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Die sportlichen Ergebnisse und die Trainerentlassung haben Unions Fans zuletzt etwas verunsichert.
© Britta Pedersen/dpa

Berlins Zweitligist: Der 1. FC Union zwischen Kult und Leistungsdruck

Der 1. FC Union Berlin steckt in einer schwierigen Phase. Der Verein wächst und strebt den Aufstieg in die Bundesliga an, will dabei seine Identität aber nicht verlieren.

Es ist nur ein kurzer Augenblick. Eine Sekunde, in der die Stimmung zu kippen scheint. Die Mannschaft des 1. FC Union schleicht enttäuscht über den Rasen. Soeben hat sie das emotionale Ostduell gegen Dynamo Dresden mit 0:1 verloren. Das Team wirkt verunsichert und einige Spieler schauen verloren in den grauen Himmel. Vor der Waldseite bleiben sie stehen, heben zaghaft die Arme und klatschen. Hier, auf der Tribüne, die der Wuhlheide am nächsten ist, stehen die lautesten Anhänger der Köpenicker. Nun ist es leise, fast schon totenstill. Zumindest für einen Moment. Dann geht es los. „Eisern Union, Eisern Union!“, hallt es durch das Stadion An der Alten Försterei. Nicht so laut wie sonst und irgendwie ein bisschen trotzig. Aber immerhin. In anderen Stadien wären die Spieler nach so einer schwachen Leistung vermutlich ausgepfiffen worden. Wie zuletzt bei Borussia Dortmund oder dem 1. FC Köln. Bei Union ist das undenkbar. Der Verein steht über allem. Schulter an Schulter für Eisern Union, krächzt schon Nina Hagen in der Vereinshymne. Hier wird nicht gepfiffen. Schon gar nicht nach schmerzhaften Niederlagen wie der gegen Dresden vor einer Woche.

Ganz spurlos geht die aktuelle Situation aber auch an den treuesten und lautesten Fans nicht vorbei. Es ist momentan nicht die einfachste Zeit für die Anhänger der Berliner. Zwar steht der Verein seit Jahren sportlich gut da, in der vergangenen Saison sogar so gut wie nie zuvor seit der Wiedervereinigung. Und auch jetzt hat die Mannschaft trotz des 1:2 gegen den FC Ingolstadt im letzten Spiel des Jahres – es war die dritte Niederlage in Folge und die vierte innerhalb der letzten fünf Spiele – als Tabellensechster durchaus noch Chancen auf den erstmaligen Aufstieg in die Bundesliga.

Der Trainerwechsel ruft bei vielen Fans Ängste hervor

Dennoch hat der Verein vor zwei Wochen den Trainer gewechselt. Und das, obwohl sich Präsident Dirk Zingler noch kurz zuvor für Konstanz auf den Führungspositionen ausgesprochen und es bereits erste Gespräche mit Jens Keller über eine Vertragsverlängerung gegeben hatte. Verstanden haben das die meisten nicht. „Die Verunsicherung in den letzten Wochen bei vielen Fans beschäftigen mich natürlich auch“, sagt Zingler in einem Interview mit dem Vereinsfernsehen.

Jens Keller wurde von den Fans nie wirklich geliebt. Professionell ja, das war er. Und erfolgreich. Aber auch unnahbar. Die Entlassung rief trotzdem große Kritik hervor und weckte Ängste bei vielen Anhängern. Werden wir jetzt zu einem x-beliebigen Profiverein, der den Trainer nach drei Spielen ohne Sieg feuert? „Einen Mitarbeiter, der sich nichts zu Schulden kommen lassen hat, entlasse ich nicht“, sagte Zingler in einem Interview mit dem Kicker, ohne dabei Details zu nennen. Über die Hintergründe des Trainerwechsels schweigt sich Union weiter aus. „Ich schätze die Werte des Vereins sehr. Dennoch ist die erste Mannschaft in einem leistungssportlichen Geschäft. Wir stellen uns dem Wettbewerb und haben Leistung abzuliefern“, sagte der Geschäftsführer Sport, Lutz Munack, dem RBB nach dem Trainerwechsel. Es ist eine Aussage, wie sie im Profifußball nach derartigen Entscheidungen häufig fällt. Zum Image des Klubs passt sie nicht.

