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Volltreffer. Neuzugang Anna Gerhardt erzielte den zwischenzeitlichen 2:2-Ausgleich.
© Julius Frick

Fortschritt im Wandel: Umbruch bei Turbine Potsdam

Frauenfußball-Bundesligist Turbine Potsdam hat ein junges und unerfahrenes Team wie lange nicht mehr. Beim Testspielsieg gegen Schwedens Rekordmeister FC Rosengård präsentierte es vor Vereinslegenden seine Qualitäten.

Beelitz - Der Wandel der Zeit bei Turbine Potsdam war selten so illustrativ. Am Samstag schauten im Beelitzer Stadion des Friedens zahlreiche ehemalige Turbinen, die einst eifrig nationale und internationale Titel mit Brandenburgs Frauenfußball-Traditionsverein sammelten, am Spielfeldrand zu, während sich auf dem Rasen das aktuelle Potsdamer Team präsentierte. Es ist laut dem Internetportal soccerdonna.de mit einem Durchschnittsalter von lediglich 21,1 Jahren das jüngste in der Bundesligasaison 2019/20. Sowie auch das jüngste und unerfahrenste aus Potsdam, seitdem Anfang der 2000er-Jahre die glänzende Phase der Turbinen begann. „Na klar, wir stecken in einem Umbruch“, sagte Cheftrainer Matthias Rudolph. „Das ist jetzt eine spannende Herausforderung.“

Deutliche Leistungssteigerung in der zweiten Halbzeit 

Der erste Test der Saisonvorbereitung gegen einen weiblichen Kontrahenten hatte es gleich in sich. Schwedens Rekordmeister FC Rosengård war zu Gast – und wurde nach einer klaren Leistungssteigerung in der zweiten Halbzeit mit 4:2 (0:1) bezwungen. „Es ist natürlich noch reichlich Luft nach oben da, aber insgesamt waren schon viele positive Sachen zu erkennen“, meinte Potsdams Mittelfeldstrategin Sarah Zadrazil.

Wiedersehen. Ehemalige Turbinen wie Tabea Kemme (l.o.), Anja Mittag (r.o.) und Lia Wälti (l.u.) waren zu Gast und plauderten unter anderem mit Bianca Schmidt, die weiterhin für Potsdam spielt. Mittag ist jetzt bei RB Leipzig aktiv, Wälti und Kemme stehen beim FC Arsenal in London unter Vertrag.
Wiedersehen. Ehemalige Turbinen wie Tabea Kemme (l.o.), Anja Mittag (r.o.) und Lia Wälti (l.u.) waren zu Gast und plauderten unter anderem mit Bianca Schmidt, die weiterhin für Potsdam spielt. Mittag ist jetzt bei RB Leipzig aktiv, Wälti und Kemme stehen beim FC Arsenal in London unter Vertrag.
© Julius Frick

Fast 400 Zuschauer – darunter Turbine-Ikonen wie Anja Mittag, Ariane Hingst, Jennifer Zietz, Tabea Kemme und Lia Wälti – mussten zunächst resümieren, dass Rosengård stärker war. Mit einfachen Mitteln und vor allem Tempo bereiteten die Nordeuropäerinnen der Potsdamer Defensive arge Probleme. Ein Gegentor vor und eines kurz nach der Halbzeitpause sorgten für einen 0:2-Rückstand der Rudolph-Elf. Auf mitgebrachten Campingstühlen murrten einige Fans bereits kräftig, kritisierten alles und jeden. „Die Abstimmung hatte nicht gepasst, was aber auch normal ist mit einer neu zusammengewürfelten Truppe“, hielt es der Coach indes pragmatisch. Allein mehrere A-Nationalspielerinnen haben den Verein verlassen, geholt wurden daraufhin keine gestandenen Kickerinnen. Stattdessen sind es ausnahmslos Neuzugänge, die noch nicht über den Status „Talent“ hinauskommen. „Wir wollen was entwickeln“, betonte Rudolph.

Torschützinnen stellten Querschnitt der umformierten Mannschaft dar

Der Fortschritt setzte bereits während der Partie in Beelitz ein. Zunehmend brachte der Bundesligist Struktur und Tiefe in seine Angriffe, übernahm die Kontrolle. Vier schön anzuschauende Tore gelangen. Die Schützinnen stellten einen Querschnitt der umformierten Mannschaft dar. Tore erzielten Viktoria Schwalm und Lara Prasnikar, die schon länger für Potsdam spielen und denen nun mehr Verantwortung zuteil wird, außerdem der externe Neuzugang Anna Gerhardt und U17-Europameisterin Sophie Weidauer, die aus der eigenen Jugend ins Erstliga-Team gerückt ist.

Mittlerweile wurde auf dem Campingmobiliar schon längst wieder von ganz großen Triumphen fabuliert. Die Turbine-Welt ist hin- und hergerissen. Zwischen hohen Ansprüchen, die aus der glorreichen Zeit erwachsen sind, und dem Blick auf die Realität, der angesichts wirtschaftlich enteilender Konkurrenz eigentlich ein Anpassen der Ambitionen verlangt. „Wir durchlaufen einen Prozess“, sagte Matthias Rudolph. Kurzfristiger Erfolg lasse sich kaum erzeugen. „Es ist eine Mannschaft mit einer Menge Potenzial. Aber es gilt eben, dieser Mannschaft auch die Zeit zu geben, um dieses Potenzial zu entfalten.“

"Die Mannschaft kann ordentlich marschieren, enorm viel abspulen"

Sarah Zadrazil freute sich darüber, dass die Neuzugänge bereits gut integriert seien. „Und dass wir fitnesstechnisch gut dabei sind“, ergänzte sie. In der Tat hatte Turbine die besseren Kraftreserven, je weiter die Uhr tickte. Durchaus bemerkenswert. Schließlich ist der Ligaspielbetrieb für Rosengård deutlich näher als für Turbine. Die schwedische Saison wird – anders als hierzulande – innerhalb eines Kalenderjahres absolviert und befindet sich derzeit in einer Pause. Doch schon nächste Woche geht es für den Tabellenzweiten wieder um Punkte. Potsdam startet erst am 16. August auswärts gegen den 1. FFC Frankfurt in die neue Bundesligaspielzeit. „Insofern hat es überrascht, dass wir am Ende besser im Saft standen, konditionell überlegen waren“, urteilte Rudolph, um sich zugleich bestätigt zu fühlen: „Im Training konnten wir anhand der Erhebung von Leistungsdaten schon klar sehen, was diese Mannschaft auszeichnet: Sie ist gewillt, kann ordentlich marschieren und enorm viel abspulen.“ Aber auch technische Qualitäten attestiert er seiner Truppe.

Diese war in Beelitz nicht vollzählig. Ob noch auf dem Transfermarkt gehandelt wird, ist offen. Fest steht jedoch, dass einige Verletzte bis zum Trainingslagerstart am Samstag wieder in die mannschaftliche Arbeit einsteigen sollen. Auch WM-Teilnehmerin Johanna Elsig stößt in Österreich hinzu. Die Innenverteidigerin, die 2012 zu Turbine kam, als der Club seinen bislang letzten Deutschen Meistertitel holte, ist die Dienstälteste im Kader. Eine verlässliche Konstante inmitten des Wandels.

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