stunde eine Eisbahn hinabrast. Und mit einem weiteren schönen Wort betont Felix Loch, dass es dabei natürlich nicht nur um das Fahrgefühl geht, sondern auch darum, auf welchem Material er hinabrast: „Nur mit Trompetenblech unter dem Schlitten gewinnst du nichts.“

Weil es für den Erfolg eben so wichtig ist, dass die Gleitschienen nicht aus Trompetenblech bestehen, investieren Felix Loch, seine Teamkollegen und ihre Trainer enorm viel Zeit in das Feilen an ihren Rennschlitten. Bundestrainer Norbert Loch, der Vater von Felix Loch, sagt: „Natürlich geht ohne einen koordinativ und physisch überragenden Athleten nichts. Aber der Materialfaktor hat beim Rodeln schon einen hohen Anteil.“ Der 56-Jährige beziffert ihn auf „mindestens 40 Prozent“.

Beim Feilen am Material bekommen die deutschen Rodler noch zusätzliche Unterstützung von Männern wie Carsten Ludwig. Der Maschinenbau-Ingenieur ist Projektleiter Rennrodeln beim Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES). Am Hauptsitz des FES in Berlin ist Ludwig aber nur selten, denn er arbeitet mit vier Kollegen in der FES-Außenstelle in Oberhof, quasi direkt an der Rodelbahn.

„Es ist wirklich sehr komplex. Bei uns geht es um die Fragen: Wie federt der Schlitten? Wie reagiert der Schlitten in einer Kurve?“, sagt Ludwig. „Wir arbeiten viel daran, die Aerodynamik zu verbessern – und an individuellen Maßnahmen für Sportler.“ Schließlich hat Felix Loch eine andere Statur als Natalie Geisenberger. Und wenn ein Rodler den Fuß nicht so perfekt strecken kann, suchen Ludwig und seine Kollegen nach Möglichkeiten, dies dann am Schlitten auszugleichen.

Geometrie wichtiger als Werkstoff

Eine weitere Hauptaufgabe der FES-Mitarbeiter ist es, die Werkstoffe für die Gleitschienen zu entwickeln. Die Gleitschienen sind die Komponenten, die unter den Schlitten geschraubt werden und Kontakt zum Eis haben, darüber sind die Kufen. Diese bestehen aus Kunststoff. Über die Legierungen für die Gleitschienen will Ludwig jedoch nicht zu viel verraten – die Konkurrenz soll bloß keine Geheimnisse erfahren. Nur so viel könne er sagen: „Wir setzen fünf Werkstoffe ein. In allen Legierungen ist Eisen dabei, aber nicht in allen ist Edelstahl.“

Jeder der Werkstoffe funktioniert bei unterschiedlichen Temperaturen, Wetterbedingungen und Eisverhältnissen besser. Ein Werkstoff sei noch eine DDR-Entwicklung aus den achtziger Jahren. „Und seit eineinhalb Jahren haben wir eine Neuentwicklung – dazu möchte ich aber gar nichts sagen“, betont Ludwig.

So sehr der 39-Jährige die geheimen Erkenntnisse des FES hütet, er sagt auch: „Die Geometrie der Gleitschiene, also ihre Gestalt, ist viel wichtiger als der Werkstoff.“ Dabei geht es darum, in welchem Winkel die Gleitschiene zum Eis geht. Mit einem flachen Winkel wird der Schlitten umso schneller. Mit einem höheren Winkel wird er umso sicherer. „Man kann das mit weichen oder harten Reifen vergleichen“, sagt Norbert Loch. Und er ergänzt: „Die Suche nach dem perfekten Winkel ist immer intensiver und aufwändiger geworden.“ Felix Loch etwa hat zwölf bis 15 verschiedene Gleitschienen, die er in einer Saison nutzt.

Die FES-Mitarbeiter, die Trainer und die Rodler tüfteln an allen möglichen Details, also auch der Polierung und Oberflächenbeschichtung der Schienen. Aber auch an den Schalen der Schlitten, also welche Form der Wandboden hat oder wie hoch die Wanne über dem Eis liegt. „Wir arbeiten mühsam an Kleinigkeiten“, sagt Ludwig. Schließlich sind ja auch die Unterschiede bei den Fahrtzeiten extrem klein. „Wenn wir eine Verbesserung im Zehntelsekundenbereich schaffen, knallen hier die Sektkorken“, sagt Ludwig. „Aber meistens arbeiten wir im Hundertstelbereich.“ Und dabei stoßen sie immer wieder auf neue Herausforderungen: „Manchmal schraubt man an einer Sache – und es verändern sich drei.“

Und auch Felix Loch mit seinem besonderen Schlittengefühl erlebt mal Fahrten, bei denen ihm sein Gespür einen Streich spielt. Dann hat er während der Fahrt ein schlechtes Gefühl, aber wenn er ins Ziel kommt, ist die Zeit grandios – oder umgekehrt. „Rodeln ist einfach ein ständiges ausprobieren“, sagt Felix Loch. „Aber genau das macht es ja so faszinierend.“

Johannes Nedo

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