Zwei Spiele, zwei Niederlagen. Die Startbilanz von Unions neuem Cheftrainer André Hofschneider ist eher unfreundlich.
Zwei Spiele, zwei Niederlagen. Die Startbilanz von Unions neuem Cheftrainer André Hofschneider ist eher unfreundlich.
© Annegret Hilse/dpa

Hofschneider ist seit fast 30 Jahren Unioner

Kellers Nachfolger dafür umso mehr. André Hofschneider ist mit Unterbrechungen seit fast 30 Jahren Unioner. Schon als Jugendspieler war er in Köpenick aktiv, in den achtziger und neunziger Jahren dann auch für die Profis. Seit 2007 ist er als Trainer an der Alten Försterei tätig. „Wenn man es so lange an einem Ort aushält, muss man eine besondere Verbindung haben“, sagt Hofschneider.

So einen wie ihn lieben sie hier. Einer der Ihren, ein harter Arbeiter, der nicht über abkippende Sechser oder falsche Neunen philosophiert, sondern die Sprache der Fans spricht. Letztlich wird aber auch Hofschneider an Ergebnissen gemessen – und die waren in den beiden bisherigen Spielen schlecht. Union will am Ende der Saison aufsteigen. Das hat Präsident Dirk Zingler auf der Mitgliederversammlung klargemacht.

Die Ansprüche sind schnell gestiegen in Köpenick. So einfach wie in diesem Jahr war es selten, den Sprung in die Erste Liga zu schaffen, das ist offensichtlich. Ohne übermächtige Absteiger aus der Bundesliga wie Stuttgart oder Hannover sieht die Vereinsführung eine Gelegenheit, die sie unbedingt ergreifen will. Das wurde Keller nach einigen schwachen Leistungen zum Verhängnis.

Gerade bei Union ist der sportliche Erfolg aber nicht alles. Für viele Fans ist der Verein wie eine Familie und die verändert sich rasant. Für manche zu rasant.

Der Klub ist in einer Phase des Wachstums und versucht dabei, einen schwierigen Spagat hinzubekommen. Auf der einen Seite steht Eisern Union, der von vielen als Kult gefeierte Klub, der als Gegenstück zur fortschreitenden „Eventisierung“ des Fußballs gilt, der etwas anders tickt und wo die Fans beim Stadionbau mit anpacken. Auf der anderen Seite prosperiert das Unternehmen 1. FC Union seit Jahren. Denn ob die Fans der Köpenicker das nun gut finden oder nicht, der Profifußball ist Kommerz, ist ein Geschäft und Union auch ohne ausgegliederte Profiabteilung weit davon entfernt, nur noch ein gemeinnütziger Verein zu sein wie Askania Coepenick, Lok Schöneweide oder der SSV Köpenick-Oberspree in der näheren Umgebung. „Wir werden nicht aufsteigen, weil wir so coole Typen sind“, sagt Zingler. „Für mich ist Union schon immer ein Leistungssportverein gewesen.“

Union baut das Stadion aus und will neue Fans gewinnen

Die sportlichen Ergebnisse und die Trainerentlassung haben Unions Fans zuletzt etwas verunsichert.
Die sportlichen Ergebnisse und die Trainerentlassung haben Unions Fans zuletzt etwas verunsichert.
© Britta Pedersen/dpa

Im vergangenen Geschäftsjahr hat der Klub mehr als 38 Millionen Euro eingenommen und damit mehr als je zuvor. Auch beim Gewinn und den Mitgliederzahlen konnte Zingler auf der Jahreshauptversammlung Rekorde verkünden. Wenn alles gut geht, soll die Alte Försterei ab 2019 ausgebaut werden – egal in welcher Liga der Klub dann um Punkte kämpft. Die aktuelle Kapazität von 22.000 reicht schon heute bei den meisten Spielen nicht mehr aus. Nach dem Umbau sollen 37.000 Menschen ins Stadion passen. Und auch sonst tut sich infrastrukturell einiges. Der Nachwuchs bekommt endlich ein modernes Leistungszentrum, und im Frühjahr eröffnet Union einen Fanshop im Zentrum Berlins – es wird der erste sein außerhalb des Union-Kernlandes in Köpenick. Zufall ist das nicht. Denn der Verein wächst nicht nur, er öffnet sich auch ein Stück weit.

Lange lebte Union von seiner Wagenburgmentalität. Wir gegen den Rest. Schulter an Schulter für Eisern Union. Dieses Familiäre, Intime und manchmal Abschottende ist immer noch stark ausgeprägt, die Klubführung versucht jedoch, in gewissen Bereichen dagegenzuwirken. Denn die Wachstumschancen in Köpenick und Umgebung sind endlich, das Image des Vereins aber ist sehr positiv. Zingler will dieses Potenzial nutzen.

Es wird immer schwieriger, an Tickets zu kommen

Seit einigen Jahren wird auf den Tribünen nicht mehr nur berlinert. Auch für Zugezogene ist Union interessant geworden. Viele Engländer sind von der Atmosphäre in der Alten Försterei begeistert und entdecken einen Fußball wieder, der auf der Insel vor langer Zeit verloren ging, ein Fußball mit Stehplätzen, guter Stimmung, bezahlbaren Tickets und deutlich weniger Event-Rahmenprogramm als in der Premier League.

Damit gelingt Union etwas, was Hertha seit Jahrzehnten mit relativ bescheidenem Erfolg versucht: neue Zuschauer zu gewinnen. Und zwar Fans, die alle zwei Wochen im Stadion sind, und nicht nur Gelegenheitsgäste, die sich ein Topspiel gegen Bayern oder Dortmund angucken, sonst aber lieber auf der Couch den FC Barcelona verfolgen. Diese Öffnung hat allerdings auch ihren Preis. Die Rechnung ist simpel: Wenn das Stadion schon jetzt fast zu 100 Prozent ausgelastet ist und trotzdem neue Leute reinsollen, muss ein Teil der alten draußen bleiben. Deshalb ändert der Verein die Bedingungen für den Dauerkartenkauf. Hatten die Inhaber eines Saisontickets bisher ein Reservierungsrecht für die nächste Saison, gilt dieses nur noch, wenn sie gleichzeitig auch Mitglied sind. „Wir können nicht nur die Leute ins Stadion lassen, die schon dreißig Jahre hier sind, die sterben irgendwann aus“, sagt Unions Präsident. „Wir müssen auch anderen die Möglichkeit geben, zu Union zu kommen.“

Union lebt gerne mit dem Status des Underdogs

Das gefällt nicht allen. Schließlich war Union schon immer betont anders. In der DDR war der Klub ein Sammelbecken für Arbeiter, Alternative und Systemkritiker. Die Funktionäre sahen lieber den Stasi-Verein BFC Dynamo siegen und benachteiligten Union. Oft wurden die besten Spieler „wegdelegiert“, und so leben die Köpenicker schon lange und gerne mit dem Status des Underdogs. Zur Obrigkeit besteht bei vielen Fans noch heute eine gewisse Skepsis. Warum soll ich irgendwo Mitglied werden, wenn ich doch einfach nur Fußball gucken will? Irgendwie muss der Verein aber eine Auswahl treffen. Denn oft genug übersteigt die Nachfrage das Angebot. „Wir sind mit der Entscheidung auch nicht glücklich, es ist aber das geringste Übel“, sagt Zingler.

Ähnliche Kapazitätsprobleme wie bei den Heimspielen gibt es mittlerweile auch beim Weihnachtssingen. Am 23. Dezember findet diese mittlerweile von vielen Vereinen kopierte Tradition schon zum 15. Mal statt. Aus 89 Fans, die 2003 in die sanierungsbedürftige Alte Försterei kamen, sind fast 30.000 geworden. Wahrscheinlich könnte Union auch doppelt so viele Tickets verkaufen. Es ist die Schattenseite des Erfolgs. Nicht alle können dabei sein, viele müssen draußen bleiben. Andere Vereine kennen das Phänomen schon lange, bei Union müssen sie sich wohl daran gewöhnen, zumindest bis der Stadionausbau geschafft ist. Bis dahin vergehen aber noch ein paar Jahre, und sollte der Aufstieg tatsächlich gelingen, werden die Schlangen beim Eintrittskartenverkauf für die Heimspiele noch länger. Schulter an Schulter – für ein Ticket gegen die Bayern.

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